21/08/2018

GAT veröffentlicht in der Kolumne Privatissimum vom Grilj jeden dritten Dienstag im Monat Texte zum Nachdenken.

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

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21/08/2018
©: Mathias Grilj

Die Sprache ist das
Rückgrat des Menschen.
Lojze Wieser

Jeder Mensch ist besser
als seine Ausdrucksweise.
Jules Renard

So etwas wie der Mensch
existiert nicht.
Szczepan Twardoch

Am besten, Sie schaffen sich
langsam ein dickes Fell an.
Arno Geiger

Risse, Brüche, Verschiebungen, Schäden:
Architektur der veröffentlichten Sprache

Seit Jahren bin ich chronischer Ö1-Hörer und habe meine täglichen Arbeitspläne oft nach den avisierten Sendungen ausgerichtet. Nun hört man mich immer öfter aufbrüllen, vor Wut und Verzweiflung. Dann lugt einer meiner Lieben ins Arbeitszimmer, schüttelt fast mitleidig den Kopf und sagt: „Du hast bestimmt recht, Papa, aber warum kann es dir nicht wurscht sein?“

Dann – „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ – ärgere ich mich nebbich noch mehr:
– „Es hat schon wieder <in keinster Weise> geheißen, ha! Kein, keiner, am keinsten. Ein Super-Superlativ!“
– „Und jetzt sagt er glatt <es macht Sinn>, der Esel! Pah, ein Wissenschafter des Jahres! Er näselt auch <realisieren>, wo er begreifen, erkennen, übernasern, überzuckern oder gneißen meint. Realisieren bedeutet etwas anderes.“

Aber früher, sagen die Lieben, hätte ich auf sowas mit Humor und Pfiff reagiert. „Weißt du noch, wie dich der Chefredakteur der Gratiszeitung zusammengestaucht hat, weil du den Konjunktiv verwendet hast... Dann sagst du diesem Hundenarren lächelnd: <Der gut dressierte Konjunktiv beißt nicht, er will nur spielen.>“

Mag sein, doch jetzt werde alles schäbiger und schlimmer. Mit dem Satzbau, den verstolperten Wortstellungen, der Ausdrucksweise ohne jegliches Gespür für Stil, Musik und Eleganz, somit für Genauigkeit, somit auch für Redlichkeit. Die Lieben mögen sich die Verkommenheit des Angebersenders einmal anhören – nein, doch lieber nicht. „Und dann die schaurige Vermerkelung der Intonation! Diese falschen Betonungen. Man peitscht dir stets die erste Silbe um die Ohren. Ein Pianist heißt dann PIII-!-anist, aktuell AKKK-!-tuell, konservativ heißt KONNN-!-servativ, und statt Oboe hörte ich neulich OOO-!-boe.“

Früher, versuchen es meine Besorgten abermals mit liebevoller Ablenkung, hätte ich gelacht und sächselnd von der „Gänsefleischgrenze“ berichtet. Wo der DDR-Grenzer stets sagte: „Gönn-Se-vlleischd-mal´n-Gofferraum aufffmache?“ Oder ich hätte Ringelnatzens Gedicht von der Kuh aus Leipzig rezitiert. „Die Guuu gibt Milch und schdammd aus Leipz´sch. Wer zuviel Milch dringggt, der bekneippt sisch.“

Aber ich bin in meinem elendsten Element, sodass sogenannte Qualitätszeitungen durch das Zimmer flattern: „Im Profil steht was von der <Ähnlichkeit zu den 20-er-Jahren> – die meinen wohl <Ähnlichkeit mit>. Mit den Präpositionen hat´s die FAZ auch nicht so: <Ängste gegenüber Einwanderern> – warum nicht <vor>? Die Süddeutsche meint, jemand klage vor Gericht <gegen den Konzern> – nein, er klagt den Konzern. Und die Zeit formuliert Sachen wie <zurück in Berlin, baute er...> – falsch! Entweder <wieder in Berlin> oder <nach Berlin zurückgekehrt>. Da wird ein Präfix vom Verb amputiert. Offensichtlich hat die Qualitätspresse jetzt eine Quote für Analphabeten. Diese Liste der Erbärmlichkeit müsste ich stunden – ach, tagelang...“

Ich bin allein im Raum. Denn als ich von Inhalten reden will, vom Repetieren ungeprüfter Klischees, vom miesen Usus, dass Meinungen vor Fakten gehen und dass man, statt zu recherchieren, lieber voneinander abschreibt und einander damit bestätigt, sehe ich, dass die Lieben sich verzogen haben. Vielleicht sprechen sie in der Küche leise darüber, dass aus einem einst witzigen und schlagfertigen Kerl ein mürrischer, rechthaberischer, pitzeliger, störrischer und letztlich unerträglicher alter Sack geworden ist. Auch wenn er in der Sache recht hat.

Um mich ein bisschen zu pazifizieren, verziehe ich mich in ein Hörbuch, den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Johanna Wokalek ist die Bachmann, die nach Paris geschrieben hat „Du hast Wirkung.“ Die Wokalek intoniert „Würgung“. Der alte Mann, der nicht mehr in diese Welt passt, fühlt sich angesprochen. Ich habe tatsächlich eine Würgung. 

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