09/03/2020

Der Grazer Konditor Wolfgang Phillipp ist mit 79 Jahren verstorben.

Nachruf von Karin Tschavgova

09/03/2020

Wolfgang Phillipp, Konditor. Screenshot siehe Link > facebook.com

©: Redaktion GAT

Nun ist Wolfgang Phillipp, der Konditor, der das elterliche Geschäft nach der Lehre übernahm und den Ort seines Wirkens nie wechselte, mit 79 Jahren verstorben. Unter den Grazer Eismachern war er sicher nicht der Prominenteste, denn nach Hollywood zog es ihn nie. Der Ausbau der bis nach seiner Übernahme 1966 noch winzigen Kaffee-Konditorei am Ruckerlberggürtel nahe Krenngasse, die Lehrtätigkeit an der Berufsschule und die immer wieder innovative Weiterentwicklung seines Angebots genügte ihm. Philipp war einer der ersten, der den Torten das Schwere, das Zuckersüße und Schlagobersgeile nahm. Dabei ging er durchaus wissenschaftlich vor, experimentierte mit seinen Ingredienzien wie ein Chemiker. Als Lehrer und Mensch, der kommunikativ war – leutseelig passt viel besser für Herrn Philipp – war es ihm auch ein Bedürfnis, sein Wissen unter die Leute zu bringen. Unvergessen bleibt mir seine Erklärung, wie gutes Stracciatella-Eis sein muss und dass man genau an dem Eis sehen kann, wer als Konditor sein Handwerk versteht. Und die Geschichte ging so: Das Milcheis muss in der Eismaschine im Rührmodus sein, die Temperatur und vor allem die Geschwindigkeit exakt eingestellt, und die Schokolade flüssig eingeträufelt, denn nur so – und das sei das Geheimnis des guten Stracciatella – erhalten die Schokostückchen als Tropfen, deren zarte Hülle hart wird und innen weich bleibt, die richtige Konsistenz. Nur dann ist das Verhältnis der Schokolade zum Eis, das auch im Mund zergehen und seinen Geschmack entfalten soll, richtig. Nur so, betonte Herr Philipp streng. Noch heute spüre ich den Geschmack und die Konsistenz der Schokostückchen im Mund, ohne das Eis damals geschleckt zu haben, wenn ich an diese große Erzählung denke. Es müsste an dieser Stelle gar nicht erwähnt werden, dass das Eis vorwiegend mit frischen Früchten gemacht wurde und Herr Philipp, der Sparsame, den guten Verkauf bestimmter Sorten mit Sorge beobachtete, weil deren Rohstoffe zu teuer waren.
Noch heute habe ich in wunderbarer Erinnerung, wie der Konditor zum Künstler in Künstlers Gnaden wurde. Und das kam so. Im Jahre Schnee, in den frühen 1980ern (wer das Jahr weiß, möge sich bei mir bitte melden) lud die Akademie Graz zu einem sommerlichen Workshop mit Daniel Spoerri. Dessen Motto war die Verfremdung (auch den genauen Titel habe ich vergessen) und Spoerri ließ die Studenten und Studentinnen Gegenstände des Alltags wie Schreibmaschinen oder Traktorsitze durch Einbacken, (ja, das stimmt) von Brotteig verfremden. Zum Abschluss wollte er ein Bankett veranstalten, bei dem alle Speisen, durchwegs gängige Speisen, durch die Verwendung ganz anderer Zutaten und Gewürze, anders schmecken sollten als sie aussahen. Verfremdet eben. Wer Näheres darüber wissen will, erfährt dies gern bei einem Glas Wein. Doch nun zurück zum kunstvollendeten Einsatz von Wolfgang Philipp. Der wurde genannt oder meldete sich als Konditor vor Ort, der Spoerris Wunsch nach einem folgerichtigen, auch besonderen Abschluss des Diners, erfüllen konnte. Herr Philipp zauberte