08/06/2018

Leer wie meine Seele
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Wenzel Mraček zur Tagung fluchtBILDER : HEIMATbilder am 24. Mai 2018 in Graz

(*) aus einem Zitat eines Malers zu seinem Bild: es sei so "leer wie meine Seele“

Die Veranstaltung fluchtBILDER : HEIMATbilder entstand in Kooperation von denkzeitraum Graz und Camera Austria.

ReferentInnen
Jan Zychlinski (Dozent BFH Bern/Fotograf), Klaus Petrus (Philosoph/Fotograf), Gundi Grosse (WDR/Redakteurin), Maryam Mohammadi (Fotografin/Künstlerin), Reinhard Braun (Künstlerischer Leiter Camera Austria), Joachim Hainzl (Sozialpädagoge/historiker/Künstler), Emil Gruber (Kulturjournalist/Fotograf/Sammler), Gerhard Maurer (Fotograf) und Elisabeth Steiner (Journalistin/Leiterin einer Flüchtlingspension).

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08/06/2018

Buchcover: Elisabeth Steiner, Gerhard Mauerer: FremdenZimmer. Klagenfurt (Heyn) 2017.

Das Institut für Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz initiierte im Jahr 2011 das Projekt denkzeitraum. Seither wird unter Leitung der Professoren Barbara Reiter und Lukas Meyer ein „partizipatorischer Prozess des Nachdenkens im öffentlichen Raum“ durchwegs im Rahmen frei zugänglicher Symposien in Gang gehalten.
In Kooperation mit der Camera Austria fand am 24. Mai 2018 eine Veranstaltung unter dem Titel fluchtBILDER : HEIMATbilder statt, in der man Fragen um Bilder – auch im übertragenen Sinn – nachging, die etwa mit der Situation um die seit 2015 erfahrene Flüchtlingsbewegung zusammenhängen. In Vorträgen und Diskussionen wurden Möglichkeiten und Grenzen der empathischen fotografischen Dokumentation des Verlusts von Heimat durch Flucht und der Identifizierung mit (neuen) Heimaten behandelt.
Die in Graz lebende und aus dem Iran stammende Fotografin Maryam Mohammadi nennt als vorrangingen Grund für ihre Übersiedelung nach Österreich im Jahr 2009 die Unmöglichkeit infolge der politischen Situation, ihre fotografischen Arbeiten im Iran zu veröffentlichen. In einer Fotoserie mit dem Titel Es liegt in den Frauenhänden ging Mohammadi von der Überlegung aus, dass ImmigrantInnen stets auf der Suche nach einem Stück Heimat seien. In ihren Fotografien halten 118 Frauen jeweils ein Identifikationsobjekt in Händen. Zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft besuchte die Akademikerin verpflichtende Sprach- und Integrationskurse, nach denen sie unter anderem wissen musste, „wie viele Fenster das Schloß Eggenberg hat“. (Bitte dazu keine Zusendungen mit Antworten, es gibt nichts zu gewinnen!)
Mohammadi ist mit dem Grazer Sozialpädagogen und Sozialhistoriker Joachim Hainzl verheiratet. Im Zuge der Vorbereitungen und „Erbringungen“ zu Erlangung von Maryams Staatsbürgerschaft und der zwei Heiraten – „eine für den Staat Österreich und eine für den Staat Iran“ – machte Hainzl die Erfahrung, dass private Angelegenheiten wie Einkommens- und Wohnsituation für den Staat Österreich „äußerst wichtig“ sind. Tatsächlich wurden private Fotoalben vorgelegt. Daraus entstand in der Folge aber auch ein Kunstwerk in Form eines Fotocomics, der „Liebesgeschichte eines Österreichers mit einer Drittstaaten-Angehörigen“. Formal ist die Bilderzählung dem Filmmusical The Sound of Music nachempfunden. Den von Österreich-Klischees getragenen Film aus dem Jahr 1956 sah Hainzl – in Farsi-Snychronisation – zum ersten Mal, als er mit Mohammadi 2009 in den Iran reiste. Maryam dagegen erzählt, dass sie, wie all ihre Bekannten, The Sound of Music seit ihrer Kindheit mehrfach gesehen habe und daraus eine Vorstellung von Europa beziehungsweise Österreich entstanden sei, die sie später gegenüber der Realität deutlich relativiert habe. Nicht alle Frauen in Österreich tragen Schürzen und Trachten.
Für Hainzl tat sich im Iran eine andere Welt auf. Wie ein Kind, so sein Vergleich, musste er überallhin begleitet werden, er verstand niemanden und niemand ihn.

