10/12/2012

DI Bernhard Inninger (* 1975 in Grieskirchen, OÖ) studierte Architektur an der TU Graz und an der University of Bath (UK), 2001 erhielt er das Diplom für Architektur und absolvierte 2011 die Dienstprüfung für den höheren technischen Dienst. Er war mehrere Jahre Mitarbeiter in verschiedenen Architekturbüros in Graz, unter anderem bei der ArchitekturConsult ZT GmbH.
Von Dezember 2006 bis Oktober 2011 war Inninger im Stadtplanungsamt Graz als Referent für Flächenwidmungsplanung, Bebauungspläne, städtebauliche Gutachten, Wettbewerbsbetreuung und zuletzt als stellvertretender Abteilungsleiter tätig. Darauf folgte seine Mitarbeit als Referent für Baudirektion und Stadtplanung im Grazer Bürgermeisteramt. Diese Tätigkeit übte er bis 30. November 2012 aus.
Seit 1. Dezember 2012 leitet Bernhard Inninger das Stadtplanungsamt Graz.

10/12/2012

DI Bernhard Inninger, seit 1. Dezember 2012 Grazer Stadtplanungschef

©: Martin Brischnik

Anlässlich der Neubesetzung der Leitung des Grazer Stadtplanungsamtes bat GAT den neuen Amtsleiter Bernhard Inninger zum Gespräch. Inninger war unter dem ehemaligen Stadtplanungschef Heinz Schöttli als dessen stellvertretender Abteilungsleiter im Stadtplanungsamt Graz tätig. Er hat dort Wettbewerbe betreut und war Referent für Flächenwidmungsplanung, Bebauungspläne sowie städtebauliche Gutachten. Zuletzt war Inninger für die Belange der Stadtbaudirektion und der Stadtplanung im Bürgermeisteramt beschäftigt.

GAT: Ihr Vorgänger Heinz Schöttli hat einige Neuerungen in die Grazer Stadtplanung gebracht wie zum Beispiel Workshopverfahren als Alternative zu herkömmlichen Wettbewerben. Wie werden Sie mit diesem Erbe umgehen?

Inninger: Ich finde nicht alles, was Schöttli in Graz gemacht hat, schlecht. Ich kenne seine Arbeit, weil ich teilweise während seiner Periode im Stadtplanungsamt als sein Stellvertreter tätig war. Bei aller Problematik, die letztendlich dazu geführt hat, dass er die Grazer Stadtverwaltung verlassen musste, sehe ich inhaltlich sehr gute Aspekte an Schöttlis Ansätzen. Die Workshopverfahren wurden von der Grazer Architektenschaft und von der Standesvertretung zu Beginn durchaus kritisch beäugt. Gegenwärtig sehe ich aber schon, dass die Vorteile von vielen Akteuren erkannt werden. Ich denke, vor allem für komplexere Aufgabenstellungen, wo die Hinzuziehung externer Fachexperten wie beispielsweise Schalltechniker erforderlich ist, ist das ein sinnvolles Verfahren. Wir hatten erst vor wenigen Tagen ein Gespräch mit der ZT-Kammer, in welchem diesbezüglich eine Annäherung stattgefunden hat.

Gibt es konkrete Projekte, welche in nächster Zeit über Workshopverfahren abgewickelt werden sollen?

Inninger: Es laufen derzeit zwei Projekte in einem Workshopverfahren.

Eine persönliche Frage: Sie sind für den Posten des Stadtplanungschefs relativ jung. Fürchten Sie Machtkämpfe und Kräftemessen im Amt?

Inninger: Ich hatte das Glück, gleich nach meinem Studium in einem sehr großen Architekturbüro angestellt zu werden, in der ArchConsult, und da wiederum das Glück, dass ich dort relativ früh ins kalte Wasser geschmissen wurde. Ich konnte damals als Absolvent mit zwei, drei Jahren Erfahrung größere Teams leiten, wo sehr gute Leute mit jahrzehntelanger Erfahrung drinnen waren. Meine Führungserfahrung kommt im Wesentlichen aus dieser Zeit. Ich denke, dass ich mit erfahrenen und in einzelnen Fachbereichen überlegenen Mitarbeitern gut zurechtkomme. Ich habe daher keine Angst, eine Abteilung führen zu müssen, wo Gott sei Dank sehr gute Leute arbeiten.
Grabenk
ämpfe innerhalb der Abteilung fürchte ich daher wenig. Ich kenne die Abteilung relativ gut. Von nahem betrachtet ist das bei weitem nicht so schlimm, wie es nach außen kommuniziert worden ist. Ich freue mich sehr auf diese Mannschaft, welche es in den letzten Jahren aufgrund häufiger Führungswechsel und Wechsel der politisch Verantwortlichen nicht leicht hatte.

