09/04/2014

Die Holding Graz hat das Wartehäuschen an der TU Graz am 2. April 2014 abtragen lassen.

Irmfried Windbichler nimmt im GAT-Gespräch dazu Stellung und erklärt zudem, warum die Mittelmäßigkeit dominiert, der Druck auf Architekten immer größer wird und wieso das Kreative es in Graz so schwer hat.

09/04/2014

Studierende der TU Graz haben anlässlich der Abtragung des Wartehäuschens gegenüber der Bibliothek der TU Graz am 3. April 2014 am Platz der von Windbichler, Kollegger und Kuebel entworfenen 'Kunst-Tramwaystation' eine Trauerfeier abgehalten

©: Emil Gruber

Nach der Demontage der 'Kunst-Tramwaystation' bietet der Platz vor dem Cafe' Tribeka einen Anblick, wie er in fast ganz Graz anzutreffen ist

©: Emil Gruber

Der Architekt, Maler und Fotograf Irmfried Windbichler im Gespräch mit Emil Gruber

©: Emil Gruber

Ohne auf einen Bescheid des Bundesdenkmalamtes zu warten, wurde am 2. April 2014 durch die Holding Graz in Windeseile das vom Architekturbüro Windbichler gestaltete Wartehäuschen an der TU Graz entfernt. Der Architekt, Maler und Fotograf Irmfried Windbichler nimmt im GAT-Gespräch dazu Stellung.

Das Interview führte Emil Gruber.

Herr Windbichler, jetzt ist Ihr Wartehäuschen in einer Blitzaktion abgerissen und durch ein Standardhäuschen ersetzt worden. Wie geht es Ihnen damit?

Ich habe länger darüber nachgedacht. Ich war immer einer, der sich dafür eingesetzt hat, dass sich die Stadt weiterentwickeln muss, nicht in Denkmälern ersticken darf und dass immer Neues und Veränderung möglich sein sollen.  Das muss ich auf mein eigenes Werk auch anwenden, konsequenterweise. Und man muss in die Zukunft schauen. Der Platz hat ein gewisses Potential. Ich würde mir dort einen Wettbewerb für junge Architekten wünschen. Wir waren damals ja auch ein junges Team, wir waren zu dritt und haben diese Haltestelle geplant. Da waren noch der Joe Kollegger und der Gerhard Kuebel dabei. Wir waren alle sehr unbefangen. Wenn wir das ins Heute transportieren könnten und man wieder eine Möglichkeit schaffen würde, den Platz zu bearbeiten und etwas Schräges zu machen, dann kann ich schon damit leben, dass unser Beitrag verschwindet. Wir sind ja nur ein Sandkorn in der Geschichte. Die Sachen kommen und gehen, das ist einfach der Lauf der Dinge. Manches bleibt lange übrig, die Pyramiden besonders lang, aber das war ja keine Pyramide. Es war für uns eine wichtige Arbeit, eine besondere Konstellation, die damals in Graz möglich war. Diese Möglichkeitsfenster sind heute nicht mehr so offen wie damals. Und vielleicht könnte das ein Anlass sein, wieder ein Fenster aufzumachen und sich frisch denken zu trauen.

Wie finden Sie die rasche Vorgangsweise seitens der Stadt, gegen die ja keine echte Reaktionsmöglichkeit bestand?

Da gibt es vielleicht zwei Antworten dazu. Einerseits, dass man sich als Architekt von den Arbeiten, die man macht, relativ früh verabschieden muss – spätestens wenn sie der Benutzer oder Bauherr übernimmt. Oftmals schon ein bisschen früher, so wie bei Kindern, die selbstständig werden. 
Und das andere ist die Vorgangsweise. Ich hab einen Hinweis gekriegt, dass da etwas im Busch ist. Und ich habe das weitergegeben, was einen Mediensturm ausgelöst hat, aber vielleicht hat das auch beschleunigt, dass jemand Fakten schaffen wollte, um nicht durch irgendwelche Verfahren behindert zu werden. Und das Eisenbahnrecht, das möglicherweise hier angewendet wird – ich weiß es nicht genau – das ist so ein Recht, das aus dem Militärischen stammt. Nicht umsonst gibt es diesen Spruch, „da fährt die Eisenbahn drüber“. Möglicherweise hat sich jemand so eine rechtliche Situation zu Nutzen gemacht, bevor das Denkmalamt sich Gedanken machen oder die Altstadtkommission irgendwelche Statements oder Regulierungen abgeben konnte. 

