30/12/2009
30/12/2009

Foto: Joachim Hainzl

Es ist schon ein älteres Haus. Die rote Farbe auf der Fassade blättert langsam ab, und auch manche schwarze Fläche schimmert matt. Da gehört ein neuer Anstrich her. Ein frischer Grünton vielleicht. Oder ein kräftigeres, tiefes Rot. Aber die rote Farbe will auf der Mauer nicht mehr halten. Das Haus will keine roten Backen, das Haus will Trauer tragen. Mit ein paar Sprenkeln Grünspan, als Hoffnungsschimmer.
Für die Renovierung ist eine neue Firma zuständig, obwohl manche Mitarbeiter schon beim letzten Umbau Hand angelegt haben. Ja, mit so einem Haus hat man immer viel Arbeit. Da fällt ein Ziegel vom Dach, dort klemmt eine Tür.
Wenn man ein Haus von Grund auf umbauen will, darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Da ist es mit einem neuen Anstrich nicht getan. Aber wenn sich der Denkmalschutz (auch Proporz genannt) quer legt, muss man sich trotz Erneuerungseifer mit Umfärbeln begnügen.
Damit das Haus nicht einstürzt, braucht es neue Stützpfeiler. Das ist mit Kosten verbunden, rechnet sich aber spätestens beim nächsten Erdbeben. Professionisten sprechen von Erdrutschen. Erdrutschsieg bedeutet, dass das Haus der Naturkatastrophe getrotzt hat. Das Haus hat schon manchen Erdrutsch überstanden, das sieht man ihm an.
In diesem Haus spukt es, behaupten manche. Es gehe darin nicht mit rechten Dingen zu. Da müsse man nach dem Rechten sehen, mit Zauberbesen auskehren. Andere sehen gerade in diesen Säuberungswünschen die Gespenster der Vergangenheit. Schatten grauer Vorzeit huschen durch die Räume, braunstichig wie alte Fotografien. Man kann noch so viel lüften, der Mief will nicht hinaus. Der Lurch von tausend Jahren lagert unter den Teppichen. Und aus dem Keller kommt ein Geruch wie aus Kriminalromanen.
Unser Haus ist größer geworden, da immer mehr Mieter darin wohnen wollen. Das geht nicht ohne Nachbarschaftsstreitigkeiten vor sich. Die Betriebskosten steigen und steigen. Manchmal dringen unheimliche Geräusche aus dem Haus. Die werden von den Hausmeistern erzeugt. Unser großes Haus hat nämlich mehrere Hausmeister. Die liegen sich ständig in den Haaren. Jeder weiß, was für das Haus das Beste wäre. Und so hämmert der eine, während der andere sägt. Das Geländer, das der eine anbringt, wird vom anderen abmontiert. Die Hausmeister fühlen sich als Hausherren. Dem Haus bleibt nur die Hoffnung, dass auch schon Hausherren gestorben sind.

Verfasser/in:
Günter Eichberger, Glosse
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