Die aus Kärnten stammende Journalistin Elisabeth Steiner hatte mit ihren Berichten über die 2008 von der Kärntner Landesregierung eingerichtete „Sonderanstalt“ für mutmaßlich kriminelle Asylwerber auf der Saualpe weitreichende Aufmerksamkeit bewirkt, die letztlich zur Schließung dieser „Sonderanstalt“ führte. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Leiterin der Kärntner Standard-Redaktion nahm sie den Betrieb des elterlichen Gasthofes Bärenwirt in Weitensfeld (Gurktal) wieder auf, verbunden mit einem seit 2014 bestehenden Asylquartier für Flüchtlinge. Gäste und Asylwerber treffen im „offenen Haus“ aufeinander, weil, so Steiner, „Kommunikation der erste Schritt zur Integration ist“. In Zusammenarbeit mit dem Fotografen Gerhard Maurer veröffentlichte sie 2017 ihre Erfahrungen im Bärenwirt in dem Buch FremdenZimmer, erschienen im Verlag Heyn. „Wo Menschen sind“, sagt Elisabeth Steiner, „gibt es auch Konflikte – auch bei uns. Mir geht es darum, zu zeigen, wie man mit Konflikten umgehen kann“. Man könne den Flüchtlingen freilich „kein eigenes Leben“ ermöglichen. Ständig müssten Kompromisse ausgehandelt werden. Während einer kritischen Situation motivierte Steiner einige Bewohner, ihre Stimmung in gemalten Bildern auszudrücken. Befragt nach einem weitgehend weiß gehaltenen Blatt, durchsetzt von wenigen Blautönen, erklärte der Maler, das Bild sei „so leer wie meine Seele“. (*)
Ergreifende und Momente der Bestätigung ihrer Arbeit erfährt Elisabeth Steiner freilich ebenso. Ein ehemaliger Bewohner, der inzwischen in Wien studierte, rief an und fragte, ob er auf Besuch kommen dürfe. Steiner holte den jungen Mann vom Bahnhof ab und während der Fahrt zum Bärenwirt sagte er, er habe das Gefühl, nachhause zu kommen.

Die Flucht von nirgendwo nach irgendwo, könnte man salopp behaupten, war immer. Der Grazer Fotograf und Kurator Emil Gruber leitete seinen Vortrag Unten durch mit einem Tunnelmotiv ein: Tunnel unter der Grenze zwischen Mexiko und den USA wurden und werden seit langem für den Drogenschmuggel angelegt. Ein in den USA seit nicht allzu langer Zeit verbreitetes Gerücht handelt von Tunneln, die nun zum Einschleusen illegaler Einwanderer in die USA gegraben würden. Gerade war ein Video der US-Künstlerin Mika Rottenberg im Kunsthaus Bregenz zu sehen, in dem sich ein Trump-Double durch den Gerüchtetunnel in Richtung Mexiko vorarbeitet. Tatsächlich wird auf der mexikanischen Seite der Grenze eine Unzahl von chinesischen Restaurants und Ramschmärkten betrieben. Rottenberg konstatiert, dass es für Grenzübertritte in Richtung USA immens längerer Zeit bedarf, als chinesisches Plastik nach Mexiko oder in die USA zu bringen.
Diesem nur dem Anschein nach ironischen Vergleich setzt Gruber Fakten aus der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg entgegen. Infolge der Ausweisungen deutschsprachiger Minderheiten aus Ost- und Südosteuropa wird die Zahl der Immigranten nach Österreich ab 1945 heute auf etwa 400.000 Menschen geschätzt. Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn 1956 flüchteten innerhalb eines Jahres 200.000 Menschen zunächst nach Österreich. Damals stand den Flüchtlingen frei, in welches Land sie weiterreisen wollten und so wählten die meisten die USA. Das Schweizer Rote Kreuz organisierte Sonderzüge und brachte 12.000 Personen in die Schweiz. Deutschland nahm 13.500 Flüchtlinge auf, wobei der Aspekt, billige Arbeitskräfte ins Land zu schaffen, zu Anfang des deutschen Wirtschaftswunders keine unwesentliche Rolle spielte. Seit der Gründung der DDR 1949 bis zum Mauerbau 1961 wechselten 3,5 Millionen Deutsche die Seite. Nach Errichtung der Mauer wurden zahlreiche Fluchttunnel gegraben. Am 5. März 1972 war im Stern unter dem Titel Menschenhandel in Deutschland zu lesen, dass Flucht ein Geschäftszweig sein kann. Wer heute als „Schlepper“ oder „Schleuser“ bezeichnet wird, wäre damals „Fluchthelfer“ genannt worden. 75 Fluchttunnel sind bis heute bekannt. 1962 gelangten 28 Menschen durch den Tunnel 28 nach Westberlin. Der gleichnamige Spielfilm wurde von Robert Siodmak noch im selben Jahr gedreht und im Oktober in der Berliner Kongresshalle uraufgeführt.

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