25/05/2009
25/05/2009

Abbruch des Kommod-Hauses, Ecke Einspinnergasse/Burggasse in Graz (8. Dezember 2003). Foto: Joachim Hainzl

Ich bin 24 Stunden am Tag Privatmann. Auch wenn ich schlafe, ist das keine öffentliche Angelegenheit. Ich lege mich nicht in ein Schaufenster, um meinen gesunden Schlaf zu demonstrieren. Ein Rest an Intimität muss auch in der hemmungslos auf Selbstentblößung drängenden Mediengesellschaft gewahrt sein.
Da ich kein öffentliches Amt bekleide, habe ich, was meine geschäftlichen Aktivitäten anbelangt, freie Hand. So weit geht meine Freiheit, dass ich gar keine Geschäfte tätige. Um Herr im eigenen Haus zu sein, brauche ich kein Haus. Ein totales Privatleben muss nicht mit Privatbesitz verbunden sein. Wer sich als öffentlicher Mandatar ein Haus bauen lässt, muss peinlich darauf achten, dass er die Architektin/ den Architekten seiner Wahl nicht gleichzeitig mit einem öffentlichen Auftrag bedenkt – selbst wenn er von deren/ dessen baukünstlerischen Fähigkeiten noch so überzeugt ist. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, über Vergabepraktiken schon. Allzu freigiebig sollte man mit seiner Gunst und öffentlichen Mitteln nicht sein. Freihändige Vergaben brauchen Fingerspitzengefühl, sonst macht man sich die Hände schmutzig. Ehe man sich’s versieht, gerät man in ein schiefes Licht. Auch wenn es nur eine Sinnestäuschung sein mag. Das sind halt die Tücken der Optik.
Wo endet das Private, beginnt das Politische? Die 68er haben seinerzeit das Private zum Politikum erklärt und gleich einmal in ihren Kommunen die Klotüren ausgehängt. In ihrem Sinne ist der Stoffwechsel von öffentlichem Interesse.
Vor ein paar Jahren wurde in Graz die Differenz zwischen dem Politischen und dem Privaten folgendermaßen definiert: Wenn ein Bürgermeister als Bauherr auftritt, tut er das als Privatmann. Schließlich lädt er ja auch nicht die Öffentlichkeit in sein Haus ein. Das gäbe ein Gedränge!
Aber es kann der Beste nicht in Frieden bauen, wenn es der bösen Altstadtkommission nicht gefällt. Immer dieser Stil-Purismus! In ein barockes Ensemble darf man nicht nach Herzenslust seine persönliche Moderne hineinbauen. Wie kleinlich! Wo bleibt denn da der private Einzelne und sein Eigentum, sein eigener Wille als Himmelreich?
Der Titel „Weltkulturerbe“ steht auf dem Spiel? Was geht das einen Privatmann an? Eine Ausnahme mehr wird die Altstadt schon noch aushalten. Wo kommen wir sonst hin? In die Privatwirtschaft?
Da scheint es nur konsequent, dass der Bürgermeister nun auch das Planungsressort übernommen hat. Das wird Graz über kurz oder lang ein neues Gesicht geben. Ich hätte da einen Vorschlag von brutaler Direktheit: Reißen wir die Altstadt nieder! Bringen wir lieber heute als morgen die nötigen Dynamitladungen an den altersschwachen Häusern an. Die reaktionäre, vergangenheitstrunkene Altstadtkommission kann ruhig im Amt bleiben; die darf weiterhin Empfehlungen abgeben, an die sich niemand hält. Wir müssen jede überkommene Ästhetik hinter uns lassen. Schön ist, was nicht gefällt. Die Architektur muss die Schattenseiten der Welt spiegeln. Jedes Haus ein Mahnmal. Nehmen wir nur die neue Thalia als ein Teil fürs Ganze. Frei nach Pasolini: „Acoton oder Wer nie sein Haus mit Tränen sah" …

Graz wird zum Wahrzeichen für Angst und Schrecken. Das Zeughaus zur modernen Folterkammer umgebaut. Andere Städte werben mit historischen Bauten, die dem Schönheitsempfinden früherer Generationen entsprechen. Graz aber wird eine Welt zeigen, die nur abgebrühte Horrorliebhaber oder unbelehrbare Realisten anzieht.
Ich sehe sie deutlich vor mir. Wem seine schlimmsten Alpträume fad geworden sind, der möge Graz besuchen. Wem kein Arzt mehr helfen kann, der ist reif für meine Vision.

