05/02/2018

Außerhalb des Rahmens

Emil Gruber zum Fotoessay QUOTE, UNQUOTE von Zita Oberwalder

Zita Oberwalder
QUOTE, UNQUOTE
Inkl. Beiheft mit Texten in Englisch (Übersetzer Paul Fleischmann)
 
Vorwort und Nachwort, Konzeptdesign und Layout: Johannes Mitterberger
mit einem Text von Ingeborg Erhart
Lektorat: Claudia Ebner
155 Seiten
Druck: Steiermärkische Landesdruckerei

Auflage 200
Jedes Exemplar handnummeriert und signiert
€ 48.00
 
Buchbestellungen über oberwalder_zita@hotmail.com

05/02/2018

„Ohne Titel“, Fisterra (Finisterre), Spanien 2017

©: Zita Oberwalder

„Aus dem Hotel“, Bad Eisenkappel (Želenzna Kapla Bela), Österreich 2015

©: Zita Oberwalder

„Santa Maria in Trastevere“, Rom 2015

©: Zita Oberwalder

„Via Volturno“, Bologna 2007

©: Zita Oberwalder

„Ohne Titel“, Sevilla 2015

©: Zita Oberwalder

Fotoessay QUOTE, UNQUOTE

©: Zita Oberwalder

Fotoessay QUOTE, UNQUOTE

©: Zita Oberwalder

Begleittextheft zum Buch in Englisch

©: Zita Oberwalder

Zitate zeigen die Kenntnis vom Vorhandenen durch den Forschenden. Sie sind Hilfswerkzeug zur Vorbereitung für die Untersuchung von bereits erkundetem Territorium. Zitate sind Brücken, die bereits Bestehendes mit noch Fehlendem verbinden. Zitate sind Zwischenräume, die das Ist im Hier zeigen.

„Eine kleine Sammlung an Kurzgeschichten und einem langen Satz“, skizziert Zita Oberwalder ihre Arbeit QUOTE, UNQUOTE. Dieses „Zitat-Anfang, Zitat-Ende“ war zuerst als Ausstellung 2016 in Innsbruck zu sehen. Das nun erschienene Buch dazu ist ein weiteres Zitat. Der Umschlag in Rot und ein wenig Blau und Weiß erinnert an eine Schachtel analogen Filmpapiers – da gab es einmal Agfa, eine der großen Weltmarken des Films vor der Zeit der Speicherkarte.

Zita Oberwalder ist eine Forscherin. In einer Bilderwelt, die sich ständig exponential mit sich selbst multipliziert, glaubt sie an das Unikat, an das nicht schon durch tausend Wahrnehmungen Gegangene. Leuchtende Oberflächen, Tumult, Getümmel und Gemenge überlässt sie anderen Fotografen. Argument und Genauigkeit lautet ihre Formel für das Sehen und das Auslösen. Ihr Positiv verbleibt in der Unpoliertheit, in der Transparenz des Negativs, gemacht für den zweiten, den präziseren Blick des Betrachters. Oberwalder will zum Ursprung. Wie das Konzentrat, in dem sie ihre Bilder entwickelt – Zita Oberwalder ist eine Gralshüterin der Dunkelkammer und lässt echtes Licht ihr Gefundenes auspacken –, ist die Fotografin ein flüchtiges Element. Wer sie kennt, meint, sie ist dreizehn Monate im Jahr unterwegs.

Ernst Haas, der große österreichische Fotograf der Nachkriegszeit sagte einmal, sein wichtigstes Objektiv wären seine Beine. Auch Oberwalder erforscht ihre Orte, den jeweils zur Verfügung stehenden Raum durch langes, intensives Gehen. Daraus entstehen assoziative Erzählstränge, Sequenzen, die dem Betrachter eine Aufgabe stellen: Bilder lesen zu lernen.  

Jeder Sequenz oder um in der Begrifflichkeit der Künstlerin zu bleiben, jeder Kurzgeschichte in QUOTE, UNQUOTE ist ein Titel vorangestellt. 

