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Einst prachtvolle Einkaufsstraße, jetzt mit Leerständen durchsetzt: Annenstrasse, Graz
©: Marlene Liska

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Bericht
Leerstand als Chance
Innenstädte sterben (immer noch) aus

Im Laden einzukaufen hat auch deshalb keine so gute Bilanz, wie man denken könnte, weil viele Menschen mit ihrem Auto in die Stadt fahren und dort lange nach einem Parkplatz suchen. Lieferfahrzeuge transportieren Pakete auf optimierten Lieferrouten und kommen so im Vergleich zum Auto auf bessere CO2-Bilanzen.

Über kurz oder lang wird wohl kaum noch jemand in die Innenstadt kommen, um einzukaufen. Jedenfalls nicht in den Geschäften, die dort seit Jahrzehnten das Straßenbild dominieren.

Doch wäre das eigentlich so schlimm? Wenn ich an die Essener Innenstadt denke, sehe ich schon lange nicht mehr den familiengeführten Herrenausstatter, sondern Primark. Essen war eine der ersten Städte Deutschlands, in der das Unternehmen eine Filiale eröffnete. Noch heute steht dort die deutsche Zentrale. Essen, die Einkaufsstadt eben. Tatsächlich kamen Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet, um extrem günstige Kleidung zu kaufen. Doch die Zeiten sind vorbei. Im Rückblick lautet meine These: Mit der Eröffnung des Primark-Geschäfts hat das Verramschen der Innenstadt begonnen. Dessen letzte Konsequenz sehen wir jetzt, wenn wir durch die leeren Straßen laufen. Ich denke, es war der Fokus auf Konsum, der die Innenstadt zur einsamen Ghosttown gemacht hat. Wir haben die Stadt zu einer Verkaufsfläche gemacht.

Das Ende der Innenstadt als Konsumort ist deshalb bedauernswert, weil Menschen in den Fußgängerzonen nicht nur eingekauft haben, sondern auch mal zufällig den Nachbar:innen begegnet sind, einen Kaffee getrunken oder sich in einem Park ausgeruht haben. Ich erinnere mich, dass ich mich früher gerne mit Freund:innen in der Stadt getroffen habe. Nicht, um einzukaufen, – das wäre auf Dauer auch zu teuer gewesen –, sondern einfach, um abzuhängen: Treffpunkte, die nicht explizit zum Shoppen da sind, gibt es heute kaum noch.
Wir verlieren analoge Läden, aber gewinnen damit eines: die Möglichkeit, unsere Innenstädte neu zu erfinden. Sie zu Orten zu machen, an denen sich Menschen wieder gerne aufhalten oder vielleicht sogar wohnen.

Einige Initiativen haben schon damit angefangen: Das Projekt „Stadtlabore für Deutschland“ des Kölner Instituts für Handelsforschung zum Beispiel hat in Zusammenarbeit mit 14 Städten eine digitale Plattform konzipiert, die den Verantwortlichen einen Überblick über den Leerstand, die angebotenen Gewerbeflächen und mögliche Anmieter:innen geben soll. Die Macher:innen wollen für den Leerstand eine Lösung finden, möglichst noch bevor er entsteht. „Die Stadtmacher“ aus Coburg vermieten freie Lokale kurzfristig und günstig an Kreative und Studierende, etwa für Ausstellungen in den Schaufenstern. In Bremen konnten sich Menschen mit Ideen an einem Wettbewerb beteiligen und so eine 600-Quadratmeter-Immobilie für mehrere Monate mietfrei übernehmen und in einen Concept-Store verwandeln.

Verfasser / in:

Lena Fiedler

Datum:

Mon 28/11/2022

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Kommentare

Leerstand

Ja ich hab das letzte Woche (aber das geht ja schon viel länger) auch wieder beobachtet. Zum Teil war ich mir nicht sicher: Lebt das noch oder ist es schon tot?

Infobox

„Wenn die H&Ms und Primarks verschwunden sind, gibt es endlich wieder Platz für Menschen.“

Lena Fiedler, Journalistin mit Ruhrgebietsvergangenheit, hat entschieden, sich nicht dem allgemeinen Pessimismus der sterbenden Innenstädte anzuschließen und erklärt in ihrem Artikel auch warum.

Marlene Liska ist mit dem Fotoapparat unterwegs gewesen und stellte fest, dass Graz mit seinen Leerständen 'ne Menge Potenzial für Menschen hat.

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