17/09/2010
17/09/2010

Klosterwiesgasse, Graz-Jakomini

Roter Teppich für die Frühbar, Grazbachgasse

Jakoministraße

Jakoministraße, (Fotos wm)

„Für Stadträtin Sonja Grabner ist das Jakominiviertel eine Erfolgsgeschichte“, heißt es in einer Aussendung ihres Büros. 17 Ansiedelungen und 40 Interessenten, ein Mietfördermodell und eine Koordinationsstelle vor Ort seien ein „ganz klares Zeichen dafür“ und auch der Designmonat „hat dem Viertel ganz neue Dynamik gebracht“.

Im Jakominiviertel geht es also voran: Vor kurzem wurde trotz massiver Kritik der Anwohner der Alte Hof in der Kolpinggasse von der SOB Bauträger GmbH abgerissen. Ganz in der Nähe, im Bereich Jakoministraße, Jakominiplatz, Grazbachgasse und Klosterwiesgasse werden dagegen in zehn Bauabschnitten 17 Tonnen ziegelrote Bodenbeschichtung um 80.000 Euro aufgebracht. Was optisch an eine Laufbahn erinnert (Achtung: Dynamik!) und „Visuelle Klammer“ genannt wird, macht nach Ansicht der Stadträtin das Viertel nun „österreichweit einzigartig und unverwechselbar“. Müßig die Frage, womit das Jakominiviertel zuvor verwechselt worden ist.

Der Farbauftrag ist das Ergebnis eines „Call for Ideas“ der Creative Industries Styria (CIS), die sich, neben englischer Sprache, seit geraumer Zeit auch mit Oberflächenarbeit beschäftigt und vor allem mit der „Bewerbung als City of Design“. Die Visuelle Klammer sei nun ein „weiteres wichtiges Zeichen“ für die Bewerbung, sagt Geschäftsführer Eberhard Schrempf. Nachdem Graz jetzt schon City of alles Mögliche ist, könnte man sich, so man ihn erlangt, auch diesen Titel zu den anderen und irgendwohin kleben. Und ich hätte da noch einen Vorschlag für die nächste Bewerbung als „Graz, City of New Orleans“. Das könnte zwar zu Verwechslungen mit dem amerikanischen Zug und der gleichnamigen Stadt führen, Graz wäre damit aber zweifelsohne noch berühmter. Absurd?
Zurück zur Laufbahn nach einem Entwurf der Architektinnen Sandra Janser und Elisabeth Koller: Anders als die Stadträtin sind sie der Meinung, ihr Projekt „Ready, Steady GO!“ „erzeugt“ (es tut etwas) „Entschleunigung“, zudem Aufmerksamkeit und Atmosphäre. Aufmerksam sollte man jedenfalls bei nasser Laufbahn sein, denn in jener Aussendung wird zwar erklärt, es handle sich bei diesem Belag um die bereits erprobte Radwegbeschichtung, behindertengerecht und rutschfest; das aber ist keineswegs der Fall, wie der Selbstversuch im Nieselregen gezeigt hat. Die Radwegbeschichtung ist eindeutig sicherer und bietet bei weitem besseren „Grip“ als „Ready, Steady GO!“, auf dem man zum unwillkürlichen „Slide“ neigt.

Der ganzen Sache liegt vor allem ein argumentatives Problem der Initiatoren zugrunde. Hätte man „Ready, Steady GO!“ doch (einfach) „Kunstwerk“ genannt, über dessen Qualität man vergleichsweise entspannt diskutieren könnte. So hätte man sich jedenfalls Beschwörungen erspart, die in direkter Folge auf diese Installation zur umfassenden Aufwertung des Stadtteils führen sollen:
„Mit der Visuellen Klammer wird die kreative Kraft des Jakominiviertels nun noch besser sichtbar und Graz bekommt mit dieser überdimensionalen Laufbahn mitten im Zentrum ein in Österreich einzigartiges und aufsehenerregendes Projekt mit touristischer Impulswirkung.“
„Hauptabsicht … ist es, eine ablesbare und positive Identität zu schaffen … damit die Aufenthaltsqualität im Jakominiviertel zu stärken und dieses für die Bevölkerung auf neue Art und Weise erlebbar zu machen.“
„Mit der Installation der Visuellen Klammer setzen wir den nächsten großen Schritt auf dem Weg der Attraktivierung des Jakominiviertels. Nun wird auch nach außen hin deutlich, dass Design und Handwerk im Viertel eine neue Heimat gefunden haben.“
Realität und sichtbar dagegen ist, dass in der Jakoministraße die Zeile leerer Geschäftslokale unterbrochen ist durch Überblendungen der Schaufenster leerer Geschäftslokale mit Plakaten, auf denen zu lesen ist: „Ein Viertel wächst. Graz wächst. www.jakominiviertel.at“. Der Kaiser hat schon wieder neue Kleider und ab jetzt wird alles besser.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Kommentar
Wenzel Mracek

