20/06/2017

Privatissimum vom Grilj


Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

20/06/2017
©: Mathias Grilj

Mm, gonna try with
a little help from my friends
Paul McCartney, John Lennon

Offener Bittbrief an Erwin Stefanie Posarnig

Lieber Erwin, ich grüße Dich herzlich, wünsche Dir Gutes und falle gleich mit der Tür ins Haus: Ich brauche Deine Hilfe und Dein Können. Du könntest mich vor einem Selbstmord aufgrund von Zermürbung oder vor dem Totschlagen eines Magistratsbeamten bewahren. Welcher Grund ist Dir sympathischer? Ich wende mich an Dich, weil Du inmitten Deiner künstlerischen Arbeit immer wieder Pickerl machst – die habe ich übrigens auch in Wien, Prag, Zürich, Laibach, kleben sehen. Und in Stanford, Kalifornien, picken sie auch. Mir werden Deine Aufkleber immer wieder abgeschnorrt. Um etwas Ähnliches bitte ich Dich.
Es geht um den akustischen Terror, dem ich permanent ausgesetzt bin und der sich jetzt besonders schlimm auswirkt. Es geht um die Blindenampeln an der Kreuzung, über der ich wohne. Diese Erfindung ist gut gemeint: ein Blinder kommt hin, drückt – plinnnk! – auf den Knopf, und sobald er ein Ratatatata hört, weiß er, dass es Grün blinkt und er sicheren Schrittes die Straße queren kann.

Das sei doch großartig und segensreich, wirst Du sagen. Im Prinzip ja, in meinem Leben nein: Es glauben nämlich alle Passanten, dies sei eine Druckknopfanlage, mit der man das Grün herbeibefehlen könne – und sie drücken wie dressierte Affen. Auf einen blinden Passanten kommen gefühlte zehn Millionen andere. Für mich, der ich in der akustischen Einflugschneise all dieser Ampeln lebe, ist das: als reversierten unter deinem Fenster rund um die Uhr immer wieder LKW – piep, piep, piep! Dann kommt das schwere  Maschinengewehr. Zudem sind die Anlagen so konstruiert: drückt irgendein Nervöser oder ein Kind zehnmal hintereinander auf plink- plink- plink- plink- plink- plink- plink- plink- plink- plink, dann macht es auch zehn Grünphasen lang Ratatatata – Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata – Ratatatata. Gehen Dir diese Wiederholungen auf die Nerven? Dann bekommst Du eine linde Ahnung vom Terror, unter dem ich ständig leide. Einmal, es war gegen drei in der Früh, habe ich eine halbe Stunde lang hinuntergeschaut, keinen einzigen Passanten gesehen, aber der Krach war ungebrochen da und hat mir auf das Hirn gehämmert. Kannst Du dir vorstellen, wie gut man sich da konzentrieren kann?

Die blinde Theresia, der wir manchmal beim Einkaufen oder bei der Erledigung von Geschäfts- und Amtspost helfen, war entsetzt über die Folgen dieser Ampel. Inzwischen wäre es mir lieber, jeder Blinde bekäme meine Telefonnummer, riefe mich an – und ich geleitete ihn als persönlicher Schutzengel über die Gasse.
Ich möge, meinst Du, Ohropax nehmen. Erstens flutscht es, wenn ich endlich doch einschlafe, aus den Ohren. Und als es mir nicht herausgeflutscht ist, haben sich meine Gehörgänge entzündet und taten höllisch weh. Nun, inzwischen weiß jeder Unbedarfte, wie sich chronischer Lärm auf die Gesundheit auswirkt: Schlaflosigkeit, Herzrasen, Blutdruck, Kaputtheit etc.etc. etc. Das alles habe ich dem Magistrat mitgeteilt, ziemlich oft, und um Abhilfe gefleht. Das wäre: das Permanenz- Ratatatata – Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata – Ratatatata auf ein einziges Ratatata zu beschränken. Und zweitens die Blindenampel als Blindenampel zu kennzeichnen. Natürlich nicht für die Blinden, sondern für  – ähm – für die Uninformierten. Damit nicht jeder-jeder-jeder-jeder-jeder-immer-immer-immer-immer-immer drückt. Ich habe auch geschrieben, der zuständige Referent möge sich an meinen Schreibtisch setzen und sich einem Selbstversuch unterziehen. Irgendwann gab es eine Reaktion: belangloses Wischi-waschi, man sei bemüht und bestrebt und überhaupt. Geändert hat sich nichts.

Einmal, das musst Du, lieber Erwin, noch wissen, es war unerträglich heiß und schwül wie dieser Tage, musste ich nachts einfach das Fenster öffnen. Ratatatata – Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata - Ratatatata – Ratatatata. Da habe ich in meiner hilflosen Verzweiflung, ich hatte da schon nächtelang kaum geschlafen, eine zornige Post an den Magistrat gemailt und den Ausdruck “Beamten-Nichtsnutz” getippt. Zwar habe ich mich morgens um sechs, als die Welt noch immer nicht in Ordnung war, zähneknirschend dafür entschuldigt, bekam aber – obwohl diese Mail nicht öffentlich und nur an den Herrn Nichtsnutz DI (FH) gerichtet war – eine saftige Verwaltungsstrafe. Sie wurde, als ich dagegen berief, automatisch verdoppelt. Dafür finden sich Richter, aber für ein bisschen Ruhe nicht. Auch unser aller Bürgermeister weiß davon.

Jetzt – es ist schwül und soll noch heißer werden – möchte ich nachts gelegentlich lüften. Dafür brauche ich Deine Hilfe. Könntest Du runde gelbe Pickerl mit drei schwarzen Punkten herstellen? Die klebe ich in Eigenregie dann auf die Knöpfe dieser gutgemeinten und verfluchten Ampeln. Vielleicht hilft es wenigstens ein bisschen. Auch wenn es dafür wieder Verwaltungsstrafen wegen Amtsanmaßung gibt.

Gib mir bitte Antwort, damit wir die Details abklären.
Mit lieben Grüßen und besten Wünschen für Deine Arbeit!
Mathias

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