Es gibt in der Stadtplanung immer wieder Interessenskonflikte. Auf der einen Seite steht die Wirtschaft mit den Investoren, welche hauptsächlich gewinnorientiert agieren. Auf der anderen Seite steht die Stadtplanung, welche Aspekte der Gestaltung, der sozialen Nachhaltigkeit etc. zu vertreten hat. Dazwischen steht die Politik. Wie kann es gelingen, dass sich die Stadtplanung vor der Einflussnahme durch rein wirtschaftliche Interessen sowie der Politik abgrenzt?

Inninger: Nicht nur die Politik steht zwischen den Investoren und der Stadtplanung, sondern auch die Architekten. Wir haben es in der Stadtplanung auf der einen Seite immer mit Architekten zu tun, die sich als Dienstleister verstehen und den Investor darin unterstützen, die maximalen Flächen zu bebauen, um den maximalen Profit zu erzielen. Auf der anderen Seite gibt es auch solche, die idealistischer unterwegs sind und hohe Qualität einfordern.
Ich sehe das genauso wie Sie: Aufgabe der Stadtplanung ist es, das
öffentliche Interesse zu wahren, auf die Qualität zu schauen. Die Politik ist dabei ein Partner, den es zu überzeugen gilt.

Man kann die Stelle, die ich jetzt im Stadtplanungsamt antrete, nicht annehmen, wenn man nicht verlieren kann. Die Stadtplanung ist keine Behörde, sie gibt Gutachten ab und ist darauf angewiesen, dass die Behörde diese Gutachten würdigt und der Stadtplanung folgt. Das kann aber in Einzelfällen auch nicht der Fall sein. Die Stadtplanung erstellt Bebauungsplanentwürfe und ist darauf angewiesen, dass die Politik, nämlich der Gemeinderat, diese Bebauungspläne beschließt. Dasselbe gilt sinngemäß für den Flächenwidmungsplan sowie die Stadtentwicklungskonzepte. Wir liefern also immer die Expertise das Fachwissen. Die Entscheidung fällt immer jemand anderer. Wir sind auf die Überzeugungskraft unserer Argumente angewiesen das ist unsere einzige Stärke.

Wir haben übrigens auch keine Umsetzungsmittel. Die Stadtplanung hat keinen einzigen Cent, nicht einmal für eine Platzgestaltung. Wir können nur die Planung machen und die muss so schlüssig sein, dass deren Umsetzung von der Politik beschlossen wird.

Deshalb ist auch mein persönliches Motto: Im Zweifelsfall mit wehenden Fahnen untergehen. Die Wahrheit sagen, auch wenn ich schon weiß oder mir ausrechnen kann, dass ich unterliegen werde. Der beeidete Sachverständige kann eigentlich nichts anderes tun.

Sie haben die Architekten ebenso wie die Politiker in die Entscheidungsebene zwischen Wirtschaft und Stadtplanung gestellt. Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass ein Architekt seinen Investor vom Verzicht an bebauter Fl
äche und damit verbundenen Verzicht auf Profit zugunsten der städtebaulichen Qualität überzeugen kann?

Inninger: Das wird sehr unterschiedlich gelebt. Ich habe selbst in meiner beruflichen Praxis eine gewisse Haltung erlebt, die diesbezüglich nicht einheitlich war. Seit ich bei der Stadt tätig bin, habe ich ebenfalls ganz unterschiedliche Herangehensweisen der Architekten erlebt. Wenn sich die Stadtplanung und die Architekten als Verbündete begreifen, dann kann man gemeinsam einiges schaffen.

