29/06/2017

Post-Futuristische Designstrategien
Entwerfen in un-utopischen Zeiten

Claudia Gerhaeusser zu Symposium (23.06.2017) und Ausstellung Architecture After the Future (23.06. - 30.07.2017) im HDA Graz

Symposium und Ausstellung mit: José Tomás Pérez Valle, Paolo Patelli, Bika Rebek, Noemi Polo, Miloš Kosec, Paul Landon, Florian Bengert, Ersi Krouska, Mika Savela, Henrik Drufva, Armen Avanessian, Ana Jeinić, Markus Bogensberger, Anselm Wagner.

Passend zu Ausstellung und Symposium entsteht der Blog www.architecture-after-the-future.org
Ab 10 Juli online, strickt er die Idee post-futuristischer Strategien weiter und ergänzt mit Themen und Formaten, Interviews, Texten von Ana Jeinić und Zeichnungen von Andreas Töpfer.

29/06/2017

TeilnehmerInnen vor dem HDA

©: Clara Wildberger

TeilnehmerInnen im HDA

©: Clara Wildberger

Mika Savela

©: Clara Wildberger

Das Symposium Architecture After the Future, kuratiert und initiiert, ebenso wie die gleichnamige Ausstellung, von Ana Jeinić, brachte ProtagonistInnen der europaweit vernetzten Future Architecture Platform in die Stadt. Man rief nicht nur eine neue Krise der architektonischen Disziplin aus, sondern lieferte auch eine entsprechende Zustandsbeschreibung angewandter Designstrategien, die sich in „un-utopischen, harten Zeiten“ etabliert haben.

Draußen vor dem HDA: Demo. Drinnen herrschte volle Konzentration. Es brauchte etwas Zeit, bis sich die zwei Ereignisse am vergangenen Freitagabend in einen Zusammenhang fanden: Drinnen wie draußen ging es zwar nicht um dieselbe Sache, aber die Ausgangssituationen ähnelten sich frappierend. „Etwas läuft entschieden schief“, behaupteten Demo wie Symposium. „Wir“, die Gesellschaft im Sinne der Demonstrierenden, und „wir“, die ArchitektInnen als Raumschaffende, sähen sich demnach durch aktuell bestehende Systemen beschränkt und mit tiefgreifenden Krisen konfrontiert. Auch wenn die Gegenstände gänzlich andere waren, schien sich vor Ort in einem lokalen und zeitlichen Zusammentreffen beider Ereignisse etwas zu verdichten, was die Demonstrierenden als „visions-los“ und das Symposium als „post-futuristisch“, als „un-utopisch“ bezeichnen würden.

Man kann dieses Gegen-Visionen-Sein als eigenständige Kultur verstehen oder wie es Ana Jeinić als Kuratorin zum Ziel hatte, als Aufruf, futuristischer zu werden, um Zukunft wieder zu entwerfen. Die architektonische Disziplin, so der Ansatz des Symposiums, praktiziere mittlerweile die Option gegenwarts-verliebter Gestaltungsstrategien. Dabei betont Jeinić, es sei „..wichtiger diese Kultur zu erkennen, als immer weiter zu behaupten, dass die Architektur funktioniert und optimistisch per se ist.“
Ana Jeinić hat einige Gestaltungsstrategien in der Ausstellung Architecture After the Future gesammelt und kategorisiert. Unter den Stichworten reflexive, reluctant, ephemeral, pragmatic, ironic, relativistic und salvatory werden Autorinnen und Autoren sowie deren künstlerische und wissenschaftliche Projekte vorgestellt. Das Symposium sollte den Protagonistinnen und Protagonisten der Ausstellung gezielten Austausch ermöglichen. Auf einzelne Projektvorstellungen folgte ein themenübergreifendes Interview mit dem Philosophen Armen Avanessian und abschließend eine offene Diskussion.

Die einfache Botschaft der Ausstellung, dass es an der Zeit wäre, der Zukunft unabhängig von der Gegenwart wieder eine Gestalt zu geben, war im Rahmen des Symposiums nur verschwommen zu erkennen. Jeinić erklärte den Zusammenhang zwischen den Beiträgen damit, dass prinzipiell jedes architektonische Projekt, ein Projekt der Zukunft sei: „Every architectural project is a project of future!“. Eine fundamentale Eigenschaft der Architektur ist damit ihre Projektivität, „..die Fähigkeit der architektonischen Planung, hypothetische Räume und künftige Realitäten zu entwerfen.“ Ihrer Hypothese, dass dieses Verständnis und damit die gesamte Disziplin in einer Krise stecke, da sich eine „post-futuristische“ Kultur entwickelte, verlieh sie damit Gewicht. „Post-futuristisch“ kann verkürzt als besondere Art der Zukunfts- oder Änderungsverweigerung gelesen werden. Statt vorantreibende, utopische Visionen und Ziele zu formen, die selbstverständlich im ersten Moment nicht realistisch sind, aber die Option einer noch nicht dagewesenen Realität in sich tragen, erschöpft sich heute, laut Ana Jeinić, vieles innerhalb der Architekturpraxis in einer gegenwartsbejahenden oder ephemeren Haltung. Post-futuristisch hört sich ideenlos an, vermittelt Stagnation, verringert die Spielräume und kommt ausgesprochen unsexy rüber. Die Zukunft scheint damit zu Gunsten der Gegenwart verloren. Diese Krise der Projektivität sollte mit den vorgestellten temporären und ephemeren Projekten greifbar werden.

