29/08/2013

Alpbacher Baukulturgespräche 2013
Do. 29.08.2013, 12:30 Uhr bis
Fr. 30.08.2013 19 Uhr

Claudia Gerhäusser berichtet aktuell aus Alpbach.
Ihre Beiträge wurden laufend online gestellt.

Claudia Gerhäusser
Dipl. Ing. Architektur, Bauhaus Universität Weimar und MA of Exhibition Design, Fashion Inst. of Technology, NYC:
Gerhaeusser kam 2010 nach Graz. Zuvor lebte und engagierte sie sich in Weimar, Berlin und New York, immer mit dem Blick für urbane Räume und Veränderungen.

29/08/2013

Alpbacher Baukulturgespräche 2013: Claudia Gerhäusser berichtet aktuell aus Alpbach

©: Claudia Gerhäusser

Welche Instrumente braucht die Politik, um den Ansprüchen von wachsenden bzw. schrumpfenden Städten gerecht werden zu können? Ist Partizipation der Weg zum Ziel?

©: Claudia Gerhäusser

In Alpbach trifft sich seit nahezu sieben Jahrzehnten - seit 1945 -  die politische und wirtschaftliche Elite Österreichs und lässt sich auf Gespräche, Workshops, Diskussionen und Debatten ein. Gemeinsam wird im Austausch nach Visionen und Modellen gesucht, die für Österreich im europäischen und globalen Kontext in Zukunft gelten könnten. Architektur, die sich immer auch im Spannungsfeld zwischen Politik und Finanzentscheidungen bewegt, und deren räumliche Umsetzung Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen und Ziele ist, wird in Alpbach in den Baukulturgesprächen thematisiert.

Vor dem Hintergrund offizieller Statistiken, die mit 2050 die Bevölkerung zu mehr als zwei Dritteln als Bewohner größerer Städte beschreiben, werden hier in Alpbach Fragen nach den Potentialen und Risiken städtebaulicher Entwicklungen gestellt. Wachstum und Schrumpfen der Städte in Europa wird mit einem Blick nach Nordamerika und Detroit diskutiert. Auf der Suche nach geeigneten Maßnahmen für den Umgang mit den Veränderungen der urbanen Landschaften, sollen soziale, politische und ökologische Aspekte mit internationaler Unterstützung besprochen werden.

Pierre Belanger, Professor für Landschaftsarchitektur an der Graduate School of Design, Harvard University (Cambridge, US) referiert über Auswirkungen der Zersiedelung an den Rändern wachsender Städte und über die Problematiken von Siedlungszonen, die entstehen wenn die Bevölkerungszahlen wieder zurückgehen.
Amina J. Mohammed stellt Maßnahmen aus dem Programm Post – 2015 Development Planning der Vereinten Nationen in New York vor, während
Tihomir Viderman aus Zagreb, Forscher am Centre for Urban Culture and Public Space an der Technischen Universität Wien, an der Diskussion über Raumlabor Stadt: Der Umgang mit dem öffentlichen Raum teilnehmen wird.

Ein informeller Einstieg in die Thematik eigenverantwortlicher Raumaneignung wurde bereits gestern Abend geschafft: In der Vollpension, ein Konzept, das aus Wien erfolgreich in Alpbach übernommen wurde, und engagierte SeniorInnen in einen nicht ganz alltäglichen Cafebetrieb integriert, gab es schon einmal neben selbstgebackenem Kuchen konkrete Wünsche aus Alpbach an ArchitektInnen, PolitikerInnen und die Finanzwelt.
Während mit Schuhplattlern die traditionellen Werte durch junge Alpbacher auflebten, forderte die deutlich über sechzigjährige Besitzerin des Hotels neue Ideen für die Umnutzung des leerstehenden Hallenbads in Alpbach. Vielleicht bringt ja das Forum Alpbach selbst abseits von Seminartischen und Podiumsdiskussionen Menschen zusammen, um Ideen für die Zukunft umzusetzen.