Es wird nicht in jedem Fall ein Wettbewerb durchsetzbar sein, auch wenn man sich das wünscht. Die Illusion mache ich mir nicht. Das Grazer Modell war diesbezüglich ein Versuch. Es ist evaluiert worden und es wird leichte Adaptionen geben, da nicht alles zum Ziel geführt hat.

Wichtig am Grazer Modell war es, ein allgemeines Klima für die Baukultur in Graz entstehen zu lassen gemeinsam mit der Architektenkammer und dem Haus der Architektur darauf hin zu wirken, dass es besser wird. Das Land ist mit seinen Baupolitischen Leitsätzen ebenfalls nicht in einem rechtsverbindlichen Bereich unterwegs man versucht es mit weichen Maßnahmen. Es gibt auf allen Ebenen weiche Bemühungen.

Sie waren im B
ürgermeisteramt ein Jahr lang für die baulichen Agenden verantwortlich und hatten Einblick in die politische Ebene. Welche Erfahrungen nehmen Sie daraus mit in Ihr neues Amt?

Inninger: Hintergrundwissen über das Zustandekommen von Entscheidungen auf der politischen Ebene. Ich hoffe, dass mir das zugutekommt. Es ist einfach so, dass die Stadtplanung wesentliche Produkte wie Flächenwidmungsplan, Stadtentwicklungskonzept und Bebauungspläne für den Gemeinderat vorbereitet und dort teilweise sogar Zwei-Drittel-Mehrheiten zu finden sind.

Bebauungspläne werden in Graz üblicherweise anlassbezogen erstellt und basieren häufig auf fertigen Investorenprojekten. Ist hier ein Umdenken absehbar? Wird die Stadtplanung in Zukunft auch eigenständig Bebauungspläne für sensible Gebiete oder Stadtquartiere vorgeben?

Inninger: Es ist ein ganz deutlicher Wunsch von mir, nicht nur anlassbezogen Bebauungspläne zu erstellen, sondern aktiv und von uns aus Entwicklungen anzustoßen. Die Stadt hat das im Rahmen das Grazer Modells vor einigen Jahren mit den Bebauungsleitlinien in einer weichen Form versucht, was aus verschiedenen Gründen nicht gut funktioniert hat. Da möchte ich ein Stück weit wieder hin. Was uns dabei hilft, ist das neue Raumordnungsgesetz. Mit Inkrafttreten des neuen Flächenwidmungsplanes werden die Bestimmungen des neuen Raumordnungsgesetzes für uns anwendbar sein, wonach wir Bebauungspläne in verschiedenen Detaillierungsgraden erstellen können. Da wird es dann auch sehr reduzierte Bebauungspläne geben, die sich sehr gut eignen würden, beispielsweise entlang der Haupteinfahrtsstraßen. Hier könnten ganz einfache, aber rechtsverbindliche Bebauungsrichtlinien im Bebauungsplan verankert werden, auch ohne bereits vorhandene konkrete Investoreninteressen. Dadurch kann ich Entwicklungen dort stimulieren, wo ich sie haben möchte: Indem ich einfach diesen Bebauungsplan kommuniziere, die Hauseigentümer anschreibe, eine Informationsveranstaltung organisiere und ihnen ihre Möglichkeiten aufzeige.

Noch eine Antwort zum Istzustand: Anlassbezogene Bebauungspläne werden momentan erstellt, aber es ist nicht der Regelfall, dass jemand mit einem fertigen Projekt kommt. Wenn man die letzten zwanzig bis fünfundzwanzig Bebauungspläne betrachtet so viele gibt es ungefähr pro Jahr dann ist sicher nur bei einer sehr geringen Anzahl jemand mit einem fertigen Projekt zu uns gekommen. 

Aber es gibt auch solche Fälle?

Inninger: Ja, aber das ist nicht der Regelfall.

Für Reininghaus wurde im Rahmen einer Pressekonferenz angekündigt, dass es Bebauungspläne geben wird?

Inninger: Es ist in der Flächenwidmungsänderung, die derzeit aufliegt, rechtsverbindlich verankert, dass für das Gebiet eine Bebauungsplanpflicht vorliegt.

Bedeutet das, dass die Bebauungspläne hier nicht anlassbezogen, sondern vorausschauend geplant werden?

