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Dickes B, oben an der Spree
Im Sommer tut's du gut und im Winter tut's weh
Mama Berlin mag Stein und Benzin
Wir lieben deinen Duft, wenn wir um die Häuser ziehen
(Seeed)
2001 machte Dickes B Seeed schlagartig über Berlin hinaus zu einer Erfolgsgeschichte. Für den Rhythmus des Songs Dancehall und Reggae zu vermengen, verweist auf das, was Berlin immer bleibt: Ein Testgelände für begnadetes Scheitern, ein Pflegeplatz für taugliche Selbstüberschätzung, ein Labor für unplanbare Experimente.
Diese Einmaligkeit war lange Zeit dem günstigen Wohnraum nach dem zweiten Weltkrieg geschuldet. Die Stadt war hässlich und billig, die Survivaltechnik hieß Kreativität. Berlin blieb so immer jung. Der Westen galt bis zum Mauerfall als ein geschützter Arbeitsplatz fürs Ideenauszuprobieren. Auch nach 1989 wieder gab es rund eineinhalb Jahrzehnte durch den Wilden Osten viele Orte des beinahe alles Möglichen. Doch mittlerweile frisst sich die Gentrifizierung in die letzten städtischen Wildgehege. Viele alte Szeneorte sind Geschichte. Mietpreise steigen rasant, die soziale Fallhöhe in der Stadt wird immer höher.
Eine Nacht wie die Hölle, du liegst staubig ins Herz
Und du denkst nun ist Sense, da ein rasender Schmerz.
Ein Stich in die Lunge, ein Reißen, ein Krampf,
ja der Körper lässt grüßen also auf in den Kampf .…
(Linie 1)
Linie 1 ist mit 1800 Aufführungen das erfolgreichste Musical über Berlin. Seit 1986 wird es ununterbrochen am Grips-Theater aufgeführt. Es erzählt vom Leben und Überleben in der Großstadt, von Verweigerung und Anpassung, von Träumen und Selbstbetrug.
Das Musical, das entlang der Stationen eines heute nicht mehr ganz so gegebenen U-Bahn Verlaufs – seit der Wende befährt einen Großteil der ehemaligen Linie 1 die U2 – singt und tanzt, bleibt genauso vergnüglich wie zeitlos politisch.
Die im Stück auftretenden, ultrakonservativen Wilmersdorfer Witwen werden heute wohl bei Pegida mitmarschieren oder AfD wählen:
Berlin erstickt vor Türken
und Asylantenpack
Nur eins kann da noch wirken:
Knüppel aus dem Sack!
(Linie 1)
Aber auch die nach wie vor immer wieder sich neu erfindende, emanzipatorische Gegenseite wird weiterhin streitbar versuchen, die Gesellschaft zu verändern:
Die Etappen bezwungen.
Dem Sozialamt getrotzt,
Und dem Klassenfeind noch einmal in die Fresse gerotzt.
(Linie 1)
Apropos kritisch bleiben. Wahrscheinlich stammt das älteste Lied über Gentrifizierung aus Berlin, aus einer Zeit, in der der Begriff selbst noch nie eine Baugrube erblickt hatte. Ende 18. Jahrhundert wurden auf Befehl von Reichskanzler Bismarck Teile des Grunewalds an ein privates Konsortium verkauft, um dort im Zuge des Ausbaus des Kurfürstendamms ein Villenviertel zu errichten.
Das polemische Im Grunewald ist Holzaktion von Franz Meißner wurde 1892 schnell zu einem Gassenhauer.
Freiflächen sind dank vieler Initiativen nach wie vor genügend vorhanden.
Investorenbegehrlichkeiten auf das Tempelhofer Flugfeld wurden bis heute erfolgreich bekämpft. Die jahrzehntelangen, durch die Bombenschäden verursachten, Baulücken sind aber nur mehr selten anzufinden. Zu viel Betongold ist in der Stadt zu schürfen.
Element of Crime sieht das lakonisch-berlinerisch:
Bring' den Vorschlaghammer mit,
wenn du heute Abend kommst,
dann hauen wir alles kurz und klein
.
Der ganze alte Schrott muss 'raus
und neuer Schrott muss 'rein.
(Element of Crime)
Berlin ist verrückt. Berlin ist seltsam. Berlin ist grausam. Berlin ist unfreundlich. Berlin macht wahnsinnig. Berlin ist aufregend. Berlin hat’s gut. Berlin ist Berlin.
Zwischen Kiez und Ku'damm, Moabit und Rieselfeld
Da gibts mehr "Unikümer", als sonstwo auf der Welt
.
Spinner, Träumer, Originale, zwischen Britz und Wilhelmsruh
Und der und die, und du und ich gehör'n wohl auch dazu.
(Reinhard Mey)
Datum:
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