Die Themen der Baukulturgespräche sind breit angelegt. Nach der gemeinsamen Idee sollte jetzt in den kommenden zwei Tagen gesucht werden. (Live aus Alpach, Do, 29.08.13, 13:00 Uhr)

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Am Ende zählen Kooperation und Bekenntnis
Einführung in die Baukulturgespräche in Alpbach

Zu Mittag starteten in Alpbach die ersten Vorträge und Gespräche, die sich mit Wachstum und Schrumpfen der Städte in Europa im Vergleich insbesondere mit nordamerikanischen Modellen beschäftigten. Die Wahl des Themas unter dem Blickwinkel nordamerikanischer Entwicklung müsste Architekturinteressierten bereits bekannt, vielleicht schon überholt, vorkommen. Aus diesem Grund war es notwendig, genau hinzuhören und weitere Motive für die Wahl des diesjährigen Fokus herauszufiltern.
Dazu formulierte bereits in der Einführung Caspar Einem, Vize Präsident des Forum Alpbach, die Erklärung. Er spricht von den Parallelen und Unterschieden zwischen Finanzwelt und Urbanistik. Während die Metabolismen des Geldes in der Finanzwelt abstrakt bleiben, zeichnen sich diese in der Urbanistik, in unseren Städten und unserer Umgebung, materiell ab. Die Stadtplanung und die Architektur materialisieren also sichtbar das, was in der Wirtschaft bisweilen nicht greifbar ist. Gemeinsam ist beiden Ebenen die Suche nach einer nicht quantitativ-orientierten Bewertungsmöglichkeit. Qualität soll die bis jetzt etablierten Maßstäbe von Wachstum, Größe und Menge ablösen.

Erste Fragen standen somit im Raum: ein Austausch zwischen Finanz- und städtebaulicher Planungswelt? Oder ermöglichen diese Gespräche einfach einen interdisziplinären Diskurs, eine Chance, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln und Planungsprozesse einvernehmlicher zu gestalten? Ziel wäre nicht weniger als eine erneuerte Bau- und Planungskultur, selbst wenn diese erst einmal abstrakt formuliert bleibt. Man könnte also von einander lernen, soweit man eine sprachliche Ebene findet, eine common language und den Wettbewerb vermeidet, stattdessen durch Kooperation und Commitment agiert. (Live aus Alpach, Do, 29.08.13, 21:00 Uhr)

:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Get together! - Grand Rapid in Michigan
mobilisiert gegen das Image der sterbenden Stadt

Rob Bliss, ein Amerikaner aus Michigan, Anfang zwanzig, präsentiert scheinbar die einfachste Formel eines jungen Lebens: „I wanna have fun“. Er ist einer der auffallenden Figuren des heutigen Nachmittags, die ihre Arbeiten vorstellen. Er zeigt ein Video, das neun Minuten lang eine Kamerafahrt durch Down-Town Grand Rapids filmt und den Song American Pie wie ein Hymne über die Bilder laufen lässt. Unzählige Menschen tauchen in diesem Video lachend, tanzend und euphorisch auf, demonstrieren Gemeinschaft und zeigen dem Betrachter die Vielfalt und den Spaß, den es in der Stadt gibt. Kaum zu glauben, dass in einem Ranking des amerikanischen Magazins „Mainstreet“ für die selbe Stadt in Michigan 2011 ein an Depression grenzendes Szenario beschrieben wurde. Grand Rapids ist demnach eine der am stärksten durch Abwanderung betroffenen Städte in den USA.

