21/05/2013

Mehr zu diesem Thema ist in der Masterarbeit von Verena Müller nachzulesen:
Schrumpfung in Österreich
Eine Fallstudie in Eisenerz
(2012)
Verena Müller studierte Architektur an der TU Graz.

21/05/2013

Eisenerz: Der Bergmann

©: Verena Müller

DER BERG prägt die Stadt Eisenerz

©: Verena Müller

Das Krumpental - hier wird die Schrumpfung besonders augenscheinlich

©: Verena Müller

Jugendfrisör in Eisenerz 2010

©: Verena Müller

Information für Kunden in Eisenerz 2010

©: Verena Müller

StudentInnenprojekt "Eisenerz: Bedrohtes Erbe und Sozialer Wandel"; SS 2010 - Projektarbeit gemeinsam mit der Bevölkerung

©: Verena Müller

Was sich die Eisenerzer Jugend wünscht

©: Verena Müller

Wünsche junger Eisenerzer 2010

©: Verena Müller

Die jungen Eisenerzer wünschen sich vor allem ein Kino

©: Verena Müller

StudentInnenprojekt 'Heartz Mi' in Eisenerz: Das erste Modell des Proberaums

©: Nino Bijelic

StudentInnenprojekt 'Heartz Mi' in Eisenerz: Die Jugendgruppe legt den Baubeginn für den Umbau des Proberaums fest

©: Nino Bijelic

StudentInnenprojekt 'Heartz Mi' in Eisenerz: Die Eisenerzer MusikerInnen vor dem, von ihnen ausgewählten Proberaum

©: Nino Bijelic

Eisenerz – eine der vielen schrumpfenden Städte weltweit.

Das Phänomen Schrumpfung ist ein Problem, das auch in der Steiermark bereits sehr aktuell ist. Neben dem Mur- und Mürztal leidet der Großteil der steirischen Bezirke (außer Graz und Graz-Umgebung) unter Bevölkerungsrückgang. Keinesfalls handelt es sich dabei um ein regionales Problem, sondern eher um ein globales.

Gründe dafür sind weltweit neben den wirtschaftlichen auch kulturelle und klimatische Faktoren, die einen Schrumpfungsprozess einleiten können. Ein bekanntes Beispiel eines kulturellen Faktors ist der demographische Wandel. Klimatische Faktoren sind beispielsweise das Fehlen von Trinkwasser, Überschwemmungsgefahren, das Auftauen von Permafrostböden sowie Naturkatastrophen. Ebenso sorgen natürlich auch Hunger und Krieg dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

Der Großteil der uns bekannten Fälle schrumpft jedoch aufgrund von wirtschaftlichen Faktoren wie der Globalisierung und ähnlichen strukturellen Wandlungsprozessen. Es kommt zu einer neuen Verteilung innerhalb der Zentren und einem Bedeutungsverlust der Regionen. Durch das Bündeln der Funktionen in – für die Wirtschaft – attraktiveren Zentren, verlieren periphere Standorte Einwohner/innen und Arbeitsplätze. Auch in Eisenerz in der Steiermark zeigen sich nun die Folgen dieser Umverteilung. Die Globalisierung und die Automatisierung im Erzabbau führten zu einer immer geringer werdenden Bedeutung der Region und in weiterer Folge zum Bevölkerungsverlust.

