21/01/2015

Kostenfreie Kreativwerkstätten für Kinder und Jugendliche als Gegengewicht zum öffentlichen Bildungsauftrag: Monika Abendstein, Gründerin und Leiterin der Kunst- und Architekturschule bilding in Innsbruck, im Gespräch.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des GAT-Fokus Architektur- und Baukulturvermittlung.

21/01/2015

Juli und August 2014, Kunst- und Architektur Sommerakademie am neuen Standort von bilding: Rapoldipark, Innbruck.

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Monika Abenstein

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

April 2014: Workshop zum neuen Standort von bilding mit Schülerinnen der NMS Pembauerstrasse in Innsbruck

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Juli und August 2014, Kunst- und Architektur Sommerakademie am neuen Standort von bilding: Rapoldipark, Innbruck.

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Juli und August 2014, Kunst- und Architektur Sommerakademie

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Juli und August 2014, Kunst- und Architektur Sommerakademie

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Im Hintergrund ist das temporäre Basisgebäude zu sehen, das während des Zeitraums der Sommerakademie von Columbos next (siehe Links) gebaut wurde.

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Juni 2014, Workshop zum neuen Standort von bilding mit Schülerinnen der VS Zirl

©: bilding – Kunst- und Architekturschule

Genug Platz für das eigene kreative Arbeiten. Ein Ort, der den Raum dafür bietet. Im eigenen Tempo arbeiten können. Ausreichend Material, um die eigenen kreativen Ideen umsetzen zu können. Menschen, die einen in diesen kreativen Prozesse anleiten und begleiten.
Eigentlich ist dies bereits das Grundkonzept für die Kunst- und Architekturschule bilding in Innsbruck, um Kindern und Jugendlichen einen kreativen Boden für die Entwicklung ihrer eigenen Handlungsfähigkeit und ihres Gestaltungswillens zu bieten. Aktuell ist die im letzten Jahr gegründete Kunst- und Architekturschule noch in Untermiete in der Kulturbackstube Die Bäckerei – in Kürze wird sie aber einen eigenen, neuen Standort am Rapoldipark in Innsbruck bespielen und damit einen neuartigen kommunikativen Kultur- und Kunstort schaffen.

Monika Abendstein, Leiterin und Gründerin der Kunst- und Architekturschule, sieht in diesem Angebot eine Ergänzung und ein Gegengewicht zum öffentlichen Bildungsauftrag. Kinder und Jugendliche verbringen ihre Nachmittage hier freiwillig und kostenfrei. Gut dreißig ArchitektInnen, FilmerInnen und KünstlerInnen leiten die Kinder auf ihrem Schaffensweg in einer der vier Kreativwerkstätten – der Malerei, der Bildhauerei, in der Architektur- und Designwerkstatt oder im Medienlabor – an. Während die Pflichtschulen vor allem auf das Vermitteln von Wissen ausgelegt sind, fördert die Kunstschule die Phantasie und betrachtet die Entwicklung des eigenen künstlerischen Ausdrucks als einen Weg der Persönlichkeitsbildung.
Zur Zeit erhält die Schule finanzielle Unterstützung von der Stadt, dem Land und dem Bund. Der Neubau  für die "Schule" im Rapoldipark wird allerdings ausschließlich mit Sponsorengeldern finanziert und soll bis zum Sommer fertiggestellt werden und als "offene Parkwerkstätte" der Jugend einen Raum für künstlerische und kreative Experimente bieten. Basierend auf einem kollektiven Entwurfsprozess, an dem ab Herbst 2013 ArchitektInnenen, KünstlerInnen und GrafikerInnen auf freiwilliger Basis gearbeitet haben, wird die weitere Entwurfsarbeit sowie die bauliche Umsetzung von Studierenden der Architekturfakultät (studio 3 – institut für experimentelle architektur, TU Innsbruck, geleitet von Volker Giencke) ausgeführt werden.

Was verstehen Sie unter dem „Erwecken des kreativen Potentials“? Wie würden Sie es definieren?