Inninger:  Das ist nicht gesagt. Es ist in Wahrheit nur ein Quartier, das jetzt schon in Entwicklung begriffen ist. Das ist das einzige, welches keine Umwidmung braucht, nämlich die legendäre Linse ganz im Norden. Alle anderen Quartiere haben noch eine lange Vorlaufzeit. Es hängt immer noch das Damoklesschwert einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) über Reininghaus, welche ein bis zwei Jahre Projektverzögerung bedeuten könnte.

Wer entscheidet, ob in Reininghaus die UVP schlagend wird?

Inninger: Das Land. Es müsste der Grundeigentümer beim Land um einen Feststellungsbescheid ansuchen, um zu eruieren, ob eine UVP-Pflicht besteht oder nicht. Wenn nicht die „Asset One“ ansucht, dann ist der Ablauf folgender: Irgendwann kommt die erste Baueinreichung und die Grazer Baubehörde bekommt ein Bauansuchen herein, schickt den Akt sofort ans Land und fragt an, ob sie das bewilligen kann. Wenn nicht, gibt es eine UVP-Pflicht. Spätestens dann muss das Land darüber befinden. Aber ich gehe davon aus, dass man im eigenen Interesse das Ansuchen frühzeitig stellt.

Bei der Präsentation des Deals mit der "Asset One", betreffend die Umwidmung und Aufwertung der Reininghaus-Grundstücke, war neben den politischen Verantwortlichen mit Johannes Geier (GWS) ein Vertreter der Wohnbaugenossenschaften bei der Pressekonferenz am Podium. Wie lässt es sich aus Ihrer Sicht verhindern, dass in Reininghaus Siedlungsbau anstatt Städtebau betrieben wird?

Inninger: Unter anderem durch die Bebauungspläne, die schon unter das neue Raumordnungsgesetz (ROG) fallen. Wir haben beispielsweise die Linse, die seit Jahren als Kerngebiet gewidmet und mit Bebauungsplanpflicht belegt ist, jetzt in dieser Abwicklung wieder drinnen und haben damit neuerlich eine Bebauungsplanpflicht verhängt. Das deshalb, da wir mit den Bebauungsplänen nach neuem ROG neue Möglichkeiten haben, die wir bisher nicht hatten. Wir können beispielsweise in künftigen Bebauungsplänen auch Nutzungen regeln. Das kann man nicht überschießend einsetzen. Man kann damit nicht völlig unrealistische Dinge, die niemals marktgängig sein werden, festlegen. Aber es ist beispielsweise möglich, an einer Hauptverkehrsader zur Straße hin kein Wohnen zuzulassen. Im Sinne der Urbanität kann dasselbe in gewissen Zonen auch für das Erdgeschoß angewendet werden. Genau das wird in der Linse in Reininghaus zum Tragen kommen und sicher auch im weiteren Verlauf der Entwicklung von Reininghaus.

Ich denke, dass die vermeintlichen Filetstücke an den zentralen Kerngebietsachsen, der Esplanade, wie sie im Rahmenplan genannt werden, nicht die ersten Grundstücke sein werden, die verwertet werden, da dies hinsichtlich der Marktsituation momentan schwieriger ist. Dort stellen wir uns komplexere Nutzungsüberlagerungen, einen urbanen Nutzungsmix, vor. Es müssen auch öffentliche Einrichtungen angesiedelt werden. Wir stellen uns dort keinen Siedlungsbau vor, es wird also kein reines Wohnen geben. Wir haben das Rechtsinstrument, das zu verhindern. Deshalb glaube ich, dass dort mit etwas längeren Vorlaufzeiten zu rechnen ist.  Es gibt aber auch Bereiche in Reininghaus, wo eine reine Wohnnutzung angebracht scheint und wo sich die Genossenschaften leichter tun werden, weil es ihren gesetzlichen Möglichkeiten entspricht, aber das ist nicht der Regelfall.

Ist es richtig, dass die Linse eines der Projekte ist, welches im Workshopverfahren geplant wird?

Inninger: Das ist richtig. Es sind drei Architekten, die zu diesem Workshopverfahren geladen sind. Sie arbeiten teilweise in ihren Büros und es gibt periodische Treffen, wo man die jeweiligen Zwischenstände der Entwürfe gemeinsam bespricht. Diese werden diskutiert, es wird teilweise vor Ort weitergearbeitet, danach verlagert sich der Entwurf wieder ins Büro, und so weiter.