Warum, Frau Paierl, versuchen Sie, uns die Oberflächenbeschichtung als dieselbe wie sie andernorts auf den Radwegen aufgebracht ist zu verkaufen? Ein paar Schritte weg von der "Laufbahn" genügen, um sich zu überzeugen, dass die Strukturen tatsächlich völlig andere sind. Wenn sie nochmals "rutschfest" erwähnen, dann trifft das für die neuen Radwege wirklich zu, während die Jakominibeschichtung auf ihrer Oberfläche eine Unzahl kleiner, glatter Konkaven bildet, in denen sich Wasser und Dreck sammeln und hier länger stehen bleiben, als es bei Asphalt der Fall wäre. Auch das kann man beobachten, es wurde mir von Geschäftstreibenden in der Jakoministraße bestätigt und "rutschfest" wie auf den Radwegen ist das überhaupt nicht. Darüber hinaus richtet sich meine Kritik gegen Argumentationen wie Ihre und weniger gegen das Konzept der Architektinnen. Warum sollte die rote Beschichtung für mehr sorgen als die ja wirklich bestehende Irritation? "Kunstwerk" ja, aber was ist über den "visuellen Ausnahmezustand" des Jakominiviertels hinaus reichend geschafft? Nachgerade peinlich finde ich affichierte Slogans in diesem Bereich mit leer stehenden Geschäftslokalen, durch die man darauf hingewiesen wird, dass "Graz wächst". Mag sein, aber man sieht, dass das hier eben nicht der Fall ist. Kennen Sie das Märchen von den neuen Kleidern des Kaisers? Alle enthalten sich der Kritik bis ein Kind endlich ruft: "Aber der Kaiser ist ja nackt!"
Mit freundlichen Grüßen Wenzel Mracek begin_of_the_skype_highlighting     end_of_the_skype_highlighting

Mi. 22/09/2010 9:37 Permalink
Sandra Janser, Elisabeth Koller

Auch wir als Autorinnen würden uns eine „entspannte Diskussion über Qualität“ wünschen, die gerne auch viel sachliche Kritik enthalten soll.
Wir hoffen aber auch, dass es möglich wird zwischen politischer Vermarktung und Projekt zu differenzieren.
Die Fertigstellung ist bis Mittwoch geplant.

Fr. 17/09/2010 5:31 Permalink
RHIZOM kollektiv

In Graz ist die Politik-Design-Avantgarde so schnell unterwegs, dass noch bevor etwas Wirklichkeit ist, schon der nächste Titelkampf, aber in einer anderen Sparte angezettelt wird. Die Marketingabteilungen sind eben postsupermodern aufgestellt. Von der Menschenrechtsstadt zur Kulturhauptstadt zur Designhauptstadt zur zukünftigen Sporthauptstadt. So müssen die Proponenten der aktuellen Nahversorgungspolitik ihre Rollen, Meinungen und Vorlieben tauschen, wie andere Verkehrsteilnehmer/innen die Straßenbahnen. Und das kostet eben Geld. Für die Enttäuschten gibt es aber alljährlich eine Adventtrinkmeile*, wo man/frau ohne viel Geld zu verschwenden schon übers feierliche Atmen zu Promillen kommt. Graz hat´s.
* = legales Trinken im öffentlichen Raum
Schein oder nicht Sein
Um in den Genuss des jakominischen Mietförderungsmodell´s a la Nagl zu kommen, braucht man/frau schon einen Gewerbeschein. Die Mietförderung richtet sich ausschließlich „an alle Unternehmen und Selbstständigen, die erwerbsmäßig d.h. gezielt mit Gewinnerzielungsabsicht kulturelle Güter und Dienstleistungen entwickeln, schaffen, produzieren, vermarkten und verteilen bzw. medial verbreiten“.*
Aufruf an die Überbleibsel der Kulturhauptstadtära: Künstler/innen, werdet endlich selbstständig! Damit ihr in drei Jahren (solange gilt die gestaffelte Mietunterstützung) das Überleben der Immobilienbranche in der Straße sichern helfen könnt.
* FÖRDERRICHTLINIE MIETFÖRDERUNGEN PILOTPROJEKT „JAKOMINI VIERTEL“