Das kreative Potential ist nichts anderes als die von Grund auf in jedem Kind vorhandene Fähigkeit, sich einzubringen, die Dinge mit den eigenen Augen zu sehen und mit sich selbst in Einklang zu bringen – also das Leben zu begreifen und sich erklären zu können. Es braucht nur die „Erlaubnis“, dass man recht daran tut, einem Gedanken nachzuhängen und  und experimentell "be"greifbar machen zu können. In der heutigen Zeit sind wir sehr zielorientiert und auf wenige allumfassende Leistungsmerkmale hin orientiert. Das erkennt man in den Schulen und in den Curricula ganz gut, wo nur ganz spezifisch ausgewählte Leistungskriterien herangezogen werden. Die Reproduktion, das zieldefinierte Erfüllen wird gefördert, was Kinder aber grundsätzlich bereits von Natur aus an Vielfalt, Neugierde und Gestaltungswillen mitbringen, wird oft vergessen oder negiert.
Wenn man Kinder ganz früh in deren Neugierde und Drang zur Selbsttätigkeit unterstützt, erkennt man das vorhandene Potential ihres selbstständigen und selbsttätigen Denkens. Wenn Kinder diese Unterstützung erfahren, sind sie aktiver und aufmerksamer in ihrem Umfeld. Sie werden in ihrer Beobachtung genauer, können besser reflektieren und aktiv mitgestalten.
Es geht bei unseren Kursen nicht um viel, wir konzentrieren uns auf ganz wenige Dinge. Eine Architektur- und Kunstschule, wie wir sie haben, die braucht nur vier Dinge: Ort, Zeit, Material und Menschen, die sich mit den Kindern als gleichwertige Partner beschäftigen. Das sind Menschen, die diese kreativen Erfahrungen gemacht haben und leben. Das eigentliche „pädagogische“ Konzept basiert bei uns auf Beobachtung, Nachahmung, dem Experiment – und einfach im aktiven Gestalten des Ortes und der Atmosphäre.

Wie haben Sie erkannt, dass dieses Konzept einer Kunstschule Potential in dieser Stadt hat?

Eigentlich durch meine Arbeit als Architekturvermittlerin, die ich seit mehr als 15 Jahre hier in Innsbruck mache. In den Workshops mit Kindern aller Altersstufen, in Schulen und in Kindergärten hat mich die kreative Kraft der Kinder immer wieder erstaunt und fasziniert. Und ich liebe dieses Biotop aus älpischer, verquerter Tradition, lokaler Beengtheit, Entdecker- und Lebenslust, alt- und neukulturellen Charakteren, welches ein hochkreatives Umfeld nicht nur in der Stadt, sondern auch in der ganzen Region prägt.

Sie bieten seit kurzem ihre Kurse kostenfrei an. Hat sich dies bereits bei den Kursen in irgendeiner Weise bemerkbar gemacht?

Bei den kontinuierlichen Programmen bemerken wir vor allem einen Zuwachs an Kindern mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Wir haben die Hoffnung, dass man die Werkstätten als Ergänzung versteht, die im allgemeinen Bildungssystem eine Lücke füllen. In der Schule wären die Kurse kostenlos – wieso sollen wir den Anspruch erheben, dass es bei uns etwas kostet? Das ginge automatisch wieder in die Richtung, dass Kreativität ein Luxus ist, den man sich leisten muss. Ich führe sehr viele Gespräche mit den Eltern, sogar mit den Kindern, die wissen wollen, wer dafür aufkommt. Es ist uns wichtig, mit dem kostenlosen Angebot zu zeigen, dass ästhetische Bildung zur Allgemeinbildung gehört und deshalb auch von der Allgemeinheit getragen werden soll. Es ist sozusagen ein „Umweg“ – das, was die öffentliche Hand im öffentlichen Schulwesen spart, wird an einem anderen Ort wieder freigegeben.

Wie groß ist Ihre Schule in der Zwischenzeit geworden?

Wir haben Werkstättenprogramme für Vier- bis Sechsjährige, Sieben- bis Zehnjährige und Elf- bis Achtzehnjährige, die werden im heurigen Schuljahr von 105 Kindern besucht. Bei allen anderen Veranstaltungen, also bei den Blockveranstaltungen und Workshops sowie den Schul- und Kindergartenprogrammen kommen wir – übers Jahr verteilt – auf 960 Kinder. Das ist relativ viel und bedeutet ein ständig wachsendes Programmangebot.
Die Werkstättenprogramme sind alle am Nachmittag. Die Kleinen beginnen um halb drei und bleiben eineinhalb Stunden, die Großen sind zwei Stunden da. Blockveranstaltungen dauern drei bis vier Stunden und finden am Freitag oder Samstag statt oder an mehreren Samstagen hintereinander. Zusätzlich betreuen wir ja auch noch vielen Schul- und Kindergartenprogramme, die dann meistens vormittags stattfinden.
Unser Anliegen ist, dass wir unsere Kurse nicht nur in Innsbruck anbieten, sondern in ganz Tirol. Die Nachfragen sind da und über Kooperationen mit regionalen Kultureinrichtungen wird auch dieses Angebot wachsen.

