09/09/2019

PLUS / MINUS – Baukultur

MINUS:
Rendite siegt über Baukultur

Am Beispiel
Wohnen am Central Park, Eggenbergergürtel 50, 8020 Graz, einem Wohnprojekt der BWST mit 220 WE, ist der Qualitätsverlust zwischen dem Wettbewerbs-Projekt und der Realisierung nachvollziehbar.

Ein Lokalaigenschein von Elisabeth Kabelis-Lechner

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In der Kommentar-Reihe
PLUS / MINUS werden kurz und bündig positive wie negative Gestaltungen und Details aufgezeigt, die das Auge erfreuen oder beleidigen.

Sollten Sie, werte Leseri und werter Leser, auch bemerkenswerte Entdeckungen im öffentlichen Raum machen, so laden wir Sie ein, diese abzulichten und im jpg-Format mit einem kurzen Text und Ihrem Namen per eMail an redaktion@gat.st zu senden.

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09/09/2019

Wohnen am Central Park', Eggenbergergürtel 50, 8020 Graz. Realisierte Ostfassade. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ostfassade, Wettbewerbsrendering von Arch. DI Clemens Kirsch

Realisierte Fassade zum Gürtel. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Fassade zum Gürtel, Wettbewerbsrendering von Arch. DI Clemens Kirsch

Realisierte Westfassade zur Bahn. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Westfassade zur Bahn, Wettbewerbsrendering von Arch. DI Clemens Kirsch

Realisierter 'Central Park'. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Central Park', Wettbewerbsrendering von Arch. DI Clemens Kirsch

Realisierter Spielbereich an der Bahn. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Realisierte 'Platzerln' an der Bahn. Foto: Elisabeth Kabelis-Lechner

Diesem seit kurzem fertiggestellten Wohnbau gingen zwei Qualitätssicheurngsinstrumente – man glaubt es kaum – nämlich ein zweistufiger Architekturwettbewerb nach dem Grazer Modell und ein Bebauungsplan voran.

Rückblende zur Geschichte des Bebauungsplanes Eggenbergergürtel 50:
2008 wollte der damalige Eigentümer ein Fachmarktzentrum mit Bürogebäude errichten und suchte um Erstellung eines Bebauungsplanes an, 2012 wurde um Errichtung einer Hochgarage anstatt einer Tiefgarage angesucht und wurde diese mit einer Änderung ermöglicht. 2015 suchte der neue Eigentümer, die Wohnungsgenossenschaft BWS, um Ersatz des Bebauungsplanes an, da sie eine Wohnanlage anstatt des Fachmarktzentrums errichten wollte. 2014 wurde ein 2-stufiger Architekturwettbewerb nach dem Grazer Modell abgewickelt. Der Gewinner des zwei-stufigen Wettbewerbes erstellte das Gestaltungskonzept für den Bebauungsplan.

Die Grundstückslage zwischen stark befahrenem Eggenberger Gürtel und der Südbahn, mit Nachbarn wie Umspannwerk, Tankstelle und Stahlwerk sollte für einen Wohnbau eigentlich ungeeignet sein. Denn die beste Architektur kann starken Lärm, Elektrosmog und Feinstaub nicht wegzaubern.
Durch den anhaltenden Immobilienboom werden, wie Karin Tschavgova bereits 2018 auf GAT bemängelte, auch solche Grundstücke für Wohnbaunutzung verwertet. Vermarktet wird dann mit besonderer Hervorhebung der angeblichen Projekt-Highlights:
„Am Eggenberger Gürtel in Graz wird eine Wohnhausanlage Wohnen am Central Park mit insgesamt 220 Wohnungen (…) errichtet. Wer hier wohnt, erlebt urbane Lebendigkeit. (…) Die vier Baukörper bilden ein Carré, dessen Mitte eine große begrünte Parklandschaft, der Central Park bildet. Diese Anlage zeigt, wie man im 21. Jahrhundert wohnt und lebt. (…) Mit unserem Projekt Wohnen am Central Park haben wir die Antwort auf die Zukunft.
Der Architekt spricht von einer „großen, dschungelartigen Parklandschaft, dem 3.500m2 großen Central Park und der Idee, „einen Grazer Hof zu realisieren“.