Argumente waren, Ihr Objekt sei angerostet, damit sei Gefahr in Verzug gegeben bzw. sei ohnehin niemand vom Regen geschützt gewesen, also rein funktionale Argumente. Glauben Sie diese Argumente? Oder ging es eher um einen weiteren Beitrag zur Uniformierung der Stadt?

Wir leben in einer Zeit, in der die Excel-Tabellenrechner den Ton angeben. Wenn jemand ausrechnet, dass dies billiger wird oder gar nichts kostet, wenn der Ankünder eine Haltestelle über Werbeflächen finanziert, dann kann man das einer Kommune schon beibringen, dass das für die Wirtschaftlichkeit förderlich ist. Den Trick mit „Gefahr in Verzug“ wenden alle gelegentlich an, das ist sicher eine Ausrede und ich hab auch nie behauptet, dass es wirklich trocken ist unter diesem Wartehäuschen. Das war auch nie so gedacht oder gemeint. Es ging um Exponiertheit und Schutz. Es ist das Bild eines Wartehäuschens, ein Spiel, ein formales Statement. Es tut so wie ein Wartehäuschen.

Im Gegensatz dazu werden zum Beispiel im Bregenzer Wald in Krumau gerade alle Bushaltestellen von internationalen Architekten individuell neu gestaltet – in der Provinz. Woran scheitert es in Graz, anstatt Ihr Häuschen wegzureißen, den Faden aufzunehmen und weitere zu bauen?

Die Grazer hätten das ja vor 25 Jahren – oder wie lange das her ist – schon haben können. Damals war ja die Idee einer ganzen Straßenbahnlinie mit von Architekten und Designern gestalteten Wartehäuschen, dass es eine Architekturlinie gibt. Warum das nicht weiterverfolgt wurde, weiß ich nicht, aber in Graz gibt es immer die Tendenz, sich mit dem Mittelmäßigen zu begnügen. Wahrscheinlich war das schon Exponiertheit genug, was wir da angestellt haben. Jetzt war halt der Backlash, dass man Wartehäuschen macht, wie sie überall auf der Welt herumstehen, vielleicht, damit man erkennt, dass das ein Wartehäuschen ist. Bei uns wusste man ja nicht, ob das überhaupt eins ist oder ob die Bim da stehen bleibt. Die Eindeutigkeit und die Banalisierung ist halt eine Tendenz, die wir in der Zeit haben. Ich finde es schade, weil durch das Unscharfe und Undefinierte Spannung entsteht, Spaß am Leben. Und diesen Spaß wollten wir auch ein bisschen rüberbringen.

Generell ist die Tendenz zur Kunst im öffentlichen Raum rückläufig, massive Förderungskürzungen geben ja alleine schon eine Richtung dazu vor.

Das liegt möglicherweise auch in der Zunahme des Virtuellen. Ich denke da an die Gesellschaft der gesenkten Köpfe mit ihren Handys und Tablets, die lieber SMS schreibt statt „Hallo, wie geht’s dir?“ zu sagen. Damit verliert der öffentliche Raum an Dringlichkeit. Wir brauchen ihn zwar unbedingt, aber vielleicht wird seine Gestaltung nicht mehr als so wichtige Aufgabe erkannt. Die Bewegungen sind ja nicht linear, es sind Wellenbewegungen und vielleicht haben wir jetzt eine Phase, wo das ins Hintertreffen gerät. Ich hoffe, es setzt wieder einmal eine Gegenbewegung ein und zwar fernab von diesen normierten Sicherheitsauflagen, die uns bei jedem Schritt verfolgen. Alles, was man macht, die Geländervorschriften, die Stufen und Stolpersicherheitsrichtlinien, das ist verrückter als die alten Bauvorschriften. Das tut uns Architekten sehr weh, der Allgemeinheit möglicherweise noch nicht ganz so. Ich hoffe, dass die Schmerzgrenze einmal so überschritten wird, dass ein Überdenken einsetzt. Man muss nicht alles einkasteln, man schaue nur auf die Nachbarländer, was für großzügige Treppenanlagen man da macht. In der Kunstgeschichte schon haben die Österreicher, wie sie Venedig besetzt haben, begonnen, entlang der Kanäle Geländer zu machen. Und ich kann dazu nur sagen, Gott sei Dank sind die Österreicher rechtzeitig weggejagt worden.