Wie trägt das kreative Arbeiten zur Persönlichkeitsbildung bei? Bemerken Sie eigentlich bei den Kindern den Einfluss des Zeitalters von Handys und Tablets?

In der Medienwerkstatt, die eigentlich erst ab elf ist, gibt es schon Achtjährige, die selbst filmen und computertechnisch fit sind. Im Grunde genommen spielen die elektronischen Geräte aber im Moment des Gestaltens, sobald die Kinder mit der Kopf-Hand-Verbindung konfrontiert sind, kaum eine Rolle. Für mich ist der Moment beeindruckend, in dem sie selbst „Hand anlegen“, kreativ gestalterisch tätig werden. In diesem Moment gibt es eine unglaublich hohe Konzentrationsfähigkeit, die, obwohl die aktuellen Räumlichkeiten nicht ideal sind, zu fantastischen Ergebnissen führt.
Ein weiterer, wichtiger Aspekt beim kreativen Arbeiten ist die große integrative Wirkung in der Gruppe. Es macht keinen großen Unterschied, ob jemand aus der Türkei, aus Ungarn oder aus den USA stammt. Wenn es um Gestaltungsprozesse geht, zählt nicht ob jemand fließend Deutsch spricht. In dem Moment zählt nur das Bild, die Zeichnung oder die Skulptur. Die Kommunikation verläuft sofort auf einer anderen Ebene, welche verbindet und Gemeinsames schafft.
In der Gruppe müssen sich die Kinder organisieren, teilen. Nicht jeder hat alles sofort zur Verfügung. Die Freiwilligkeit des Kursbesuchs spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Die Kinder wissen, diese Kurse sind nicht verpflichtend, sie sind nicht in der Schule. Sie kommen aus eigenem Interesse zum Zeichnen, zum Bauen, zum Filmen.

Im letzten Jahr war das Buch „Die Durchschnittsfalle“ von Markus Hengstschlager in Österreich sehr populär. Sein Buch ist ein Statement, dass wir noch nicht wissen, was in der Zukunft an Potentialen notwendig sein wird, und wir deswegen die Kreativität fördern sollen.

Unsere Arbeit geht in dieselbe Richtung. Die heutigen Probleme können wir ja bereits sehr schwer lösen und sie potenzieren sich. Morgen sind es andere, von denen wir heute noch gar nicht wissen, wie wir sie lösen können. Wir müssen fähig sein, auf neue Bedingungen und Situationen authentisch zu reagieren. Dafür muss man eigenständig und lösungsorientiert denken können, beobachten können, eine gewisse Freiheit in der Betrachtung haben.
Was machen wir mit all der Schul- und Gesellschaftsbildung, die auf das Fördern der kreativen Fähigkeiten und die Herzensbildung verzichtet? Bildung soll uns selbständig, handlungsfähig und frei machen, soll uns und unseren Mitmenschen das Leben erleichtern, soll uns helfen zu verstehen und verstanden zu werden. Das sind kreative Prozesse, die wir nur mit Kopf, Hand und Herz bewältigen können. „bilding“ liefert dazu einen konkreten Ansatz und wir hoffen, dass wir unsere Kinder im Erkennen und Weiterentwickeln ihrer kreativen Fähigkeiten fördern und unterstützen können. „bilding“ soll einen aktiven Beitrag zur Bildungspolitik in Österreich leisten und als Pilotprojekt für andere Initiativen dienen.

Interview mit Monika Abendstein im Dezember 2014



Lebenslauf Monika Abendstein

Studium der Architektur TU Innsbruck, Polytechnic University José Antonio Echeverría” Havanna und Akademie der Bildenden Künste Wien
seit 1996 freischaffende Architektin
bis 2005 Architekturvermittlung im aut. architektur und tirol
Gründungsmitglied von BINK, Österreichische Initiative für Baukulturvermittlung für jungen Menschen
2009 Gründung und Leitung der KUNSCHTschule für Kinder und Jugendliche
seit 2014 Leiterin von bilding. Kunst und Architekturschule für Kinder und Jugendliche in Innsbruck

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