Ein Innenhof ist noch kein Central Park, 100% Wohnnutzung im Kerngebiet bieten keine „urbane Lebendigkeit“ und ein Carre´ aus vier Baukörpern ist noch kein „Grazer Hof“.
Aber abgesehen davon wurden im Siegerprojekt doch einige Freiraumqualitäten versprochen, bzw. sogar von der Wettbewerbsjury zur Überarbeitung empfohlen wie z.B. differenzierte Randzonen, die in der Realisierung nicht zur Ausführung gekommen sind. Wbenso wie z.B. die Baumvielfalt im Hof: Trompetenbäume, Lebkuchenbäume, Ebereschen und Götterbäume waren vorgesehen. Gepflanzt wurden einheitliche Bäume, die eher wie Großbüsche aussehen.
Geplant waren auch Rodelhügel und mehrere Sandkisten im Central Park sowie weitere vier „Platzerln“ mit Sitzdeck und Spielbereichen im schmalen Grünstreifen zur Bahn. Sogar zum wenig einladenden Gürtel wurden drei „Platzerln mit Sitzdecks“ geplant. Kein einziges Holzdeck wurde realisiert, die „Platzerln“ im Westen zur Bahn sind zu Asphaltflächen  mutiert, die versprochenen Spielbereiche haben sich auf einen Bereich mit Schaukel und Balanciergerät reduziert.

Wer verantwortet diese Qualitätsminderung?
Aus eigenen Erfahrungen drängte sich mir die Vermutung auf, dass die Freiraumarchitektur, wie so oft, dem Sparstift zum Opfer fiel. Nachfragen beim zuständigen Architekturbüro und den Landschaftsplanern haben diese Vermutung bestätigt. Architekten und Freiraumplaner haben gekämpft, sogar um jeden Quadratmeter Sandkiste – mit wenig Erfolg. In der Ausschreibung waren noch die Planungsvorgaben für differenzierte Außen- und Spielbereiche enthalten. Danach hat sich der ausführende Generalunternehmer mit seinen Sparzielen gegenüber dem Bauherren durchgesetzt. Die zwei realisierten Spielgeräte am Grünstreifen zur ÖBB sind zwar dem Einsatz der Architekten zu verdanken, entsprechen aber nicht der Auswahl der Landschaftsplaner. Der Bauträger wollte Spielgeräte komplett einsparen mit dem Argument, dass laut Behördenauskunft auch eine Wiese ohne Spielgeräte ein Spielplatz sei. Überhaupt seien laut Architekten nur die „Musskriterien der Stadt“ umgesetzt worden, wie z.B. die Anzahl an Bäumen. Die Bauleitung lag auch nicht in der Hand der Architekten, Qualität und Art der Ausführung machten sich Bauträger und Generalunternehmer aus. Die Landschaftsplaner warnten sogar davor, auf attraktive Kinder-u. Jugendspielbereiche zu verzichten. Eine mögliche erste negative Auswirkung der Einsparung von in der Vermarktung angepriesenen „herausragenden“ Vorteilen und allgemeiner Qualitätsminderung ist möglicherweise die, dass nun ein Teil der Wohnungen als „Studentenhit – Studieren und Wohnen am Park“ angeboten werden. (siehe Foto ganz oben)

Dieses Projekt ist leider kein Einzelfall, wo Architektur und Baukultur den Kürzeren gegenüber Profit und Rendite ziehen. Architekturwettbewerbe ohne qualitätssichernde Umsetzungskontrollen sind in einer neoliberalen Gesellschaft zu wenig. Daher sind dringend wirksame Maßnahmen zur dauerhaften Sicherung von Wettbewerbsergebnissen erforderlich. Denn oftmals waren und sind gerade die später „weggesparten“ oder reduziert und lieblos ausgeführten Planungsvorschläge für den jeweiligen Juryentscheid und Wettbewerbssieg ausschlaggebend gewesen.

Wohnen am Central Park
Eggenbergergürtel 50, 8020 Graz
220 Wohnungen
Architektur: Clemens Kirsch, Wien
Landschaftsplanung: Rajek Barosch Landschaftsarchitektur
Bauträger: bwst - Gemeinnützige allgemeine Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft, registrierte Gen.mbH, 
Margaretengürtel 36-40, 1050 Wien

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