Mit welchem zeitlichen Horizont ist hier zu rechnen?

Inninger: Ich denke, dass wir den Bebauungsplan sehr bald nach der Neukonstitutionierung des Gemeinderates in Auflage bringen werden. Der Beschluss könnte also noch vor der Sommerpause des Gemeinderates stattfinden.

Wie ist Ihre persönliche Meinung als Stadtplaner zum vorliegenden Masterplan für Reininghaus?

Inninger: Der Masterplan ist jetzt relativ 1:1 in das Stadtentwicklungskonzept und in das Umwidmungspaket eingeflossen. Fachlich wird man an der einen oder anderen Ecke noch untergeordnete und kleine Änderungen vornehmen. Aus meiner Sicht liegt der große Wert des Masterplans in seiner breiten Akzeptanz. Der Masterplan ist einstimmig beschlossen worden und wann auch immer man etwas in Reininghaus andenkt, fragt eine Fraktion, ob das dem Masterplan entspricht. Insofern stellt dieser einen großen Wert dar. Das ist also nicht eine inhaltliche Würdigung, ich sage nicht, dass ich den Masterplan genauso machen würde, aber ich finde es toll, dass wir etwas haben, worauf man aufbauen kann.

Der Masterplan kann natürlich vieles nicht, was oft zu Missverständnissen führt. Der Masterplan regelt nicht das Prozesshafte, sondern stellt ein Endprodukt dar. Dass wir für Reininghaus beispielsweise von Anfang an eine Gebietsbetreuung brauchen, dass wir aktiv Bürgerbeteiligung betreiben müssen, dass wir bei der Kommunikation und Abwicklung der Wettbewerbe dort neue Wege gehen müssen das steht im Masterplan alles nicht drin. Der Masterplan ist eher ein traditionelles Instrument, welches einen Endzustand darstellt, aber das braucht es auch.

Anlässlich von Projekten wie Smart Cities  hat man in letzter Zeit den Eindruck, als würden Schlagworte wie Energieeffizienz und energetische Nachhaltigkeit vor allem vonseiten der politisch Verantwortlichen als wichtiger empfunden als Baukultur, Städtebau und Architektur. Läuft diese Diskussion nicht in die falsche Richtung?

Inninger: Ich sehe darin derzeit ein großes Problem. Man spricht von Nachhaltigkeit und denkt nur an Energiekennzahlen. Ich halte das überhaupt nicht für nachhaltig. Smart Cities" ist diesbezüglich ohnedies einen Schritt weiter, weil dort auch soziale Nachhaltigkeit ein Thema ist.

Dass Architektur untergeht, wenn man nur noch über Quadratmeter von Photovoltaikflächen und Geothermienutzung redet, ist eine Befürchtung die ich durchaus teile. Ich kann nur mit meinen begrenzten Mitteln gegensteuern. Wir sind dafür zuständig. Wir sind die Abteilung, die innerhalb der Stadt Graz für die Erscheinungsform des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes verantwortlich ist. Ich bin ja nicht für Solarzellen zuständig, die im Übrigen auch ein gestalterisches Problem sein können.

Betreffend Urbanität im Städtebau hat Architekt Johannes Fiedler auch am Beispiel Reininghaus die Kleinteiligkeit zugunsten der fußläufigen Attraktivität und sozialen Durchmischung gefordert. Als Mittel dazu schlägt er vor allem Baugruppenmodelle vor. Gibt es Möglichkeiten, das rechtlich in Reininghaus einfließen zu lassen und gibt es in Reininghaus Gebiete, wo Baugruppen vorgesehen sind?

Inninger: Beide Male, ja. Es gibt Instrumente und zivilrechtliche Möglichkeiten, Kleinteiligkeit durchzusetzen. Vertraglich vereinbaren kann man alles, man kann es aber auch über Bebauungspläne rechtlich machen. Was ich mir wünschen würde, wäre zumindest ein Baugruppenquartier in Reininghaus. Ich weiß, dass auch der Grundeigentümer dem Gedanken positiv gegenübersteht und dass es diesbezüglich Gespräche gibt. Ich hoffe sehr, dass diese zum Ziel führen.

