15/12/2015

Privatissimum vom Grilj


Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person:

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

15/12/2015
©: Mathias Grilj

Vom Weihnachtsputz und
dem Reichtum des Klumperts

„Das Glück kommt
nur zum Glücklichen.“
Otto Schenk

„Man stellte sich die Vergangenheit,
vor, man erinnerte sich nicht.“
Richard Ford

„Deppert, aber munter.“
Georg Ringsgwandl

Ein Grazer Filmemacher, mit dem ich rede, erachtet es als die größte Leistung des Lebens, dass er seinen gesamten Besitz auf das Volumen eines Koffers reduziert hat. „Es war eine Befreiung. Und ich habe gesehen, dass mir in Wahrheit nichts abgeht.“
Und was machen wir daheim? Mit 10.000 Büchern und soviel Geschirr, dass man ein Festmahl für 50 Leute ausrichten kann. Müsste man bei der Reduktion im Kleinen anfangen? Jetzt finde ich eine Schachtel, weit hinten in der Lade. Den Inhalt könnte ich auf der Stelle wegwerfen. Ich weiß nicht einmal mehr, wie das alles da hierher- und hineingeraten ist. Unnd wann. Nämlich:
... Kopfhörer für einen Walkman, den ich ewig nicht mehr habe.
... ein Fläschchen Augentropfen, ausgetrocknet. Ein Bimsstein zum Entfernen der Hornhaut, der schaut ziemlich mitgenommen aus.
... Blei- und Farbstiftstummel, daran Gummiringe, die beim Berühren zerfallen.
... ein Liliput-Langenscheidt-Wörterbuch, Lateinisch – Deutsch. 3 mal 4,5 cm, 640 Seiten. Zum Schummeln bei der Schularbeit.
... ein Zippo-Feuerzeug. Es klingt beim Aufschnappen noch immer, wie sichs gehört. Die silberne Zigarettendose, ein Erbstück. Und ich sehe Großvater wieder vor mir, seine irgendwie feierlichen Gesten. Und wie er im Wirtshaus immer einen Bierwärmer verlangt hat.
... wenn meine Erben einst dieses kleine Plastikding da finden, werden sie es kaum zuordnen können. Es sieht wie ein Anker aus. Damals, als wir in der Schule noch Milch oder Kakao bekamen, hatte ich das ehrenvolle Amt des Milchpackerlaufstechers. Ich hieb also den Spitz des Ankers in die Verpackung, dann konnte man den Trinkhalm hineinstecken. Wenn ich die Schule geschwänzt habe, mussten sie das mit dem Bleistift machen.
... eine Fahrkarte, ach ja, die gelbe Tramway von Lissabon, ihr Gewackel und Gequietsche, als man zum Museu Azulejos fuhr. Die könnte als Lesezeichen dienen.
... ein Glasschneider mit Rädchen und Holzgriff. Wollte ich einmal Einbrecher werden? Ach nein, ich wollte Kunstwerke schaffen, kleine Objekte aus Glas, das ich dann zu bizarren Formen kleben wollte. Da war ich 16 oder 17 und natürlich – wie in diesem Alter üblich – ein Genie.
... ein Streichholzbriefchen, Hotel Wellington, In The Heart of New York City.
... zwei Würfelchen, Aquarellfarben, noch originalverpackt. Zinnobergrün und cölinblau. Ach, einst hatte man soviel Absicht und Zukunft, und plötzlich hat man nicht einmal eine passable Vergangenheit.
... Muscheln, Holzstücke, herzförmige Steine, wohl Geschenke der Kinder. Und auch dieses Pferd aus verschrumpelten Rosskastanien und Zahnstochern, das haben wir einmal gemacht. Auch wenn ich mich nicht mehr an Jahre und Szenen erinnern kann – das Glück ist noch da. So etwas kann man doch nicht wegwerfen. Das wäre schlimmer als Blasphemie. Und solche Dinge belegen zudem, dass man doch so etwas wie Vergangenheit gehabt hat. Und Leben.

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