Auf der von Ihnen gestalteten Fassade der Sigmund Freud Landesnervenklinik ist ein Text aus einem Brief des Psychoanalytikers zu lesen: „Doch man muss annehmen, was einen, Gutes oder Böses, trifft …“

Als Architekt ist man unter allen Künstlern der, der am wenigsten eigene Produktionsmittel hat. Wenn ich ein Bild male, kann ich mir die Leinwand und Farben kaufen, das ist leistbar, und dann male ich. Wenn ich Architektur mache, arbeite ich mit fremdem Geld im öffentlichen Raum und arbeite in einem Beziehungsgeflecht, in das sehr viele Regulierungen hineingreifen. Im Grunde sehr unfrei. Man darf nicht verzweifeln bei dem ganzen Wust, man muss mit dem Kopf durch die Wand und die Energie finden, das beiseite zu schaufeln. Das herauszuschälen wird immer schwieriger, weil der kommerzielle Druck, der Vorschriften-, Normen- und Verantwortungsdruck größer und größer wird, bis hin zur Haftung. Dies kann nach Jahrzehnten noch schlagend werden. Grundsätzlich muss man das alles wegdrängen, damit einem nicht der Spaß vergeht.

Wenn man Ihr Werk ansieht, spielen neben der Architektur auch die Fotografie und die Malerei eine wichtige Rolle in Ihrem Leben. Ist das notwendig, damit Ihnen nicht der Spaß vergeht?

Das ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit. Ich hab hier Räume, wo ich male, ich fotografiere viel, im Grunde genommen ist für mich alles das Gleiche. Das Gestalten, das Umsetzen von Gedanken, das Umsetzen von Situationen ist kreatives sich Einbringen in Gesellschaft und Umwelt. Ich will das nicht trennen in die verschiedenen Sparten. Es ist eine Haltung, die dahintersteckt und ich als Person bin nicht einmal der oder der, sondern immer der Gleiche, ob ich male, zeichne oder auf der Baustelle was mache.  Das gehört alles zusammen, und die Frage, ob das noch Kunst ist, interessiert mich nicht.

Also Ihre persönliche Psychotherapie?

Natürlich und ich habe die wunderbare Möglichkeit, wenn mich das eine frustriert – was in der Architektur immer wieder passiert – dann gehe ich einfach ein Zimmer weiter und male. Auf diese Art regeneriere ich mich. Als Maler bin ich eher Zeichner, ich male relativ schnell, ich brauche einen Abend für ein Bild. Ich male mit Wasserfarben, Buntstift und Acryl. Mit Öl geht es mir viel zu langsam. Ich habe in letzter Zeit begonnen, mehr gegenständlich zu malen. Was ich aber wieder hinter Schichten von Abstraktem verstecke, damit es nur für mich lesbar bleibt.
Ich renne auch immer mit einer Kamera herum, ich fühle mich nackt ohne. Fotografie ist von meiner Arbeit als Architekt mit beeinflusst. Abstraktionen, hartes Licht, in dem sich Schwarz und Weiß klar trennen. Ich finde das so schön, weil es in meiner Hand ganz alleine ist, da redet mir niemand drein. Und wenn was schief geht, kann ich es leicht beheben – im Gegensatz zur Architektur.

In einem Artikel von Ihnen ist der Satz zu finden: „Denken findet außerhalb der Worte statt und lässt sich daher oft nur bildhaft darstellen.“

Ich hab einmal die Lehrer beschimpft, weil sie die Kinder zu Analphabeten erziehen, indem sie ihnen das Zeichnen nicht beibringen, das bildnerische Zeichnen. Für mich ist das genauso eine Sprache, in der man sich ausdrückt und ganz konkrete Mitteilungen macht. Wenn Sie bei irgendeinem Bauverfahren einen Juristen dabei haben, dann beginnt er, den Plan zu beschreiben, völlig unverständlich, wo doch die Zeichnung vieles klarer und unmissverständlicher ausdrückt. Das sind Ausdrucksmöglichkeiten, die genauso wichtig sind, die in unserer Gesellschaft, die von Juristen dominiert ist, unterschätzt werden.

Wie gehen Sie mit Ihrer Zeit um, bei so vielen Interessen. Sie hatten ja noch Gastprofessuren, waren Vorstand der Architektenkammer, des HDA und vieles mehr. Wie geht es mit den Familienleben?

Von der Familie kam schon immer wieder eine leichte Klage. Aber irgendwie haben wir es – die Kinder sind jetzt groß – geschafft. Ein Freizeitproblem hatte ich nie. Freizeit, was ist das? Ich habe meine Sachen immer gerne gemacht, das ist wie Freizeit oder besser sogar.

Gibt es so etwas wie besondere Projekte mit Herzblut?