In einer schrumpfenden Stadt oder Region ist nicht nur der Wohnungsmarkt stark beeinträchtigt und geschwächt, sondern es handelt sich überdies um einen Kreislauf von Problemen, die sich gegenseitig ankurbeln und verstärken. Dieser beginnt oft mit dem Ausfall der Wirtschaft bzw. damit, dass der regionale Markt nicht mehr ausreichend Arbeitsplätze bietet. Infolgedessen sinken mit der Anzahl der Bewohner/innen auch die Ertragsanteile. Mit der Erhöhung des Leerstandes verringert sich das Einkommen der Gemeinde. Diese wiederum verliert als Folge ihre finanzielle Potenz und kann beispielsweise Infrastrukturkosten nicht mehr selbstständig tilgen. Die Gemeinde wird handlungsunfähig und deren Situation prekär. Schlussendlich führt dieser Umstand sogar zu einem Ausfall der sozialen Infrastruktur. Schrumpfende Städte und Gemeinden haben somit ein vielschichtiges und tiefgreifendes Problem, von dem unter anderem der Städtebau, die Ver- und Entsorgung im technischen und sozialen Bereich, die Verkehrsinfrastruktur, die Ökologie oder der Finanzhaushalt betroffen sind. Leider gibt es kein Patentrezept für schrumpfende Städte.

Bei einem Spaziergang durch die Stadtgemeinde Eisenerz im Bezirk Leoben zeigt sich mir vor allem die Altstadt ziemlich verlassen. Der Bergmannplatz, der über ein frisch restauriertes Museum (ehemaliges Rathaus), ein altes Drahtkastenhaus und eine Bibliothek im ehemaligen Marktschreiberhaus verfügt, wirkt unbelebt und ungenutzt. Viele junge schrumpfende Städte vermitteln das dramatische Bild (noch) nicht eindeutig sichtbar. Anders im Fall von Eisenerz: Ein hoher Anteil an leer stehenden Lokalen und Wohnungen, überdurchschnittlich viele ältere Passant/innen (Altersdurchschnitt über 50) und nur noch wenige aktive Geschäfte, die unansehnliche Auslagen zeigen. Der Stadtkern mit seiner wertvollen Altstadt ist zum Großteil nicht restauriert, Zwischennutzungen für die Jugend werden eher vermieden. Die dezentral strukturierte Stadt verfügt über ein großes Angebot an Infrastruktur – zu viele Supermärkte, Frisöre, Gasthäuser etc. für die weniger als 5000 Einwohner/innen. Beim Besuch eines Wirtshauses nach 14 Uhr stelle ich fest, dass sich das Zitat eines Eisenerzers „In Gasthöfen ist der Gast der König, bei uns ist noch der Wirt König!“ bewahrheitet und ich verlasse hungrig das Lokal. Die dezentral gelegenen Schulen außerhalb der Stadt lagern jegliche Aktivität aus und sorgen dafür, dass viele der Schüler/innen und Lehrer/innen nach dem Arbeitstag mit dem Bus oder Auto direkt die Stadt verlassen.

Eisenerz wurde als das Herz der steirischen Schwerindustrie bezeichnet und die Stadt mit seinem Erzberg hatte sogar über die Steiermark hinaus eine äußerst wichtige Rolle. Durch den Niedergang des Bergbaus infolge zunehmender Technologisierung verloren Eisenerz und sein Erzberg im Laufe der 1970er und 80er Jahre an wirtschaftlicher Bedeutung. Die Automatisierung im Abbau führte zur Einsparung weiterer Arbeitsplätze. Gerade der äußerst rasante Bevölkerungs- und Beschäftigtenabfall lässt diesen Fall besonders dramatisch wirken.

Auf die seit 30 Jahren anhaltende Strukturkrise antworteten der Bund, das Land Steiermark und die Stadt Eisenerz mit Studien. Viel Geld des Landes Steiermark sowie Wissen und Zeit verschiedener Experten/innen wurden in diese Studien und Konzepte investiert. Allerdings ohne deren Ergebnisse in Planungen mit einzubeziehen bzw. diese zu evaluieren. Für Eisenerz wurden in der Zeit zwischen 1972 und 2010 mehr als 70 Studien in Auftrag gegeben und erstellt. Dies ist jedoch nur jener Teil der Konzepte und Studien, die in Eisenerz greifbar sind. Das politische Programm des Landes, das auf das Problem reagieren und es abschwächen soll, nennt sich Re-design Eisenerz 2021. Im Rahmen dieses Programms haben sich Regionalplaner/innen, Architekt/innen, Soziolog/innen und Expert/innen im Bereich der Wirtschaft mit Eisenerz beschäftigt.

