21/02/2017

Privatissimum vom Grilj


Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj, geboren in Kamnik, SLO, lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

21/02/2017
©: Mathias Grilj

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, 
dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind.
Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind
an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel 
und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber
schauen wir von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber
werde ich durch und durch erkennen, so wie ich
auch durch und durch erkannt worden bin.
(Paulus, 1. Kor 13, 11-12)

Ich habe die Pflicht, glücklich zu sein.
(Toppsi Küppers)

Von der Architektur des Abschieds

Einmal hat mich im Cafe ein Freund gebeten, ihm bei seinem Selbstmord behilflich zu sein. Er hatte dieselbe Krankheit wie Stephen Hawking, amyothophe Lateralsklerose, und sie schritt im erbarmungslosen Tagestakt voran, sie bemächtigte sich seiner von unten nach oben, bald konnte er nicht mehr auf das Fahrrad steigen, die Beine gehörten nicht mehr ihm, das Fahrrad auch nicht.
Ich sah den Verfall und sagte: „Ich mache alles, nur die Hand lege ich nicht an.“ Damit war er einverstanden.
Zwei Wochen später hat er mich gefragt, ob mein Sohn, der gerade auf einer Uni in der Schweiz war, wo die Sterbehilfe anders gehandhabt wird als bei uns, ihm etwas besorgen könne. Ich habe ihn gebeten, die Kinder aus dem Spiel zu lassen. Er war einverstanden.
Dann sind wir die möglichen Methoden durchgegangen. Wir beide waren zu dämlich, um in der sogenannten Halbwelt eine Pistole zu besorgen, irgendwo am Griesplatz. Dafür muss man wohl ein anderes Kaliber sein.
Mir fiel mein Großvater ein, der hatte einem Kameraden – das war irgendwo am Balkan und im ersten Weltkrieg – eine geladene Pistole ins Lazarett geschmuggelt, damit sich der Freund erschießen konnte. Dem war nämlich an der Front zuviel weggeschossen worden, als dass er weiterleben hätte mögen mit dem Rest. Großvater hat geweint, als er davon erzählt hat. Aber er hätte es wieder gemacht, das mit der Pistole.
Dann hat mein Freund gemeint, es solle nichts Gewalttätiges sein, sein Leben sei auch ohne Gewalt gewesen und er selber – obwohl er einst beim Verein geboxt hat, da teilt man ja aus und bekommt auf die Nase – auch nicht. Also eher Gas oder Tabletten, „irgendwas Nettes und auf leisen Sohlen“.
„Auf Taubenfüßchen?
„Genau, wie in einem Gedicht.“
Und vor allem wollte er auf seine Liebste Rücksicht nehmen und ihr keinen grauenhaften Anblick hinterlassen.
Sie wusste von der Diagnose. Und sie wusste sich geliebt. Sie wusste, warum er die Wohnung und das Auto und alles auf sie überschrieb und sie, nachdem die zwei ewig in einer wunderbar wilden Ehe gelebt hatten, sofort heiraten wollte. Das alles gehörte zu seiner redlichen Umsicht und Fürsorge. Die Liebe braucht unter solchen Diagnosen auch Formalität und Bürokratie und alles, worüber sie beide zeitlebens nur gelacht hatten.
In der Nacht, bevor er es mit Morphium gemacht hat, war ich bei ihm und habe es gewusst. Dann habe ich ihn umarmt, ziemlich hilflos, und bin ins Erinnern gegangen.

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