Das ist schwer. Herzblut ist immer dabei. Ich bin ein ganz schlechter Autobiograph. Wenn es Kataloge gibt, in denen ich Beiträge liefern soll, hab ich immer die größten Probleme, aufzuzählen, was ich gemacht habe. Ich bewundere immer die Leute, die genau wissen, wann sie was  gemacht haben. Ich weiß das nie, weil ich in der Gegenwart lebe. Ich schreib dann immer eine Jahreszahl hin. Ich bin schon draufgekommen, dass ich gelegentlich unterschiedliche Jahreszahlen angegeben habe. Falls je jemand eine Biographie über mich machen möchte, der tut mir jetzt schon leid. Er findet widersprüchliche Angaben von mir selber.

Was ist aktuell Ihre spannendste Arbeit?

Ein Modegeschäft in Wien, das ich vor ca. 25 Jahren gemacht habe, neu zu gestalten. Das ist ein Höllentrip, weil man natürlich eine subjektive Beziehung zu den Dingen hat und auch der Bauherr, der ebenfalls noch immer derselbe ist, sich daran gewöhnt hat. Wie viel bleibt, wie viel soll neu werden? Jetzt bin ich derjenige, der meine eigene Arbeit teilweise vernichtet, um auf das Wartehäuschen zurückzukommen.
Es gibt aber doch Projekte, um die es mir leid ist. Zum Beispiel Humanic in der Herrengasse, weil das ein wichtiges Projekt war. Das war das erste zeitgenössische Geschäft in der Innenstadt von Graz und ich habe sehr stark darum mit der Altstadtkommission kämpfen müssen. Ich war eigentlich für sie ein rotes Tuch. Dann habe ich einen Verbündeten in der Stadtplanung, der mir weitergeholfen hat, gefunden. Diese Geschichte hat auch zu dem Wartehäuschen geführt. Danach kam ein neues Projekt in der Innenstadt, das Schuhhaus Spitz, wo ich schon in die Altstadtkommission eingeladen wurde, das Projekt vorzustellen und das auch recht wohlwollend betrachtet wurde. Und ein paar Jahre später bin ich dann selbst in die Altstadtkommission geholt worden. Da gab es möglicherweise einen Paradigmenwechsel. Ich hab mir gedacht, jetzt macht ihr den Bock zum Gärtner. Ich habe dann dort fünf Jahre durchgehalten und auch gelernt, wie solche Mechanismen ablaufen. Der Blick hinter die Kulissen also.

Thema Altstadtkommission: Wie soll man mit dem Bestand Alt/Neu umgehen?

Man muss einen Weitwinkelblick haben. Wenn man sich die Altstadt anschaut, wie sie sich darstellt, schaut alles alt aus. Aber wenn man genau hinsieht, ist alles immer wieder im Stil der jeweiligen Epoche gebaut worden und das war immer modern und ist zum Alten dazugestellt worden. Das ist die richtige Herangehensweise, die wir verloren haben. Heute möchte man alles unter die Käseglocke stellen. Die Altstadtkommission hat zum Glück nie so reagiert, sondern Neues zugelassen. Aber es gibt einen Mechanismus der Angst. Der Bauherr und die Architekten wollen natürlich ihre Projekte umsetzen. Dann wird überlegt: Was ist das geringste Risiko? Das geringste Risiko ist, sich anzupassen. Die Altstadtkommission kann, wenn sich etwas angepasst hat, auch schlecht Nein sagen. Damit entsteht ein Teufelskreis. Anstatt zu sagen, ich will das neu machen und ich kämpfe das durch. Dann wird man auch seine Verbündeten in der Kommission finden.

Gibt es ein Beispiel dafür?

Wenn Sie das Jugendstilhaus in der Sporgasse hernehmen – das habe ich vor 15 Jahren umgebaut. Das war ursprünglich ein mittelalterliches Handwerkerhaus, das übrig geblieben ist, ein nichtssagendes Bauwerk, Laden unten, zwei Fenster im 1. Stock, zwei Fenster im 2. Stock. Um 1900 wurde eine neue Fassade daraufgesetzt, was damals auch bekämpft worden ist.  Ich habe diese Fassade restauriert, weil sie wirklich schön ist, habe aber auch Strukturen dahinter verändert. Ein Verbündeter beim Bundesdenkmalamt hat mir das genehmigt. 

Schlussendlich ist Gestalten etwas sehr Persönliches. Wir leben nicht mehr in der feudalen Zeit, wo ein Fürst sagte, wo es langgeht. Es hat jeder Verantwortliche in den verschiedenen Gremien sein eigenes Pouvoir und es hängt von ihm ab, ob er es ausnutzt oder nicht. Ob er an den Buchstaben klebt oder sie dehnt, das ist auch das Spiel in der Altstadt. Wenn man respektvoll, aber ganz neu damit umgeht, dann ist es richtig.

