16/06/2015

Privatissimum vom Grilj


Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person:

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

16/06/2015
©: Mathias Grilj

Licht, bei Dunkel betrachtet

Die Erde war wüst und leer, und es war
Finsternis in der Tiefe, und der Geist
Gottes schwebte über Wassern.
Genesis 1,2

Im tiefsten Grunde ist man seiner Natur nach
ohne Hoffnung, und doch besteht das
Nervensystem aus optimistischem Zeug.
Francis Bacon

Die Phantasie liegt in einem kahlen Raum,
und keiner ist da.
Wolf Wondratschek

Mit der Verordnung setzt die Europäische
Union zwar einen Schritt zum Energie-
sparen und somit zum Klimaschutz, lässt
jedoch  die Tatsache, dass Energiespar-
lampen gesundheits- und umweltgefähr-
dendes Quecksilber enthalten, das beim
Bruch der Lampen freigesetzt wird,
ungeregelt.
Greenpeace

... der Himmel war wie eine Wunde,
und alles hatte ein Preisschild.
T.C. Boyle

There´s something in the flight
That clarifies the sight
And decks the rays
Emiliy Dickinson

Es ist Nacht, und alle sind sie schon gegangen. Der Theaterraum riecht mehr verlassen denn bereit um mich herum. Hin und wieder glimmt im Dunkel meine Zigarette auf, dann taste ich auf dem Mischpult nach Schalter und Reglern. Dann kommt, mit leisem Gesumm, der erste Scheinwerfer, er schneidet einen Kreis aus dem Nichts, ein warmes Licht. Wie ein Lagerfeuer in einer ungastlichen Fremde, wie eine Flut von Wärme, wie ein kurzes Vergessen, wie gefährdet alles ist. Diese Nacht wird noch viele Vergleiche bringen, die mit WIE beginnen.
Das Glitzern eines Dreiecks aus Blech ragt mir spitz und meterlang entgegen und gleißt. Wie ein Dolch. Wie eine Bankzentrale. Wie Operationsbesteck. Darunter glitzern saftig die Orangenschalen, in Wellen.
Mein Bühnenbild.
Bis vor einer Woche war der Boden dick mit Rindenmulch bedeckt, aber das war dann auf einmal doch zu hässlich. Was gedanklich schlüssig ist und sich ins Konzept fügt, muss dem Auge nicht gefallen. Also weg damit – stattdessen die Orangenschalen, dutzendkiloweise, um einen Kreis am Boden zu bedecken.
In der Nase die Frische der Orangen und das Sumpfige von Holz, eine Erinnerung an die verworfene Idee.
Vorhin habe ich mit dem Techniker alle Lichteinstellungen definiert, ausprobiert, nuanciert, fixiert. Er hat sie auf dem Mischpult schließlich programmiert. Drei Tage habe ich noch Zeit, etwas zu ändern.
Jetzt in den Durchlauf: Hier also kommt die Schauspielerin – SIE - von rechts, mitten ins saftige Orange, wie es da glitzert, feucht und prall. Dann Text. Aus dem Text wird man merken, dass sie jemanden anspricht. Und dann, das Auge gewöhnt sich an die neue Lage, wird man den Schauspieler bemerken - IHN -, da vorn, links im Schatten, mit dem Rücken zu IHR.
Den zweiten Scheinwerfer hochfahren, langsam!
Jetzt wächst da mittig eine Gasse durch den Raum, die geht SIE, die nimmt SIE, und spricht. Der Gleichklang von Worten und Schritten. Ihre Stimme zwischen den grellen Orangen, dem Schweiger im Schatten und dem Publikum, im Moment also mir.
Jetzt, da von der Nebenbühne noch zwei Scheinwerfer dazukommen, auch die mit warmem Licht, und wie sie die aus dem Theaterraum einen Tanzsaal machen – oder ist es ein Hof zwischen abbruchreifen Häusern? Oder ist es – „Mein Kopf ist ein bedrohter Ort.“ – das Innere eines tristen Schädels...
Jetzt, was wollte ich jetzt eigentlich denken?
Jetzt wird Bewegung auf die Fläche kommen, ein Tanz, der weite Kreise zieht. Und der Regisseur, der auch das Licht konzipiert hat, hätte jetzt gern wenigstens Statisten auf der Bühne. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!“ spricht der Herr. Ach, manchmal ist es besser, da ist man wenigstens nicht einsam wie... Lassen wir das jetzt! „Wer allein ist, ist auch im Geheimnis.“ spricht Benn. Gottfried.
Jetzt das Warme ein bisschen zurückfahren, sachte-sachte, zugleich das blaue Streiflicht hinten hochziehen – wie sanft der Regler fährt! -, es wird sofort so kalt, dass man sich die nächste Zigarette anzündet. Das Eisige kommt hinter den Säulen hervor und sorgt zugleich für Gitter und Beklemmung.
Das Publikum, also ich, erwartet von dort einen Auftritt. Na, komm schon endlich! Aber es kommt niemand und nichts, bestenfalls das Grauen, das seit langem zuhaus ist in dir.

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