Ich erwarte in den nächsten Jahren von den Baugruppen einen sehr interessanten Beitrag zum Thema des Bauens in Graz. Diesbezüglich wurde bereits Vorarbeit geleistet und wir haben derzeit einen recht guten Überblick, welche Unterstützungsmaßnahmen die öffentliche Hand für Baugruppen überhaupt bieten könnte. Was noch fehlt, und dazu braucht es den Beschluss der Stadtregierung, ist die Definition des Grazer Paketes, welches Baugruppen angeboten werden kann. Ich hoffe, dass das Thema mit diesem Beschluss ins Laufen kommt.

Nicht zuletzt geht es beim Thema Baugruppen auch um personelle Ressourcen. Vielleicht in meiner Abteilung, vielleicht in der Stadtbaudirektion, vielleicht auch in der Immobilienabteilung. Es geht aber auch um Geld. Hilft man den Baugruppen bei der Finanzierung? Stellt man ihnen Grundstücke bereit?

Der soziale Wohnbau und leistbares Wohnen sind wichtige Themen und bereits in Verbindung mit Reininghaus angesprochen worden. Wie verhindert man den Bau von Ghettos? Sie haben erwähnt, dass es möglicherweise nötig sein wird, die Entwicklung von Reininghaus durch eine eigene Quartierskoordination zu begleiten?

Inninger:  Steuern wir dann auf Reichen-Ghettos oder Armen-Ghettos zu? Reininghaus bietet beide Möglichkeiten. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, eine Quartiersbetreuung zu installieren. In Deutschland gibt es dafür sehr gute Beispiele, wo vor der Bebauung der Koordinator in Containern im Quartier eingezogen ist.

Unsere Instrumente sind in Wirklichkeit sehr schwach. Wenn ich Ihnen die Hauptwerkzeuge meiner Abteilung aufzähle, ist kaum etwas dabei, was die von Ihnen angesprochenen sozialen Fragen beantworten kann. Die Stadt an sich kann natürlich schon etwas tun, wenn man beispielsweise an städtische Wohnungen denkt, welche man versucht, möglichst breit über das Stadtgebiet zu verteilen. Meines Wissens nach gibt es einen Gemeinderatsbeschluss, dass es auch in Reininghaus städtische Wohnungen geben soll.

Ich weiß tatsächlich nicht, ob die Gefahr größer ist, dass in Reininghaus ein Nobel- Ghetto oder ein Armen-Ghetto entsteht. Ich denke, dass überwiegend frei finanzierter Wohnbau passieren wird, nicht unbedingt vom Land geförderter Genossenschaftswohnbau. Das hängt sowohl mit dem Herunterfahren der Wohnbauförderung zusammen als auch mit der allgemeinen Marktsituation in Graz. Es ist einfach sehr viel Geld auf dem Markt, welches in Immobilien angelegt werden will. Deshalb haben frei finanzierte Wohnbauträger derzeit sicher das größere Stück vom Kuchen.

Wie stellen Sie sich die Bürgerbeteiligung am Sektor der Stadtplanung in den kommenden Jahren vor?

Inninger:  Wir hören derzeit bei fast allen Produkten des Stadtplanungsamtes die Kritik, dass wir etwas weitgehend Fertiges präsentieren. Natürlich wollen wir etwas präsentieren, was Hand und Fuß hat und nicht die erstbeste Idee, wir wollen das aber in Zukunft etwas frühzeitiger tun und innovativer werden, was Technologien betrifft. Wir haben gerade eine Wahl hinter uns mit nur 52 % Beteiligung, wir sehen auch bei unseren Bürgerinformationsveranstaltungen eine Beteiligung, die weit unter unseren Erwartungen liegt. Die Bürgerbeteiligung muss nicht zuletzt zielgerichteter geschehen. Es passiert viel zu oft, dass wir zwar gewisse ich nenne es recht salopp Profis" erreichen, die wissen, woher sie die Informationen bekommen und im ganzen Stadtgebiet zu jeder Bürgerveranstaltung gehen, dass wir aber die unmittelbar betroffenen Anwohner, um die es uns primär geht, nicht erreichen.

