15/04/2014

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person:

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

15/04/2014
©: Mathias Grilj

Wie mir der Schloßberg abhanden kam

Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Goethe

Sie ham uns a Haus her´baut...
Arik Brauer

Es ist eine alte Geschichte
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Heine

Darum wird auch der von
Leidenschaften oder Not und Sorge
Gequälte durch einen einzigen
freien Blick in die Natur so plötzlich
erquickt, erheitert und aufgerichtet:
Der Sturm der Leidenschaften, der
Drang des Wunsches und der Furcht
und alle Qual des Wollens sind dann
sogleich auf eine wundervolle Art
beschwichtigt.
Schopenhauer

Guten Anblick!
Jägergruß

Mit den Barmherzigen Brüdern hat es angefangen: die haben ihr Krankenhaus aufgestockt. Das ist ja grundsätzlich zu begrüßen, dachte ich. Bis ich eines Morgens am Küchenbalkon sah, dass ich die Türme der Kirche zu Mariahilf nicht mehr sah. Sonst war da im Sonnenaufgang immer ein goldenes Glitzern gewesen und hat in mir ein Lächeln provoziert. Auch weil ich in dieser Kirche geheiratet habe. Damals gegen Mittag, als die Braut zu spät zur Hochzeit gekommen ist und unsere Freunde den Pfarrer mit Schampus vollgespritzt haben, sodass er beim folgenden Begräbnis zwar gut, aber viel zu ausgelassen gerochen hat. Jedenfalls war das Fehlen der beiden Türme ein gewisser Riss im Gemüt.
Dann wurde Monate später weiter hinten noch ein weiteres Gebäude hochgezogen, und ich sah die Schloßbergbahn auf einmal nicht mehr. Zuvor hatte ich sie nicht sonderlich beachtet, dieses Symbol des einander bedingenden Aufs und Abs, aber als sie weg war, wurde sie mir auf einmal wichtig. Ein gewesener Blickfang, nur noch Behauptung und Erinnerung. Es war wohl wie mit Heimat - sobald sie verloren ist, bekommt sie einen Wert, den man ihr zuvor kaum beigemessen hätte.
Aber rechts gab es immerhin noch den Uhrturm zu sehen, den Herbersteingarten - und linker Hand das Grün, das um den Hackherlöwen herum gedeiht, sowie den Glockenturm, worin die Liesl baumelt.
Dieser Bereich jedoch sollte meinem Blick aber auch bald geraubt werden: das ehemalige Möbelgeschäft in der Orpheumgasse, aus dem man immer wieder mörderisches Geschrei hört, dass man die Polizei riefe, wenn man nicht wüsste, dass dort Proberäume für Theatergruppen sind und Macbeth gerade seinen König massakriert oder - weil ihm Banquos Geist erscheint - durchdreht, dieses alte Möbelhaus musste unbedingt auch grösser werden. Und ich begann, mich mit leiser Melancholie zu fragen, ob es so etwas wie ein Recht auf meinen freien Blick gebe. Es gibt die Bauordnung mit ihren Vorschriften und Metern, ja, die kann man nachlesen, aber es gibt kein Menschenrecht auf einen Blick zum Uhrturm.
Den hat dann Alfred Boric vollends verstellt, als er mir einen mehrstöckigen grauen Bau vor die Augen geknallt hat. Man sieht jetzt nur noch ein bisschen was von der Stallbastei mit der Kanonenhütte. Den Schloßberg - laut Legende sowieso ein Teufelswerk - sehe ich nun überhaupt nicht mehr. Ich fühle mich bestohlen, beraubt, amputiert. Mir fehlt was in der Seele, weil es dem Blick fehlt. Vor allem sehe ich nun überdeutlich, dass ich etwas nicht mehr sehe. Dafür habe ich den Architekten schauderhaft beflegelt - er ist, auch wenn er Elegantes bauen kann, gerade deshalb ein Halunke - und wurde noch ausfälliger, als er sagte, in seinem Bau sei bestimmt noch eine Wohnung frei, wir mögen bitte einfach umziehen... Das war dem Alfi dann eh selber etwas zuviel an Ironie, er versteht mich ja, und er hat uns abends daheim besucht und jener verspäteten Braut von damals mit graziöser Verbeugung ein selbstgequetschtes Olivenöl überreicht.
Er hat in Dalmatien nämlich einen freien Blick auf eigene Olivenbäume. Das soll wunderschön sein.

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