14/02/2015

Ponte City
von Mikhael Subotzky
und Patrick Waterhouse
(Steidl Verlag)

1975 für die weiße Bevölkerung als Wohnturm mit einem Geschäftsgeschoß erbaut, war der 173 Meter hohe, 54 Stockwerke zählende Bau in Johannesburg in den 90er Jahren zusehends heruntergekommen und zum gefährlichsten Ort der Stadt geworden.
Ab 2000 revitalisiert ist Ponte City heute das höchste Appartementhaus Afrikas und eine gut gesicherte Wohnadresse.

14/02/2015
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)
©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)

Ponte City Begleitheft

©: Mikhael Subotzky / Patrick Waterhouse (Steidl Verlag)

Ponte City von Mikhael Subotzky und Patrick Waterhouse
(Steidl Verlag)

Im dystopischen Roman Wool des aktuellen amerikanischen Belletristik-Shootingstars Hugh Howey leben die Menschen, streng nach Hierarchien aufgeteilt, in einem unterirdischen Silo. Stockwerke trennen die Gesellschaft. Außerhalb befindet sich eine angeblich unbetretbare Umgebung, verseucht und tödlich. Bis irgendwann einer beginnt, von ganz unten immer höher zu steigen.

Als 1975 der zylinderartige Wolkenkratzer Ponte City in Johannesburg bezugsfertig war, wurden besonders die oberen Etagen zu einer der gesuchten Wohnadressen für die weiße Bevölkerung. Der 173 Meter hohe Bau bietet eine einmalige Aussicht auf die Stadt und seine Umgebung. Eines der 54 Stockwerke wurde gänzlich mit Geschäften ausgestattet, was die Idee einer Stadt in der Stadt zusätzlich verstärkte.

Ein Jahr später begann mit dem Aufstand in Soweto, einem Vorort von Johannesburg, der lange Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika.

Mit der Aufhebung der Rassentrennung Anfang der 1990er Jahre und der damit verbundenen Immigrationswelle von Afrikanern aus dem ganzen Kontinent begann auch das exklusive Leben in Ponte City und im umgebenden Bezirk Hillbrow zu kippen. Das White Only wurde nach und nach durch den Zuzug von schwarzer Bevölkerung ins Gegenteil verschoben. Mangelnde Investitionen ließen Infrastrukturen verfallen und die Umgebung zu einem Slum verwandeln. Hillbrow wurde zu einem No-Go Gebiet für Weiße. Auch in Ponte City setzte der weiße Exodus ein, Armut, Überbevölkerung und Kriminalität transformierten den Bau zu einem zylindrischen Ghetto, in dessen Gängen Drogenhandel, Prostitution und Bandenkonflikte das Leben unsicher machten, während im Lichthof sich meterhoch der Abfall sammelte.

Im Rahmen der Sanierungsprogramme für die Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika wurde Ponte City zur Jahrtausendwende ein begehrliches Objekt einer neuerlichen Gentrifizierung. Zwar gab es immer wieder Rückschläge bei der „Revitalisierung“ des Hochhauses und die Rückkehr der exklusiven Gesellschaft fand nicht statt. Trotzdem konnten die organisierten Banden aus dem Objekt vertrieben werden und das Gebäude wurde zumindest teilweise saniert. Obwohl Hillbrow nach wie vor eine hohe Kriminalitätsrate aufweist, ist der Turm aufgrund der günstigen Mieten nun wieder als Wohnort beliebt. Wachdienste und Zugangsschleusen ermöglichen den heutigen Mietern ein relativ sicheres Leben im bis heute höchsten rein Wohnzwecken vorbehaltenen Appartementhaus Afrikas.

Ab 2007, noch bevor hier eine Gated Community entstand, durchstreifte der südafrikanische und in Johannisburg lebende Magnum-Fotograf Mikhael Subotzky zusammen mit dem Grafiker und Herausgeber des britischen Artmagazins Colors Patrick Waterhouse monatelang Ponte City.
Subotzkys Zugang zu diesem Projekt ist die konsequente Weiterführung der Vorgängerarbeit Retina Shift, in der er Sehgewohnheiten untersuchte und mit verschiedenen Ebenen von persönlicher und allgemeiner Geschichte konfrontierte. Der Fotohistoriker Blake Andrews bezeichnet Subotzkys Zugang zu seinen Themen daher auch als Amalgam von Fotograf und Kurator.

Das 2014 bei Steidl erschienene Ponte City, das sich von außen als schwere, graue Archivbox präsentiert, geht daher weit über das Konzept eines „nur“ Fotobuches hinaus. Ein großformatiger Bildband und siebzehn Begleithefte versuchen, in einer akribischen Montagetechnik das Phänomen Ponte City und dessen Geschichte zu erfassen. Subotzkys Bilder bewegen sich zwischen Panorama und Detail, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Zoomartig kontrastieren Fotografien von Appartements, Türen, Fenster, von Fernsehapparaten mit den jeweils laufenden Programmen die weitwinkeligen Außen- und Innenaufnahmen des Gebäudes. Die Lifte von Ponte City wurden zu Fotostudios für Portraitaufnahmen von Bewohnern. Der Fotograf durchforstete verlassene Wohnungen und sammelte Zurückgelassenes. Vieles davon wird in den Begleitheften zu einem fragmentarischen, individuellen Moment in der Zeit verdichtet.
Zusammen mit Einzelportraits von Bewohnern, Essays über das Gebäude und seine Umgebung von Architekten und Literaten, historischen Zeitungsmeldungen, bis hin zu einer Werbecampagne für den Bezug des revitalisierten Objektes wird Ponte City zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk.

Durchaus berechtigt war es 2014 beim Paris Photo–Aperture Foundation Photobook of the Year Award auf der Shortlist und ist auch als eines von vier Büchern für den renommierten Deutsche Börse Fotobuchpreis 2015 nominiert.  

Mikhael Subotzky, Patrick Waterhouse
Ponte City
192 Seiten
Fester Einband / Leineneinband in Kassette inklusive 17 Begleithefte
23.7 x 36.5 cm
Steidl Verlag

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