14/04/2022

Open Call: Gift

Abhängigkeit hat viele Gesichter.
Schaumbad, das freie Atelierhaus Graz, lädt ein, Konzepte für die bevorstehende Ausstellung einzureichen.

Einreichfrist:
15. Mai 2022
Ausstellungseröffnung:
10. Juni 2022

14/04/2022
©: Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz

Abhängigkeit hat viele Gesichter. Zum einen sind wir abhängig von Sozialkontakten, der Wirtschaft, der Natur. Darüber hinaus tun sich individuell unterschiedliche Abhängigkeiten auf, von der aktuellsten Mode, den neuesten Apps, notwendigen Medikamenten bis hin zum scheinbar freiwilligen Genuß legaler wie auch illegaler Suchtmittel.

2020 gab es durch die Pandemie ein kollektives Erleben von Unausweichlichkeit, wie es die meisten von uns bislang nicht gekannt haben. Ungeachtet des persönlichen Standpunkts konnte sich niemand dieser Realität entziehen. Viele fanden sich – vor allem während der Lockdown-Phasen – auf sich selbst zurückgeworfen, konfrontiert mit Überforderung, Langeweile, Angst, Einsamkeit oder zu größer Nähe, und das ohne wirksame Strategien, all diesen Dingen zu begegnen. Eine Umfrage des Global Drug Survey (GDS) im Mai und Juni 2020 ergab, dass 41 Prozent der Befragten öfter, 36 Prozent mehr Alkohol seit dem Ausbruch der Pandemie trinken als zuvor.*

Doch Rauschmittel spielen nicht erst seit Corona eine gewichtige Rolle im menschlichen Leben. Mit viel Phantasie fanden die Menschen immer Wege, „high“ zu werden – kein Kraut ungeraucht, keine Frucht unvergoren, dazu Pilze und giftige Kröten, ganz abgesehen von den „Segnungen“ der Chemie. Die Darstellungen mehr oder weniger heiliger Räusche haben Einzug in den Kanon von Kunstgeschichte und Literatur gehalten. Im Gilga-mesch-Epos zum Beispiel, der ältesten bekannten Dichtung der Welt, trinkt Enkidu, der göttliche Begleiter des Helden, fünf Krüge Bier, spürt ein inniges Behagen und wird zum Menschen. Alte Bildtafeln zeigen Sumerer beim Biertrinken mit Saugrohren, in Pieter Bruegels Schlaraffenland ist der Müßiggang nach zu vielem Essen noch legi-tim, doch spätestens in Hieronymus Boschs Garten der Lüste beginnt sich auf der rechten Bildtafel der Abgrund aufzutun, welcher mit dem Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten einhergeht. Schließlich landet die Absinthtrinkerin von Picasso in einem Zustand der Agonie – verhärmt und in sich zusammengesunken sitzt sie am Tisch.

Heute sind zahlreiche Süchte hinzugekommen und haben sich in unserer Gesellschaft etabliert – völlig legal, alltäglich und von Werbung befeuert: Zum Beispiel die Sucht nach Optimierung unseres Körpers, sei es durch chirurgische Eingriffe, Sport, leistungssteigernde Getränke oder Medikamente. Das Fernsehen, Social Media, Computerspiele bestimmen unser Leben.

Die Neigung zu Abhängigkeit und Sucht scheint in uns eingebaut zu sein: Tief in unseren Gehirnen sitzt das sogenannte Belohnungszentrum, das Gefühle von Freude und Zufriedenheit in uns auslöst, wenn es von der körpereigenen Droge Dopamin stimuliert wird. Dopamin wird ausgeschüttet durch positive Reize wie gutes Essen oder bei Tätigkeiten, die Spaß machen. Durch Drogen aller Art wird dieses Belohnungszentrum ebenfalls stimuliert.

Weil die Stimulation durch Drogen anfangs so gut funktioniert, indem sie einen bestimmten bevorzugten Erlebniszustand erzeugt – Erleichterung verschafft, Entspannung oder angenehme Anregung vermittelt – kann die Sehnsucht nach eben jenem Zustand zu einem Verlangen führen, das mit dem Verstand nicht mehr zu kontrollieren ist. Ein Teufelskreis beginnt, denn das Belohnungszentrum stumpft ab und muss mit immer größer werdenden Mengen der jeweiligen Substanz wieder wachgerüttelt werden.

Im Gegensatz zur Abhängigkeit von Drogen, bei der die persönliche Entfaltung und die sozialen Chancen eines Individuums massiv beeinträchtigt werden, wird Verbundenheit als das Gefühl bezeichnet, einer anderen Person oder Personengruppe, sowie einer Sache oder einer Begrifflichkeit zugehörig zu fühlen und in einer vertrauensvollen Beziehung zu stehen. Nach Friedmann Schulz von Thun ist die Verbundenheit eines der vier seelischen Grundbedürfnisse – neben dem Empfinden von Eigenwert, einem ausreichenden Grad an Freiheit und dem Bedürfnis geliebt zu sein.

Sind diese Qualitäten in einem menschlichen Leben nicht ausreichend gegeben, entsteht seelischer Schmerz. Die Menschen haben allerdings schnell gelernt, dass durch die Aktivierung der neuronalen Belohnung Schmerzgefühle verschwinden und der Weg dazu durch Nikotin, Alkohol, Opiate, Hypersexualität oder Glücksspiele abgekürzt werden kann. Nach dem kanadischen Mediziner Gabor Maté sind Substanzenmissbrauch und Suchtverhalten Mittel, um Schmerz nicht fühlen zu müssen. Sind wir eine „süchtige Gesellschaft“, die ihre Schmerzen betäuben muss?

Künstler:innen des Schaumbades und Kolleg:innen aus dem In- und Ausland begeben sich auf Spurensuche und thematisieren den Spannungsbogen zwischen Abhängigkeit und Verbundenheit in ihren Arbeiten zu dieser Ausstellung. Das Schaumbad wird zum Forschungslabor für gesellschaftliche Entwicklungen in Krisenzeiten. Ein wissenschaftlicher Diskurs unter Einbeziehung von Expert:innen, Institutionen und Betroffenen (sind wir das nicht alle?) sowie fächerübergreifende Kooperationen mit anderen künstlerischen Sparten (Performance, Literatur, Musik) begleiten das Projekt und runden das Programm in Form von Diskussionen und Workshops ab.

Kuration: Keyvan Paydar, Elke Murlasits

Intitiiert von Eva-Maria Gugg

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ZUR EINREICHUNG

Bei einer Einreichung sind folgende Unterlagen mitzusenden: ein Konzept, Bild bzw. Skizze des Vorhabens sowie eine detaillierte Beschreibung der Arbeit mit Angabe der Größe und Materialien.

Außerdem sind Informationen zur Person bzw. dem Kollektiv beizulegen (eine künstlerische Kurzbiographie, Portfolio sowie Link zur Webseite, wenn vorhanden)

Einreichfrist ist der 15. Mai 2022.

Die Ausstellung eröffnet am 10. Juni 2022.

Einreichung bitte per Mail an: schaumbad@mur.at

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