Trotz der suboptimalen Situation in Eisenerz lässt sich ein Phänomen feststellen, das auch in ostdeutschen Städten bereits beobachtet wurde. Viele Politiker/innen, Banken und Institutionen bedienen sich einem zweckrationalen Euphemismus, um die Situation in ihrer Schwere zu entschärfen. In schrumpfenden Städten gibt es häufig eine besonders große Kluft zwischen Alt und Jung mit wenig generationsübergreifenden Kontakten und so herrschen viele Konflikte zwischen den unterschiedlich denkenden Generationen. Diese Eigenheit wurde in Eisenerz im Rahmen eines Jugendprojekts analysiert.

Im Wintersemester 2010/11 initiierte eine Student/innengruppe der TU Graz das Jugendprojekt Heartz Mi in Eisenerz. Dieses Experiment mit einer Gruppe junger Menschen kann als exemplarisches Beispiel für gesellschaftliche Phänomene dienen. Das Ziel des Projektes war es, legitime Ansprüche auf Teilhabe zu fordern. Die Jugendlichen setzten sich zum Ziel, gemeinsam mit den Student/innen einen Leerstand zu beziehen, um ihn als Musikproberaum zu nutzen. Im Zuge des Projektes waren große Anstrengungen notwendig, um dieses zumindest zum Teil umzusetzen. Ein Projekt, das mit Begeisterung und Interesse begonnen hatte, wurde durch fehlende Unterstützung des politischen und gesellschaftlichen Gefüges in Eisenerz eingebremst. Den Jugendlichen gelang es in vielen Fällen nicht, sich den festgefahrenen Machtstrukturen zu widersetzen und schlussendlich ging die Antriebskraft vieler Beteiligten verloren.

Aber auch auf politischer Ebene lassen sich bereits bekannte Phänomene ablesen. Wie im Modell Muddling Through, definiert nach Lindblom, macht es auch in politischen Entscheidungen bzw. Handlungsplanungen in Eisenerz den Eindruck, als würden komplexe Probleme vereinfacht und später eintretende Konsequenzen zum Teil außer Acht gelassen. Es werden kleine Lösungsschritte unkoordiniert aneinander gereiht – ein System, das auch aus anderen Fällen bekannt ist.

Auch die Bürger/innenbeteiligung in der Stadtplanung Eisenerz funktioniert nur begrenzt. Durch die weitere Einschränkung der Öffnungszeiten des Bürger/innenbüros und geringe direkte Information der Bewohner/innen über zukünftige Maßnahmen ist eine integrative Stadtentwicklungsplanung derzeit praktisch nicht vorhanden. Für die Zukunft stellen sich viele Fragen, wie in Städten und Gemeinden mit einem Bevölkerungs- und Bedeutungsverlust umzugehen ist. Ist es denkbar, die zivile Gesellschaft mit der politischen und handelnden Ebene soweit in Verbindung zu bringen, dass eine integrative Stadtentwicklungsplanung erreicht werden kann? Wird es möglich sein, in Zukunft alternative und ungewöhnliche Lösungen sowie gesellschaftliche Experimente zu entwickeln, die eine Stadtentwicklung unter besonderen Bedürfnissen ermöglicht?

Quellen:
Oswalt, Philipp: Prognose: Schrumpfende Städte im 21. Jahrhundert.
Hypothesen - Indikatoren – Weltkarten. Berlin 2008

Klein, Hans-Jürgen: Das 'Muddling Through' auf dem Politikfeld des Arbeitsmarktes als Folge divergierender Partikularinteressen von Interessensgruppen, Studienarbeit. Hagen 2011

Rosegger Rainer: Die Letzten drehen das Licht wieder auf. Systemischer Zugang zum Lebensraum, in Raum 2008, Nr.71, S.19 – 21. ÖIR (Hrsg.)

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