10/02/2013

Elise Feiersinger, Andreas Vass, Susanne Veit (Hg.):
Bestand der Moderne. Von der Produktion eines architektonischen Werts.

Zürich 2012; 104 Seiten plus Materialheft;
Park Books, Zürich, € 35,00
ISBN 978-3-906027-03-6

10/02/2013

Studenten-Bungalows im Olympischen Dorf, München. Abbildung entnommen dem Materialheft 'Bestand der Moderne. Von der Produktion eines architektonischen Werts'.

Grundschule Rolandstraße, Düsseldorf. Abbildung entnommen dem Materialheft 'Bestand der Moderne. Von der Produktion eines architektonischen Werts'.

Moderne (Architektur) bewahren – ein Widerspruch?

In einem Wiener Symposion der ÖGFA, der Österreichischen Gesellschaft für Architektur im Jahr 2009, behandelten ReferentInnen aus der Schweiz, Italien, Deutschland und Österreich Probleme der Restaurierung, Sanierung beziehungsweise Adaptierung des Baubestandes des 20. Jahrhunderts. Weiterführende Recherchen und die Überarbeitung der behandelten Themen wurden von den HerausgeberInnen Elise Feiersinger, Andreas Vass und Susanne Veit in der 2012 erschienen Publikation Bestand der Moderne in Form eines Textbuches mit beigelegtem Materialheft versammelt.

Das der Begriff der Moderne in den verschiedenen Disziplinen auch unterschiedlich qualifiziert wird, damit bestenfalls zeitliche Überschneidungen bestehen, wird in den einleitenden und allgemein das Problem der Baukultur umreißenden Essays von Andreas Vass, Bruno Reichlin und Gaetano Licita einmal mehr vor Augen geführt. Vor allen ist es Vass, der in seiner Auseinandersetzung Denkmalpflege und Moderne. Über die Schwächen eines (scheinbar) unauflösbaren Widerspruchs auf die historische Entwicklung des Denkmalschutzes rekurriert, über Hegel und infolge Alois Riegls „Ruine als Paradigma“ einen sich in der Gesellschaft etablierenden Wert des (Bau-)Denkmals verhandelt. Nach John Ruskins Feststellung, die Rekonstruktion und Restaurierung von Ruinen käme einer „zweiten Denkmalzerstörung“ gleich, setzte sich zu Ende des 19. Jahrhunderts doch weitgehend die Auffassung durch, der Wert der läge „eben in [der] materiellen Zeugenschaft“ des Unwiederbringlichen, von dem wir aber „ohnedies Wissen oder wissen könnten“. Der Wert der Denkmale, sofern sie zudem einer praktischen Nutzung unterliegen, steht damit nach Riegl in einem prinzipiellen Konflikt mit konservatorischen und restaurativen Maßnahmen. Dem eigentlich folgend, kommt Vass zu dem Schluss, dass „die Trennung von Aussage und Substanz in der Moderne nicht mehr zu halten ist“, was zur Folge hat, dass „Architektur operativ werden muss“ und ebenso ein „an der Moderne entwickelter Denkmalschutz“.

Für eine umfassende Analyse und Bewertung des jeweiligen Objekts setzt sich Bruno Reichlin mit seinem Beitrag ein und er moniert, dass die historisch kritische Einordnung des "Werks", angesichts im Lauf der Zeit veränderter Funktion, ein breites Spektrum an Kenntnissen und Fähigkeiten erfordert. Diese wären jedoch noch nicht Teil des Projektunterrichts, der gegenwärtig an Architekturschulen stattfindet. Man müsste hier ergänzen, dass der von Reichlin aufgestellte Katalog zum analytischen Herangehen im Zuge von Umnutzung und Sanierung moderner Architektur derart aufwändig erscheint, dass er in der Praxis und am konkreten Fall der Erhaltung, Adaptierung respektive des Wiederaufbaus von relevanten Objekten wohl nur in wenigen Fällen geleistet werden kann. Die Forderung nach einem „Pflichtfach“ für Architekturstudenten, das die „präventive Erstellung monografischer Studien zu Gebäuden, die für Erhaltungsmaßnahmen in Frage kommen“ zum Inhalt hätte, erscheint durchaus zweckmäßig. Dass damit aber auch ein (metaphorischer) „Ort der Begegnung für Architekten und Historiker“ entstehen könnte, klingt angesichts finanzieller und zeitlicher Bedingungen für interdisziplinäre Curriculi bzw. als grundlegende Vorarbeit für erhaltende Maßnahmen an Gebäuden moderner Architektur denn doch nach Utopie.

Beispiele für vorbildliche Herangehensweisen in diesem Sinn, wenngleich den Rechercheaufwand gegenüber Bruno Reichlins Katalog in kontrollierten Grenzen gehalten, werden im vorliegenden Band von den Architekten Winfried Brenne (ADGB Bundesschule, Bernau), Adolf Krischanitz (21er Haus), Franz Graf und Giulia Marino (Cité du Lignon, Genf), Klaus Legner, Michael van Ooyen (Grundschule Rolandstraße, Düsseldorf), Martin & Elisabeth Boesch (Verwaltungsgebäude Eternit, Niederurnen), der Architektengemeinschaft Hallenstadion (Hallenstadion Zürich) und der arge werner wirsing/bogevischs buero (Studenten-Bungalows Olympisches Dorf, München) bereit gestellt.

Die Schweizer Architekten Martin & Elisabeth Boesch haben im Verlauf ihrer Sanierung des Verwaltungsgebäudes der Eternit AG in Niederurnen ein Handbuch mit Empfehlungen zum Umgang mit dem Verwaltungsgebäude angelegt. Sie betonen allerdings, trotz der vielen Detailangaben soll das Handbuch „nicht als [darüber hinaus führendes] Rezeptbuch missverstanden werden“. Vielmehr ist es ein Beleg für die methodische Herangehensweise im Rahmen ihres Auftrages. Maßgeblich ging es, wie überwiegend auch bei anderen dokumentierten Projekten, nach einer „kulturellen Bauteilbewertung“ um die bauphysikalische Überprüfung der neu zu erzielenden thermischen Werte. Keine generelle thermische Sanierung wurde vorgenommen, sondern eine Fülle von Detailmaßnahmen.

Eine dagegen völlig anders gelagerte Problematik nahm die arge werner wirsing in Angriff. Unter dem Titel Replik als Methode dokumentieren sie den großteils neuen Aufbau der Studenten-Bungalows im olympischen Dorf München. Unter Beteiligung des mit dem Bau bis 1971 betrauten Architekten Werner Wirsing wurden zwölf Häuser des unter Schutz gestellten Ensembles denkmalgerecht saniert und die übrigen, dem vormaligen Erscheinungsbild sehr ähnlich, neu errichtet.

Bestand der Moderne ist somit kein Nachschlagewerk im Sinn einer allgemeingültigen Anleitung zu Fragen der Erhaltung und Sanierung moderner Architektur. Mit seinen luzide dargestellten Fallbeispielen der Renovierung und Adaptierung maßgeblicher Bauten und den darüber hinaus die Probleme auch in einen historischen Kontext stellenden Aufsätzen bildet der Band allemal ein Vademecum auf der Höhe der Zeit.

Markus Bogensberger

Die HerausgeberInnen werden das Buch übrigens am 19.03.2012 im Haus der Architektur präsentieren und zu einer Diskussionsrunde zum Thema einladen. Außerdem wird Hermann Czech in einem Vortrag seine Sicht der Dinge erläutern. Sicher ein besuchenswerter Abend!

Di. 12/02/2013 12:57 Permalink

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