Generell wird in Graz ja nicht wenig gebaut. Besonderer Mut zum Neuen ist dabei aber nur selten zu finden.

Wir haben eine Investorenarchitektur, weil wirtschaftliche Motive in den Vordergrund gestellt werden. In der „guten alten Zeit“ gab es die Idee, dass man sich neu erfindet. Mit einem gewissen Risiko natürlich. Es gab Objekte mit Bauschäden, weil die Konstruktion es nicht ausgehalten hat. Das gehört zum Risiko dazu. Heut versucht man, dieses Risiko nicht einzugehen, kauft sich damit eine gewisse Langweile ein. Vielleicht ist auch die ganze Gesellschaft angepasster geworden.
Als ich studiert habe, gab es eine Studentenrevolte, es gab widersprüchliche Leute, heute sind alle so gleichförmig. Auch die Studenten revoltieren selten, für meinen Geschmack viel zu selten. Graz ist eine Stadt mit über 30.000 Studenten und dafür ist es bemerkenswert ruhig. Vielleicht liegt es auch an der Virtualität. Die Leute vereinsamen und sind nicht so auf die Gemeinschaft angewiesen, wie wir sie noch in den Zeichensälen hatten. Die waren ja Keimzellen von Widerstand, von kleinem Revoluzzertum.

Existenzangst oder doch Ruhe vor dem Sturm?

Ich könnte mir vorstellen, dass es die Ruhe vor dem Sturm ist. Es ist zu ruhig. Ich habe es vorher schon angesprochen, vielleicht ist der Schmerzpunkt noch nicht erreicht, wo diese Reguliertheit weh tut. Es sind nur ein paar Architekten, die jetzt aufschreien, aber die nimmt man nicht ernst. Aber wenn die Allgemeinheit merkt, dass sie zu Tode reguliert wird, dann muss es einmal krachen. Wir haben in unserer Jugend mit dem Bewusstsein gelebt, nie eine Pension zu bekommen und jetzt kaufen die Jungen sich Zusatzpensionen. Wir haben mit Zwanzig nie gedacht, wie das sein wird im pensionsfähigen Alter, das war uns egal. Es gab andere Sachen, die uns im Moment wichtiger waren.

Graz ist City of Design, will aber die jungen Wilden in der Stadt haben.

Graz ist eine Spur zu klein, um so eine Szene zu tragen. Es fehlt die kritische Masse.  Man muss einfach hier immer wieder weg zum Auftanken, weil es hier zu wenig gibt. Als ich in New York war und immer wieder nach Graz zurückgekommen bin, bin ich durch die Straßen gelaufen und hab mich gefragt, „Wo sind die Menschen?“ Graz müsste von den Einwohnern her mindestens doppelt so groß sein, um eine kritische Masse zu erreichen. Vielleicht ist das der Grund, warum in Graz auf Dauer alle Initiativen immer verhungern. Das HDA lebt nur davon, dass sich ein paar Verrückte da hineinsetzen und sich bemühen. Forum Stadtpark und alle diese Institutionen leben davon.

Wohin wird sich die Architektur im Spannungsfeld von Investoren und Kreativität in der nahen Zukunft dann entwickeln?

Ich hoffe, dass der Architekt weiterhin der ist, der die Ideen einbringt. Für mein Gefühl muss er nicht der sein, der die Ausschreibungen und die Bauaufsicht macht. Es geht um den Input, ums Querdenken. Das Neudenken ist die Aufgabe des Architekten. Wie er das macht, wenn er keine Aufträge und nichts zum Essen hat, weiß ich auch nicht. Das Problem ist immer das Gleiche. Man lebt am Rande des Abgrundes. Man gewöhnt sich zwar daran – aber nicht wirklich. Aber ich hoffe, dass es wieder eine gesellschaftliche Anerkennung für die Inputs von Architekten gibt. Wissen tu ich es nicht, ich hoffe bloß.

Herr Windbichler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Michaela wambacher_www

Aus meiner Zeit bei GAT weiß ich, dass es die kritische Masse sehr wohl gibt, sich daraus aber keiner oder kaum eine/r gerne öffentlich kritisch äußert, man schimpft bei uns lieber in Deckung, hinter vorgehaltener Hand. Schade, das bewegt nämlich nichts!

Do. 10/04/2014 11:55 Permalink
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