Ein kurzer Blick ins Publikum und auf die Liste der Vortragenden erweckte den Eindruck, dass das Thema des Symposiums ein junges Gefühl sein muss. Sämtliche Anwesende waren Twenty- oder Thirtysomethings. Sie vertreten eine Generation, die sich prinzipiell einer post-futuristischen Idee von Zeitgeist nicht ausliefern lassen will, es aber noch nicht ganz sicher ist, welchen Anteil sie selbst daran hat. Dennoch lohnt der Einblick in die Szenarien und Gestaltungsstrategien.

Miloš Kosec wurde als Architekt vorgestellt. Er kritisierte die Passivität der heutigen Architektur und deren Haltungen. Die sich in der vergangenen Zeit etablierte Praxis, NutzerInnen eines Gebäudes Gestaltungsspielräume zu schaffen, bezeichnete er als Rückzug und gestalterischen Irrweg. Statt ein Potenzial darin zu sehen, dass eine Entwicklung am und im Gebäude ermöglicht wird, kritisierte er diese von ihm als „I prefere not to..“ bezeichnete Vorgehensweise scharf. Diese Art der Architektur ist für Kosec nur ein weiteres Werkzeug auf dem Weg zu einer neoliberalisierten Workingclass.

Paolo Patelli z.B., ein cross-disziplinärer Kunst- und Architekturforscher, sprach von einem europäischen Realismus, der seines Erachtens, wenn denn konsequent verfolgt, keine Alternativen zulässt. Aufmerksam beschäftigte er sich mit einer vor der Europäischen Zentralbank aufgestellten Skulptur, welche per medialer Verbreitung zu einer Art Erkennungszeichen europäischer Verwaltungs- und Finanzstrukturen wurde. Ein überdimensioniertes Eurozeichen in Blau mit gelben Sternen erinnert an die Flagge der Europäischen Union. Im Internet scheinen sich die zwei, in Frankfurt aufgestellten Exemplare zu multiplizieren. In der Präsentation von Patelli tauchten hunderte Bilder dieses Zeichens auf und vermittelten den Symbolcharakter der Skulptur. Das überließ dem/r ZuschauerIn das Denken. Warum Patelli allerdings aus diesem Symbol eine stark abstrahierte und fragmentierte dreidimensionale Animation erarbeitet hat, konnte sein Beitrag nicht verständlich klären. Paolo Patelli stellte eine Methode vor, deren Produkte er als Nachbauten politischer Symbole in einer „Hütte der Europäischen Identität“ (the hut of European Identity)" zu sammeln pflegt. Is that artifying?

José Tomás Pérez Valle ist ebenfalls Teil dieser Generation, die sich in globalen Netzwerken spielend bewegt und globales Denken gewohnt ist. Er betitelte sein Projekt No-Man’s-Land. Dazu gehört ein großformatiges Bild mit Dreieck, das eine Collage aus einem Modell aus Wellpappe und einem schwarz weißen Close-Up einer Sand- oder Steinfurche zeigt. Die Idee einer Plattform als ein Teil zweier sich gegenseitig bekämpfender Systeme: die Furche gegen die Fläche. Je nach Maßstab, entsteht Architektur. Zumindest entsteht eine Ahnung von Architektur, als dreidimensionale, formale Gestalt. Im Nicht-Sagen der Dinge, also im Belassen einer reinen Form, scheint die Faszination zu liegen. Die Motivation dieses Projekts lag in der Chance den Konflikt nationaler Grenzen zwischen Chile und Peru zu entschärfen.

Bika Rebek von Sibilasoon und Noemi Polo von Amore Agency, zwei junge Frauen aus Slovenien/Österreich und Italien, die eine Woche im HDA an ihrem Projekt gearbeitet haben, präsentierten sich greifbarer. „Contemporary means fast in our days…“ formulieren sie und zeigen gleich mehrere, temporäre und interventionistische Projekte. Die beiden arbeiten mit Stoffen, Canopies und bedienen damit Grundbedürfnisse wie Schutz und Bewegung. Dabei interessiert sie vornehmlich die Oberfläche. Ein langfristig angelegtes Szenario für die Zukunft oder eine entsprechende Designmethode ist auch hier nicht vermittelt, was Ana Jeinić’ These zur post-futuristischen Gegenwart wieder etwas stärker werden lässt. Dabei schließen Sibilasoon und  Amore Agency ihre Präsentation mit interessanten Fragen: "Is the Apple store the contemporary cathedral? Is Google the new god? Will we be the last generation that actual dies? Facebook keeps us alive for ever, doesn’t it?"

Alle Beiträge des Symposiums sind eine lose Sammlung, aus der sich der/die ZuhörerIn einen Reim oder das eigene Puzzle legen muss, um die post-futuristische Krise auch wirklich sehen zu können. Großformen, formale dreidimensionale Abstraktionen gesellschaftlicher Zustände und auch Interventionen wie hängende rote Teppiche oder schimmernde, textile Baldachine, hatte man schon öfter gesehen. Vielleicht lässt sich aber auch in Topfpflanzen, Wellpappencollagen und großformatigen 3D-Bildern der Aufruf futuristisch interessantere Visionen für die Architektur zu entwickeln, gar nicht darstellen?

Da hilft die Ausstellung. Die kleinen Handzeichnungen des Berliner Illustrators Andreas Töpfer aus der Ausstellung geben wesentlich mehr Hinweise auf die selbstausgerufene post-futuristische Krise als der/die ein oder andere ProtagonistIn in der Kürze der Zeit auf dem Symposium vermitteln konnte. Am Ende waren es Artifier, Cross-Disciplinary Researcher, Interventional Activists and Social Beautifyer, die zu Wort kamen. Welche Auswirkung diese Gedanken für die Architekturpraxis haben könnte, schien meines Erachtens am Freitagabend noch die Sache einer Zukunft zu sein.

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