Verfasser/in:
Günter Eichberger, Glosse
Wenzel Mracek

Ich kann (und will) Günter Eichberger nicht verteidigen. Wer bin ich denn, das zu können (und zu wollen)? Im Gegenteil zolle ich dem Schriftsteller Günter Eichberger im allgemeinen und für seine Arbeit auf und für GAT meinen vollen Respekt. Dass das Genre der Glosse mit inhaltlicher Ironie, Zynismus vielleicht, oder Polemik verbunden ist und in seinen Ursprüngen aus den handschriftlichen Randbemerkungen der gerade Lesenden an Handschriften und Druckwerken stammt, glaube ich zu wissen. In diesem Sinn frage ich dich, liebe Karin Tschavgova, der ich zumindest ebensolchen Respekt zolle, ob diese Randbemerkungen zu rezenten Problemen um „Architektur/Lebensraum/Stadtplanung“ in literarischer und nicht knöchriger Journalistenform und aus der Sicht des polythematischen Schriftstellers Günter Eichberger nicht vielleicht doch eine Bereicherung für GAT darstellen? Eine Bereicherung vor allem, die über die zu befürchtende Monokausalität auf GAT hinausreicht? Darf ich zum wohlweislich fiktiven Zynismus Eichbergers, die Innenstadt gleich einzureißen und neu zu bauen, anmerken, dass der Hl. Le Corbusier genau solches dem Vichy-Regime betreffend Paris unterbreitet hat? Ist das nicht ein Verweis auf Architekturgeschichte, die Eichberger subtil und ohne mit schwerem Hammer draufzuhauen im Hintergrund seines Texts – oder zwischen den Zeilen, wie es auch Merkmal der Glosse ist – mitdenken lässt? Angesichts der Situation in Graz – und anderswo ist’s wohl ebenso – halte ich Eichbergers Texte gleichermaßen für Denkhilfen wie optische Hilfsmittel, die freie (!) Sicht aus einem anderen, überspitzten oder überhöhten Standpunkt möglich machen. Man muss nur sehen und lesen können (und wollen). Andernfalls wären wohl auch meine Sonntagsgeschichten, Beiträge zur bildenden Kunst und anderes mehr auf GAT verloren oder, wie es in Melvilles „Schreiber“ heißt, forlorn.
Herzliche Grüße von Wenzel Mraèek

Di. 26/05/2009 10:03 Permalink
Karin Tschavgova

Ich kann (und will) diese undifferenzierten, auf billige Lacher schielenden Glossen auf GAT nicht mehr lesen. Sie sind zusammengeschustert aus Unwissenheit (die reaktionäre Altstadtkommission!), Halbwissen und dem Gieren nach Originalität. Sie sind ein Nullsummenspiel (das dem GAT Kosten für ein Autorenhonorar verursacht, nicht mehr) weil sie Themen nie differenziert beleuchten, ja, nicht einmal als Denkanstoß taugen in ihrer Inhaltsleere. Ja, über die Rolle des Bürgermeisters als Stadtplanungschef könnte man diskutieren, auch eine dem Charakter nach überspitzte Glosse ließe sich darüber verfassen – aber bitte doch nicht so unbedarft und oberflächlich. In der Grundtendenz höre ich aus diesen Machwerken auch jedes Mal eine fortschrittsverweigernde, neue Tendenzen ablehnende Haltung heraus, die daher zu kommen scheint, dass der Autor offensichtlich das Bedürfnis hat, „nach dem Maul“ des Volkes zu schreiben. Darum bitte Schluß mit diesem niveaulosen Geschreibsel, das der Sache Architektur/Lebensraum/Stadtplanung usw, der GAT doch verpflichtet ist, nicht dient.

Mo. 25/05/2009 9:54 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+