Di. 05/10/2010 4:47 Permalink
Pia Paierl

Ausgehend von Frau Stadträtin Mag.(FH) Sonja Grabner hat die Abteilung für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung in Zusammenarbeit mit der Creative Industries Styria und dem Citymanagement Graz ein Maßnahmenpaket auf drei Säulen - Koordination vor Ort, Mietförderungspaket,Installation einer „visuellen Klammer“ - umgesetzt um die Straßenzüge Jakoministraße und Klosterwiesgasse aufzuwerten.
Aus dem im Februar 2010 durch die CIS ausgeschriebenen Ideenwettbewerb „Visuelle Klammer“ ging das Projekt „Ready, Steady, Go!“, eine Laufbahn als Irritation im öffentlichen Raum, von den Architektinnen Sandra Janser und Elisabeth Koller, gewählt durch eine unabhängige Jury, als Sieger hervor. Durch die Mithilfe und Unterstützung aller davon betroffenen Abteilungen der Stadt Graz wurde das Projekt adaptiert und von der Behörde bewilligt. Der verwendete Belag ist eine bereits erprobte Radwegsbeschichtung, behindertengerecht, rutschfest und umweltverträglich.
Mit freundlichen Grüßen
Pia Paierl, Pilotprojekt Jakominiviertel

Di. 21/09/2010 4:26 Permalink
Petra Kickenweitz

ein kommentar ist eine persönliche meinungsäußerung - eine diskussion über eine projektidee, besser noch eine diskussion, was man mit 80.000 euro machen kann, hätte im vorfeld öffentlich stattfinden müssen ... was nicht war, was nicht gewollt war ... also was soll man hinterher noch diskutieren ... hinterher kann man nur mehr kommentieren ... das ist fakt.
wahrlich bedauerlich ist nur, dass es wie des öfteren eben keine öffentliche diskussion im vorfeld gab.

So. 19/09/2010 6:02 Permalink
Petra Kickenweitz

Als innovativ empfinde ich derzeit nur die wahrnehmung ... denn welches projekt versprüht, gleichzeitig neben den wahnsinnigen erschlagenden optischen eindruck, so eine besondere langanhaltende parfumnote? ein längerer aufenthalt am teppich erscheint für sensible nasen gesundheitsgefährdend ...

Fr. 17/09/2010 3:45 Permalink
Gerhard Pichler

von der streitbaren Qualität des Projektes besitzt es vor allem argumentativ eklatante Mängel. Eine Laufbahn, deren ureigenste Aufgabe die Beschleunigung ist, sollte als Element der Entschleunigung dienen und „Aufenthaltsqualitäten“ schaffen? Alles leere Worthülsen die man im Architekturstudium beigebracht bekommt und die bei keiner Präsentation fehlen dürfen. Zusätzlich fährt es einem noch kalt über den Rücken wie locker die Begriffe „Urban Branding“ (aus dem Kleine Zeitung Video über den Wettbewerb) aus den Mündern fahren. Also Oberflächengestaltung im Dienste der Marktwirtschaft. Wenigstens passt die Kosmetik zu den mit großformatigen Fotos und Grafiken zugepappten Schaufenstern. Sehr stimmig das Ganze - sozusagen.

So. 19/09/2010 2:00 Permalink
D. K.

Als täglicher Nutzer der Klosterwiesgasse möchte ich kurz meine Sicht der Dinge darlegen.
Klarerweise ist dieses Projekt als ein künstlerischer Akt im öffentlichen Raum durchaus wirksam. Der rote Belag fällt auf und wirkt verstörend gleichermaßen wie ungewohnt. Anziehend wie Abstoßend. Die angegebenen Assoziationen von Rotem Teppich hin zum Erscheinungsbild von Sport- oder Fahrrad-Belägen reichen weit. Es war auch schon von der blutenden Straße die Rede... Abgesehen vom durchaus lobenswerten und in diesem Falle unübersehbaren künstlerischen Input stellt sich die Frage nach der Nutzbarkeit dennoch.
Weil wie dieser Belag nach einiger Zeit aussehen wird will wohl niemand wissen. Die rote Farbe wird sich auswaschen, unregelmäßig abnützen. Schmutz und Dreck kann sich mühelos in den groben Rillen festsetzen und wieder weg machen ist wohl nicht so leicht möglich? Winter und Sommer werden abwechselnd ihr Übriges tun um den anfänglichen Glanz und Schein ergrauen zu lassen... Wie soll man überhaupt den Belag jemals wieder entfernen können?
Wäre gespannt wie man diesen Themen gegenübersteht. Die investierten 80.000 (!) Euro machen sich hoffentlich bezahlt.

Fr. 17/09/2010 10:33 Permalink
Arch. Alexander Cziharz

abgesehen von den Abnützungen die das Streuen und Befahren der Jakoministrasse diesem Belag antun wird, kann man sich schon auf diesen Winter freuen und auf viel Schnee hoffen. Dann wird das Produkt dieser Idee seinen teuren Winterschlaf im verborgenen halten können und das Jakominiviertel wird wie bisher nicht wahrgenommen werden müssen.

Fr. 26/11/2010 9:24 Permalink
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