13/12/2006
13/12/2006

Am 29. November 2006 wurde im Rahmen eines Stadtplanungsdialogs im Haus der Architektur in Graz das “Grazer Modell” vorgestellt. Zuvor, am 19.10.2006, wurde das „Grazer Modell“ - Instrumente zur nachhaltigen Stadtentwicklung und Sicherung der Baukultur - vom Grazer Gemeinderat einstimmig beschlossen, nachdem diese Problematik im Auftrag von Stadtrat Rüsch als Planungsreferent mit Mitgliedern der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, der Plattform Architektur und der Wirtschaftskammer in vier Workshops behandelt und vielleicht sogar vereinbart wurde

Stadtrat Rüsch, Stadtbaudirektor Werle und Stadtplanungsleiter Redik brachten sehr ausführlich ihre Stellung zum „Grazer Modell“ vor, von dessen Auswirkungen man eine Verbesserung der bisherigen Planungs- und Gestaltungsqualität in Graz erwartet.
Schon 2006 fand im Minoritensaal eine „Baukultur-Enquete“ mit dem Thema „Gestaltungsbeirat“ statt (GAT berichtete, Anm. d. Red.), dessen positive Ergebnisse zur Qulitätsverbesserung von Bauten in den Städten von einem Vertreter aus Salzburg und einem aus Linz überzeugend präsentiert wurden. Sowohl Rüsch als auch Luser (vormals Stadtentwicklung) vertraten aber damals die Ansicht, dass es für die Stadt Graz eine andere, bessere Lösung geben müsste, weil die Stadt im Kernbereich ohnehin die Qualiätskontrolle durch die Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) ausübt.

Es ist und war jedoch jahrelang das Grazer Problem, dass durch die ASVK zwar im Altstadt-Kerngebiet jedes Gestaltungsthema - wenn auch nicht immer seriös - behandelt wurde, dass aber die angrenzenden Bereiche der Vorstadt, der Peripherie von der zuständigen Baubehörde großteils ohne Qualitätsanspruch, lediglich auf baurechtlicher Basis genehmigt wurden. Das ist die Aufgabe von neutralen, nicht örtlich befangenen Mitgliedern der Gestaltungsbeiräte, für das Stadtbild relevante, an bedeutenden Stellen situierte Bauprojekte baukünstlerisch zu beurteilen und ihre Gutachten für die zuständigen Behörden abzugeben.

Meine dreijährige Erfahrung im Gestaltungsbeirat der Stadt Wels hat mir gezeigt, dass die Entscheidung über die zu beurteilenden Projekte von der Stadtplanung und der Baudirektion erfolgen musste, da diese Abteilungen für die städtebauliche und die architektonische Qualität zuständig sind, und zwar in der Phase des Vorentwurfes.
Dies gilt auch in der Steiermark bzw. in Graz, wenn man an das Baugesetz erinnert, in dem steht, dass ein „Bauwerk derart geplant und ausgeführt werden muss, dass es in seiner gestalterischen Bedeutung dem Straßen-, Orts- und Landschaftsbild gerecht wird“ (§43) - ein hoher architektonischer Anspruch, wenn man will.

Zwei Ideen des „Grazer Modell“ sind:
Der Projekttisch, der aus sämtlichen Behördenvertretern zusammengesetzt ist, wird bei Projekten ab 600 m² sicher eine Erleichterung für die Bauherren ergeben und die Dauer des Bauverfahrens wesentlich verkürzen können. Fest steht, dass öffentliche Bauvorhaben über Wettbewerbe entschieden werden sollen. Aber wer wird entscheiden, ob zur sonstigen Qualitätsbeurteilung ein Gutachten irgendeines Architekten erforderlich ist? Wer wird entscheiden, ob bei größeren nicht öffentlichen Projekten ein Wettbewerb erforderlich ist? Oder werden bei solchen Projekten Wettbewerbe vorgeschrieben? Und wer wird wie verlangen, dass Projekte schon im Entwurfsstadium dem Projekttisch vorgelegt werden?
Der Projekttisch wird das Projekt vorbesprechen, vorabklären: Wird dann die Baubehörde rascher entscheiden können?
Das Stadtforum, die zweite Idee des „Grazer Modells“, bestehend aus 5 - 10 Personen, „hellen Köpfen“ lt. Rüsch, soll zweimal jährlich Klausuren abhalten. Lobenswert, wenn es anschließend öffentliche Diskussionen bzw. Informationen gäbe.

Die Stadt Graz hat mit diesem Modell auf die Interessen der Wirtschaft Rücksicht genommen; ob es damit gelingt, auch die Gestaltungsqualitäten und die Ansprüche an zukünftige Projekte zu heben, ist noch nicht garantiert. Man hat das Gefühl, dass ein Gestaltungsbeirat eine einfache, klare Lösung bringt, das „Grazer Modell“ aber ein umfangreiches, aber nicht ausgereiftes Konzept bedeutet.
Man hat sich sehr bemüht, die Last wird umso größer.

Stadtrat Rüsch hat auch von der dynamischen Entwicklung der Städte gesprochen und die diesjährige Biennale in Venedig zu diesem Thema erwähnt - auch, dass in Graz bis zum Jahre 2050 bis zu 450.000 Einwohner erwartet werden.
Ein Thema, das heute schon im Grazer Stadtverkehr ungelöst ist und städtebauliche Konsequenzen erfordern würde, die zukunftsrelevant sind und die Gestaltung der Peripherie, die Einbeziehung der Außenbezirke berücksichtigen. Schon Gartler hat vor Jahren die Entstehung von Sekundärzentren überlegt.
Die theoretische städtebauliche Konzeption für die Zukunft ist erforderlich, um die derzeitigen praktischen Entscheidungen nicht ziellos vornehmen zu müssen.
Architekt Herbert Missoni leitet mit Architekt Jörg Wallmüller das Team A Graz. Missoni war von 2000-03 Mitglied des Gestaltungbeirates der Stadt Wels/OÖ. Er ist Ortsbildsachverständiger in Bad Radkersburg und Lienz/Osttirol und Mitglied des Gestaltungsbeirats für den Thermenbereich Bad Radkersburg - Radkersburg-Umgebung. Ab 2007 wird er Mitglied im Qualitätsbeirat für sozialen Wohnbau in Oberösterreich sein.

Verfasser/in:
Architekt Herbert Missoni, Kommentar
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