Der Gemeinderat hat nun beschlossen, dass Leitlinien für Bürgerbeteiligung ausgearbeitet werden. Diese werden im Stadtbauamt erarbeitet werden. Wir sind eine der am stärksten betroffenen Abteilungen. Auf diesen Prozess freue ich mich sehr sowohl auf den Diskussionsprozess der Leitlinienentwicklung aber auch darauf, endlich einen Leitfaden zu haben, wie wir vorgehen können, um kalkulierbarer zu sein. Die Verwaltung muss wissen was kommt auf sie zu und welche Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden? Aber auch die Bürger bzw. die Bürgerinitiativen müssen wissen, welches Procedere bei welchem Projekt zur Anwendung kommt.

Derzeit ist die Bürgerbeteiligung bei manchen Projekten sehr gut und bei anderen sehr schlecht, weil sie uneinheitlich ist und unsystematisch. Oft sind bei relativ kleinen Projekten die Erwartungen nach einem großen Beteiligungsprozess da, während man die größeren Projekte quasi ohne Beteiligung durchführen kann. Das passt derzeit nicht zusammen und ist uneinheitlich. Deshalb erwarte ich mir von diesen Leitlinien eine Systematisierung.

Wie wird die Bürgerbeteiligung im Fall von Reininghaus aussehen?

Inninger: Die hat bereits mit dem Stadtentwicklungskonzept begonnen. Da wurde eine eigene Informationsveranstaltung organisiert, an der allerdings vor allem Profis teilgenommen haben. Die Anwohner sind dort auch relativ weit weg. Bei kleineren Projekten ist durch die Verzahnung mit bestehenden Wohnbauten der Adressatenkreis natürlich deutlich größer.

Beim Flächenwidmungsplan wird es im Zuge der Umwidmungen Einwände geben und sicher auch einen kritischen Diskussionsprozess. Dabei denke ich aber nicht nur an die Wohnbevölkerung, sondern auch an die ansässigen Betriebe. Wir haben dort stark emittierende Gewerbebetriebe, welche legitime Interessen haben und natürlich auch ein gewichtiges Wort mitreden werden. Auf diese wollen wir seitens der Stadtplanung aktiv zugehen. Wir warten nicht, bis irgendjemandem der Kragen platzt.

Bei den Bebauungsplänen könnten wir schon das eine oder andere Innovative ausprobieren, was wir standardmäßig nicht machen. Wir machen ja derzeit, über unsere gesetzliche Pflicht hinaus, immer eine Bürgerveranstaltung. Wenn sich dabei ein Bebauungsplan als besonders konfliktträchtig herausstellt, gibt es üblicherweise eine Reihe von Veranstaltungen, die dann teilweise auch die Bezirke organisieren, beziehungsweise Einzelbesprechungen mit dem jeweiligen Stadtratsbüro. Da denke ich, könnte man systematischer, umfangreicher und frühzeitiger hinkommen.

Es wird momentan auch nicht differenziert zwischen Grundeigentümern und Anwohnern. Das ist meiner Meinung nach eine wichtige Unterscheidung. Ich denke, man müsste für die unterschiedlichen Steakholder unterschiedliche Foren anbieten.

Was sind Ihre stadtplanerischen Visionen für Graz in den kommenden Jahren?

Inninger: Ich sehe in der momentanen Situation eine große Chance. Für mich hat Graz einen zwiebelschalenartigen Aufbau. Das Zentrum die Altstadt geschützt durch eine Vielzahl an Rechtsinstrumenten wie Denkmalschutz, Weltkulturerbe, ASVK (Altstadtsachverständigenkommission). Dann eine Schicht ganz außen der Grüngürtel, zu dem es einen breiten politischen Konsens gibt, dass wir dort keine forcierte Siedlungsentwicklung wollen. Der Grüngürtel soll erhalten werden, im Sinne des Klimas, im Sinne des Naherholungsraumes, im Sinne der Landwirtschaft. Ins Hügelland wollen wir nicht entwickeln. Das heißt, dazwischen spielt die Musik. Zwischen dem Grüngürtel und der Altstadt haben wir Lagen, die infrastrukturell teilweise gute Voraussetzungen haben und trotzdem nicht wirklich entwickelt sind. Dort liegen die großen Entwicklungspotentiale.