auf einer Fläche von einem Quadratmeter ein Stillleben aus Abfällen eines Küchenabfallkübels – Gemüsereste, Apfel- und Zitronenschalen, auch Zigarettenstummel, alles aus Marzipan, Kuchen und Zuckerglasur. Das Ergebnis war so großartig, dass daraus eine Freundschaft mit dem Künstler Daniel Spoerri entstand und ihn dieser auch zu anderen Aktionen einlud. Schade, dass die Skulptur „Die Rauchenden Köpfe“ von Daniel Spoerri, die bis zum letzten Jahr im Gastgarten stand, den nun nicht mehr ziert. Sie war ein gutes Beispiel dafür, dass Kunst auch etwas mit Alltag und einem durch Kunst bereicherten Leben zu tun haben kann – lehrreich für Kinder, die sie ohne Scheu in Besitz nahmen.
Meine persönliche Begegnung mit der Konditorei Philipp begann schon als Kind, etwa zu der Zeit, als Wolfgang Philipp sie übernahm. Der Weg von der Endstation der Straßenbahn zum Internat in die Plüddemanngasse führte das Landkind immer über den baumbestandenen Ruckerlberggürtel – naturgemäß. Dabei lernte das Kind, das schon damals schokoladensüchtig war, die süßen Verlockungen der Konditorei kennen und „vertranschelte“ das viel zu wenige Taschengeld zur Gänze mit dem Kauf der wunderbaren Schokotrüffeltorte. Die wollte das Kind schon auf dem Weg essen, damit es sie nicht teilen musste mit den anderen im Heim. So lernte das Kind die Straße kennen, die Vorgärten lieben und wusste als einzige, dass Jochen Rindt gleich neben der Konditorei aufgewachsen und ein Jugendfreund von Herrn Philipp war. Aus all dem entstand eine lebenslange Verbundenheit mit dem kunstsinnigen Konditor, der mit seinem Eiswagen auch das jährliche Frühlingsfest im Skulpturengarten bereicherte. Eis feil, ei wo Eis feil, lief sie o wie lief sie.
Her Philipp war immer für ein kurzes oder auch längeres Plauscherl zu haben, jammerte gern ein wenig über die Zeiten, die angeblich schlechter wurden, aber ließ letztlich doch immer durchblicken, dass er ein lebensfroher Mensch war. Bis fast zuletzt tauchte er immer wieder hinter der Theke in der Konditorei auf, die vor wenigen Jahren seine Tochter Elisabeth übernommen hat. Die, die ihn ein wenig besser kannten und schon lange, ahnten wohl, dass dies Kontrollbesuche waren. Ja, er konnte schwer loslassen. Diese Visiten nur darauf zu reduzieren, wäre ungerecht, denn sicher ist eines: So wie für uns langjährige Gäste, die wir felsenfest davon überzeugt sind, dass Philipps Eis das beste ist, und die Konditorei Philipp viel, viel mehr sei als ein Ort zum Kaffee trinken, Kuchen essen und Eis schlecken, so war sie auch für Herrn Philipp alles. Es war sein Lebensplatz. Eines Lebens, das ich, ohne ihm zu nahe treten zu wollen, als geglückt bezeichnen würde. Mit einer Schwäche fürs Granteln – ich glaube, es war nicht mehr als l’art pour l’art - und einem untrüglichen Gespür für die Kunst seines Handwerks.
Sie haben es vielleicht erkannt. Mit Daniel Spoerri teile ich die Liebe zu Palindromen, zu Sätzen, die sich auch rückwärts lesen lassen. Erlauben Sie mir deshalb, Herrn Philipp diese nachzurufen: Nee, die ideen! Wie wahr, er war ein Kreateur. Und nu? Wer weiß, vielleicht versüßt er den anderen da oben noch die himmlischen Tage. Ihm ist es zuzutrauen. Oh Cello voll Echo!

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