23/11/2008
23/11/2008

‚Tatsächlich gründet die Schönheit eines japanischen Raumes rein in der Abstufung der Schatten’

Die Philosophie der japanischen Ästhetik, wie sie uns Tanizaki Jun’ichiro einfühlsam und originell in diesem kleinen Büchlein nahe zu bringen versucht, ist ein Eintauchen in Wirkung und Schönheit des Schattens - ganz im Gegensatz zu dem Zeitalter des Lichts und der (blendenden) Helligkeit (in) unserer westlichen Welt. Es ist ein uns völlig unbekannter, positiver Umgang mit der von unserer Kultur negativ besetzten ‚Schatten’ – Seite.

Auch wenn Tanizaki Jun’ichiro diesen Essay (schon) 1933 erstmals veröffentlichte, so gelten seine Beobachtungen im Allgemeinen auch heute noch und erklären Grundregeln der traditionellen, japanischen Kultur und die Herangehensweise an Architektur mit für uns überraschenden Überlegungen und kleinen, aber wichtigen Details wie Farbe, Licht und Schatten. Denn auf die kommt es vor allem an! Hier als Beispiel eine Beschreibung des japanischen Aborts, der sich immer in einiger Entfernung vom Wohnhaus befindet: ‚Es dürfte wohl kaum einen Ort geben, wo man dieses Wohlgefühl deutlicher empfindet, als den japanischen Abort, der von ruhigen Wänden und feiner Holzmaserung umgeben ist, der den Blick auf die Farben des blauen Himmels und des grünen Laubwerks freigibt. Dazu gehört unabdingbar ein gewisses Halbdunkel, gründliche Sauberkeit und eine Stille, die selbst das Summen einer Mücke zum Ohr dringen lässt. Ich liebe es, auf so einem Örtchen dem sanften Rieseln des Regens zu lauschen…. In der Tat gibt es keinen geeigneteren Ort, um das Zirpen der Insekten, den Gesang der Vögel, eine Mondnacht, überhaupt die vergängliche Schönheit der Dinge zu jeder der vier Jahreszeiten auf sich wirken zu lassen…….’.Dem Abort ist viel Raum gewidmet: ‚….und vermutlich sind die alten Haiku – Dichter ebenda auf zahllose Motive gestoßen. So könnte man behaupten, die japanische Architektur habe hier ihren raffiniertesten Ausdruck gefunden.…….’

Durch das Zurückdrängen des Sehens und Schauens im Dämmerlicht wird die Bedeutung des Tastsinns bewusst verstärkt und der Tastsinn selbst gestärkt. Am Beispiel einer leichten Lackschale mit Suppe wird der Vorgang und die Empfindungen vom Ergreifen der Schale, ihr weicher Glanz, die lebendige Wärme und Schwere ihres Inhalts bis zu ihrem Ansetzen an die Lippen fast wollüstig detailreich beschrieben. – Das Schlürfen der Suppe enthält dadurch eine Art von Mystik, erhält einen Anstrich von Zen.

Von Architekturdetails wie dem tiefen Vordach, dem ‚shoji’ - Fenster, dem Bad, dem Garten bis hin zu den kleinsten Gerätschaften über die Kleidung, das No-Theater leitet Tanizaki Jun’ichiro zur Schönheit der Frau mit geschwärzten Zähnen, wegrasierten Augenbrauen und dem besonderen Weiß ihrer Hautfarbe – und dem von Reis über. Nicht ohne einen Exkurs über Verkehrsampeln, Ventilator und andere Themen aus dem Alltagsleben.

Tanizaki Jun’ichiro lebte von 1886 bis 1965. Er war Mitglied der japanischen Akademie der Künste und lange favorisierter Kandidat für den Literaturnobelpreis. Er veröffentlichte 119 Werke: Essays, Romane, erotische und diabolische Literatur, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Essay über ‚Das Lob des Schattens’ ist sein am weitesten verbreitetes Werk. Es wurde erstmals 1933 unter dem japanischen Titel ‚In’ei-raisan’ in der Zeitschrift Keizai-orai veröffentlicht.
Das kleine Büchlein enthält 84 Seiten und eignet sich hervorragend als interessantes und amüsantes Weihnachtsgeschenk zum Lesen im Spiel des Kerzenlichts unter dem Weihnachtsbaum.

Tanizaki Jun’ichiro
Lob des Schattens
Entwurf einer japanischen Ästhetik
Manesse Verlag Zürich
ISBN: 978-3-7175-4039-7
84 Seiten, keine Abbildungen
Euro 10,20

Verfasser/in:
Eva Mohringer-Milowiz, Buchempfehlung
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16. + 17.11.2023
 
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