Seit etwa 2002 sind wir in der glücklichen Lage, massiv zu wachsen, jedes Jahr um etwa 3.000 bis 4.000 Einwohner. Da wir flächenmäßig nicht wachsen wollen, sind wir in einem ständigen Umbau begriffen, welcher sich aufgrund des Wachstums intensiviert. Wir brauchen alleine für die Bevölkerungszugewinne zwischen 1.500 und 1.700 neue Wohnungen pro Jahr. Das bietet die Chance, diese Brüche, undefinierten Zwischenräume und Lücken im städtischen Gefüge besser zu gestalten. Wir müssen es nur schaffen, das richtig zu lenken. Der Motor läuft von Haus aus durch die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung. Das ist eine Situation, die sehr schön ist. Das ist eine viel leichtere Situation als sie beispielsweise in Schrumpfungsgemeinden vorliegt.

Reininghaus ist ein extra Kapitel. Wer hat schon die Chance, ein so großes zusammenhängendes Gebiet wie in der Gründerzeit neu zu entwickeln. Das ist ein Glücksfall.

Wird es ein Hochhauskonzept für Graz geben?

Inninger: Ja, das ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich möchte ein Hochhauskonzept haben. Die Hochhausstandorte, die derzeit in Graz definiert sind, finde ich nicht alle gerechtfertigt. Es ist ja bekannt, dass die Stadt Graz derzeit am räumlichen Leitbild arbeitet. Dazu hat es in den letzten Monaten eine stadtmorphologische Untersuchung des Grazer Stadtbildes gegeben, deren Ergebnisse ich in einer der ersten Aktionen im Sinne der Bürgerbeteiligung auch vorstellen möchte. Wir möchten nicht erst, wenn wir schon Ideen für ein Leitbild haben, an die Öffentlichkeit gehen, sondern schon die Analyse präsentieren und über diese diskutieren. Das soll im Jänner stattfinden. Teil des räumlichen Leitbildes ist für mich das Hochhauskonzept.

Wie stehen Sie zur Nachverdichtung im Villenviertel, wo es beispielsweise beim Palais Hartenau heftige Diskussionen gab?

Inninger: Es gibt zwei Grenzen bei der Nachverdichtung. Das eine ist eine nicht kompensierbare Lebensqualitätsverschlechterung für die Anwohner. Ich kann viel besser nachverdichten, wenn das mit einer Verbesserung für die Anwohner verbunden ist bzw. zumindest die Verschlechterungen ausgeglichen werden. Wenn ich sage, dadurch, dass wir da 300 neue Wohnungen haben, gibt es auch einen Autobus, der im dichteren Takt fährt, oder einen Nahversorger, der sich hier ansiedelt, dann wird das als positiv wahrgenommen.

Die zweite Grenze ist eine baukulturelle. Ich kann Ensembles nicht beliebig zerstören. Ich bin daher gegenüber der Nachverdichtung in Gründerzeitvierteln und in der Altstadt durchaus skeptisch.

Wir danken für das Gespräch!

feyferlik

in graz geistert seit schöttli der begriff workshopverfahren herum, schöttli selbst hat bei keinem projekt auf raten der wb-vertreter der architektenkammer ein workshopverfahren gemacht. sehr wohl hat eine genossenschaft so ein verfahren versucht. wenn hier also die frage mit diesem schlagwort gestellt wird und die antwort mit dem satz lautet "nicht alles ist schlecht was schöttli iniziiert hat" dann muß ich mir die frage stellen ob die frager wissen was ein workshopverfahren überhaupt ist oder ob der neue stadtplaungsschef nicht weiß was ein workshopverfahren ist. wenn man den lionesstower meint, dann wurde hier über intensivere vorbesprechungen eine städtebauliche richtung gemeinsam mit den teilnehmenden architekten erarbeitet - die eigentliche entwurfs- und projektbearbeitung wurde dann in einem ganz normalen anonymen architekturwettbewerb abgewickelt. im übrigen eine schon über jahre immer wieder wiederholende forderung der architekten die gurndstücksbegehungen und hearings zu intensivieren - das hat aber nichts mir dem sogenannten workshop verfahren zu tun. dazu fehlt ltztenldich bei uns schlichtweg das geld, der wille und die rechtliche möglichkeit.

Di. 11/12/2012 10:12 Permalink

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