In The Garden of the Blind sieht die Fotografin selbst am erwartbaren Motiv vorbei, dorthin wo das Narrativ entsteht, um Bilder zu d e n Bildern zu machen. Nein, nicht Michelangelos Moses in der römischen San-Pietro-in-Vincoli Kirche fotografiert sie, Zitas Blick wendet sich einem Münzautomaten für die Besucher zu, der das Licht auf die monumentale Statue freischaltet. Wer Moses aus der Finsternis in das verheißene Land der Sichtbarkeit führen möchte, muss zahlen.
Ganz anders öffnet sich der Botanische Garten der Universität Rom für benachteiligte Menschen. Brailleschrift zur Pflanzenbeschreibung wurde für Blinde und Sehbehinderte angebracht. Zusätzlich wurden gezielt Pflanzen ausgewählt, die starke Düfte abgeben oder ein besonders haptisches Erlebnis bei einer Berührung bieten.
Distanziert einfühlsam fotografiert Oberwalder das einmal im Jahr stattfindende Festmahl für Obdachlose und Bedürftige in der Santa Maria in Trastevere Basilika in Rom.
Ein anderer Riese, auch einen der den Weg durch das Meer suchte, findet Oberwalder tausende Kilometer weg von der italienischen Hauptstadt. Die Basaltstelne des nordirischen Giant Causeway rühren von Überbleibseln vulkanischer Lavaflüsse im Tertiär her. Der Mythologie nach sind sie jedoch Reste einer Landbrücke, die der Riese Fionn Mac Cumhaill erbaute, um so nach Schottland zum Kampf mit einem Widersacher auf der anderen Insel zu gelangen.

Zita Oberwalder berichtet vom Existentiellen, vom immer wieder Vorübergehenden. Mit hoher Konzentration tastet sie nach dem Trüben oder nicht mehr Sichtbaren, das unser aller Leben ständig beeinflusst: Hoffnung, Glauben, Trost, Zweifel, Furcht und Tod als Zitat, Zitatende.

Rund vierzig Bombenanschläge, 1971 im Jahr seiner Fertigstellung sogar zwei in einer Woche, wurden auf das Belfaster Hotel Europa oder in seiner unmittelbaren Umgebung durch die IRA verübt. Hotel Europa wird im Buch zu einem sehr persönlichen Fragenkatalog über Aufbruch und Umkehr. Was bedeutet „Reise“ heute?  Wenn es ein Aufeinandertreffen mit anderen, die strapaziös und entbehrungsreich weggingen, weil sie ihre Familie, ihre eigene Haut retten wollten, gibt. Wenn Terror möglicherweise den Weg kreuzt. Freiheit und Beschränkung werden zum Kippbild im Verhalten der europäischen Gemeinschaft, bis die Reise wieder in der Lobby des Hotel Europa endet.

Dann taucht noch dieses lebensgroße Graffito, das Pier Paolo Pasolini in einer Seitenstraße Roms zeigt, auf – ein Symbol wiederauferstanden in seiner wortwörtlichen Zerrissenheit. Der Regisseur sagte von sich einmal, er sei antiklerikal, aber er trage 2000 Jahre Christentum in sich. Der Mord an Pasolini 1975 wurde bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Der lange Satz öffnet sich zur Mitte von QUOTE, UNQUOTE als ein Leporello von Bildern, in denen immer wieder pyramidenähnliche Motive auftauchen. Ein spezieller Einfallswinkel der Sonnenstrahlen durch Wolken soll laut einer der gängigen Theorien in der Altertumsforschung die Bauform von Pyramiden bestimmt haben. Licht als Ursprung von Zivilisation, Licht als Ursprung vom fotografischen Bild. In der Mitte von Oberwalders Fotoserie ein Nichtbild. Bildausfall nennt die Künstlerin es.

 „You ain’t seen nothing yet, here's something that you never gonna forget“ , heißt es in einem Rocksongklassiker der analogen Zeit von Bachman Turner Overdrive.

Als ein völliges Novum in ihrer Arbeitsweise greift Oberwalder im abschließenden Kapitel Nachbarschaften zu einer Digitalkamera, zur Farbe in den Bildern. Es sind Aufnahmen, die sich wieder um Angst und Erlösung drehen, wenn 2015 vor der französischen Botschaft in Rom Blumensträuße im Gedenken an die Opfer des Pariser Attentats liegen und zwei Seiten weiter dann Inschriften am Boden in Santiago de Compostela auf die Geburt des Begriffs Europa verweisen.

Irgendwann warten dann Freunde.
Am Ende kommt auch Zita Oberwalder heim.

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