17/01/2014

Turit Fröbe
Die Kunst der Bausünde
180 Seiten
durchgehend vierfarbig
Hardcover
ISBN 978-3-86995-053-2
Quadriga Verlag

17/01/2014

Cover: Turit Fröbe 'Die Kunst der Bausünde'

"Ich mache mit meiner Hälfte, was ich will". Aus Turit Fröbes Buch 'Die Kunst der Bausünde'

©: Turit Fröbe

"Die Traufe wurde liebevoll mit einer Gaube durchbrochen, mit dem Ergebnis, dass die Bewohner nun freie Sicht auf die Dachrinne haben". Aus Turit Fröbes Buch 'Die Kunst der Bausünde'

©: Turit Fröbe

Aus Turit Fröbes Buch 'Die Kunst der Bausünde'

©: Turit Fröbe

Dann sagten sie: "Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen." (1. Buch Moses)

Wann die „Bausünde“ Einzug in die deutsche Sprache gehalten hat, ist nicht wirklich aufgeklärt. Goethe soll in einem Gespräch mit dem sächsischen Staatskanzler Friedrich von Müller 1827, als diese an einem neu errichteten Gebäude vorbeifuhren, den Satz "Kein Beichtvater kann von solchen Baufehlern jemals absolviren" fallen gelassen haben. In seinen Tagebuchaufzeichnungen änderte Müller später „Baufehler“ auf „Bausünde“ ab.

Fest steht jedoch, dass „Bausünde“ spätestens im frühen 20. Jahrhundert von deutschtümelnden Kritikern als Angriff auf die Moderne eingesetzt wurde. Seinen Höhepunkt erreichte der Begriff dann im Nationalsozialismus. 1941 erschien der zweibändige Leitfaden für Architekten Kampf den Bausünden, in dem Bauten, die nicht den Normen des Dritten Reichs entsprachen, als Schädigung am ganzen Volk beurteilt wurden. (Vergleiche dazu den profunden Aufsatz Die Bausünde – Karriere eines Begriffes von Sarah Retsch).

Was im Rahmen der biblischen Mythologie als Bezeichnung noch durchaus passend sein mag, stellt sich im Gegensatz daher aktuell als sehr hinterfragenswürdig dar. „Bausünde“ ist ein besetzter Begriff und es wäre an der Zeit, andere Ausdrucksformen für misslungene Architektur zu finden. 

Schicken Sie uns Ihre Bausünde. Machen Sie es der Architekturhistorikerin Turit Fröbe nach. Fotografieren Sie Bausünden. Mit etwas Glück wird Ihr Bild dann von uns veröffentlicht. (Leseraufruf im Internetportal der Deutschen Welle vor einigen Monaten)

Die Berlinerin Turit Fröbe widmet sich seit geraumer Zeit – nennen wir es einmal – Architektur, die ins Auge sticht. 2006 veröffentlichte sie im Carlsen Verlag einen durchaus wortwörtlich zu nehmenden Abreißkalender mit Abbildungen von 365 Bauten in Deutschland. Dieser brachte Fröbe sehr schnell einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Szene ein.

Heuer erschien als Nachschlag ein Fotoband: Die Kunst der Bausünde. Auch hier erfuhr die Autorin in den deutschen und auch den österreichischen Leitmedien eine wohlwollende Akzeptanz. Für ihre Publikation war die Autorin wieder quer durch Deutschland gereist und hatte Aufnahmen von einschlägigen Objekten gesammelt.

Aber Fröbe möchte es diesmal nicht bei einer Aufzählung allein belassen; begleitet von ironischen Kommentaren, wird eine Art Kanon geschaffen, der gute, schlechte, geplante und nachträglich veränderte Architektureigenwilligkeiten katalogisiert. Ein weiteres Kapitel, Streetart, nimmt sich Einfamilienhäuser vor und ein Nachruf beschäftigt sich mit mittlerweile abgerissenen Objekten, denen Fröbe wegen ihrer Eigenschaft als Vorzeigeobjekte „guter Bausünde“ nachtrauert. Der überwiegende Teil der Beispiele wird bisher nur wenigen bekannt gewesen sein, besonders bei Privatbauten in Außenbezirken oder in Randlagen der in den Band aufgenommenen Städte.

Was ist aber nun „gut“ oder „schlecht“? Laut Fröbe entscheidet die Bildqualität. „Gute Bausünden“ fallen auf und sind für jeden leicht erkennbar, während „schlechte“ wegen ihrer Unauffälligkeit von den meisten übersehen werden. Deswegen wohl werden mitunter auch Kunst-am-Bau-Objekte, ein Stromkästen-Rondeau, private Vorgärten oder ein mit Gartenzwerg befüllter Balkon der Auswahl beigemengt. Passt zwar nicht ganz in den ursprünglichen Kanon, hat aber Bildqualität.
"Eine gut gemachte, originelle Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und eine beherzte Entschlossenheit aus", definiert die Autorin in der Einleitung.

Wenn schon reines Investorenprojekt, dann bitte grell und bunt, nur ja nicht langweilig. Was zählt, ist also der Unterhaltungsfaktor. „Bausünde“ kann Spaß machen, ist die Kernaussage, so einfach ist das.
Mit diesem Zugang verweigert sich Turit Fröbe elegant jedem echten Diskurs. Kontext und Geschichte werden praktisch ausgeblendet, alles bleibt – auch das ist hier wortwörtlich zu nehmen – an der Oberfläche. Die Kunst der Bausünde hätte durchaus Chancen zu einem Kabarett gehabt, so bleibt sie aber, deutlich massentauglicher, nur Comedy.

Wer Facebook mag, wird auch dieses Buch voller eigenwilliger Architektur liken. Pimp your House now und schick ein Foto an die Deutsche Welle.

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