20/02/2018

GAT veröffentlicht in der Kolumne Privatissimum vom Grilj jeden dritten Dienstag im Monat Texte zum Nachdenken.

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

20/02/2018
©: Mathias Grilj

Die Erde bricht wie Brot
(Elisabeth Borchers)

Man muss Heimat haben,
um sie nicht nötig zu haben.
(Jean Amery)

Antippen bei einem Begriff, so en passant

Heimat ist, als ich nach fünf Jahren wieder ins Cafe Sperl in der Wiener Gumpendorfer gerate, und die Kellnerin lächelt und nicht ohne Spott flötet: „Wie immer? Klein schwarz und einen Kübel Wasser?“
Heimat ist in der Fremde viel näher als daheim.
Heimat ist, wenn in New York eine heitere schwarze Frau im Autobus für mich, den Unbeholfenen, der kein Kleingeld hat und keine Golden Card, die Fahrt bezahlt.
Heimat ist Deine Stimme, oder?
Heimat ist, wenn du das Kind frühmorgens durch den Tau barfuß in den Garten flattern siehst. Es streichelt in der Morgenröte die Erdbeeren. Dann kommt es zurück, hält dir die Hände entgegen und flüstert: „Riech einmal!“
Heimat ist: Ich hocke verschwitzt und von Moskitos massakriert im stinkenen Autobus, der mich nach Salvador da Bahia de Todos os Santos bringen soll, höre aus dem Radio das steirische „Live is live“, ich verstehe die brasilianischen Moskitos besser und bin wieder gut aufgelegt.
Heimat ist am Nil. Da hockt ein zerknitterter Alter am Straßenrand. Er hat Tee gekocht, am offenen Feuer. Dann seine Geste, die mich, den Passanten, einlädt. Ich hocke mich zu ihm, wir trinken Tee und nicken einander stumm zu, dann kommt das mit dem Tausch der Zigaretten und mit der Gabe des Feuers und mit dem Gefühl: Genauso soll es sein.
Heimat ist: durch die Grazer Herrengasse gehen und ständig links und rechts Bekannte grüßen. Mein ausländischer Freund, ein Kriegsflüchtling, sagt dazu: „Ach, dein Grüßen hat soviel Heimat!“

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+