Rob steht mit cremefarbenem Anzug, Krawatte und mit perfekten Gesten vor dem Publikum und beschreibt sich als das, was er wahrscheinlich auch ist: Ein Collage Boy, mit einer einzigen guten Idee in seinem Leben. Er machte das, was ihm und seinen Freunden Spaß macht und zog die Bewohner von Grand Rapids mit. Wenn man ihm zuhört, scheint es logisch, dass er durch Pillow Fights, Zombie Walks, Streetdancing und Watergun Battles mit Facebook und Sozialen Netzwerken über 5000 Menschen für das Video zusammen brachte. Er wollte eine Reaktion auf die deprimierenden Prognosen schaffen und sich „slightly off the rules“ bewegen. Entstanden ist ein Projekt, an dem sich praktisch jeder in Grand Rapids, der wollte, beteiligen konnte.

Es könnte ein harmloser Imagefilm sein, hätte er nicht breite, internationale Aufmerksamkeit für Grand Rapid generiert. Offen bleibt aber auch in Alpbach die Frage nach nachhaltigeren Effekten und ob die Imageverbesserung durch das Video die Situation und Lebensqualität in der Stadt verbessert konnte. Das Get Together bleibt als Idee für die Zukunft, nur müsste man noch besser wissen, welche Wirkung damit erzielt werden kann. (Live aus Alpach, Do, 29.08.13, 22:20 Uhr)

Abschied von der Stadt als Festung
Die ungeplante Zukunft

Ein Hauptgedanke der heutigen Gespräche in Alpbach zeigt sich mit zwei weiteren Figuren: Carl Fingerhuth und Pierre Belanger.
Carl Fingerhuth, Schweizer Städteplaner, ehemaliger Archäologe und international agierender Experte für Stadtentwicklung, heute über achtzig, fällt im Vortrag mit Bildern von Le Corbusier und dem jungen Rem Koolhaas auf. Im Interview fordert er anschließend rigoros, dass wir uns endlich “von dem Bild der Stadt als Festung verabschieden müssen”. Wir sollten unseren Begriff von Urbanität verändern. Die Zukunft ist nicht das abgeschlossenen System Stadt, sondern die Stadt als Garten, in dem die Trennung von Stadt- und Naturraum entfällt und die Stadt wieder Veränderungen tragen kann. Fingerhuth erklärt, dass wir „wieder zusammenkommen müssen“. Eine Chance an dem neuen Bild der Stadt beteiligt zu sein, scheint es für junge ArchitektInnen aktuell aber nur in alternativen Bauaufgaben zu geben. Viele Städte und PolitikerInnen wüssten laut Fingerhuth nicht einmal von den neuen Optionen der Architektur und setzen kein Vertrauen in genossenschaftliche oder gemeinwohl-orientierte Ansätze. Noch immer stecken die Städte und viele ArchitektInnen tief im tradierten ökonomischen System, in dem Komplexität und Vielfalt eine Bedrohung bestehender Ordnungen ist.

Etwas später in der Diskussion Limit(less) The Perforated Region nimmt Pierre Belanger den Gedanken einer transformierten Urbanität noch einmal auf und beschreibt das Netzwerk vieler einzelner Städte, die zu Regionen wachsen, in denen Grenzen, auch staatliche Grenzen obsolet sind. Der Saal wird unruhig, als Belanger von dem Wegzug aus den europäischen Zentren spricht und uns allen empfiehlt, sich in ein Flugzeug zu setzen, um an die Küsten zu emigrieren, da dort die Entwicklungen in Zukunft stattfinden. Er proklamiert ungeplante Prozesse aus dem Verständnis heraus, dass es mehr Optionen geben muss und mehr Bewegung entstehen wird. „We wont live in cities, we will live in cooperations“ beschreibt die Herausforderung zum Umdenken, die Belanger in der Beschäftigung mit Dezentralisierung und Migration sieht. „Don’t save the city!“ wiederholt er. Statt dessen fragt er, was uns Menschen in Bewegung setzt und wohin wir gehen, wenn sich die äußeren Bedingungen für unser Leben auf sozialer, klimatischer, ökonomischer und ökologischer Ebene ändern. (Live aus Alpach, Do, 29.08.13, 22:50 Uhr)

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Das Lokale passt nicht ganz zum Globalen 
(The local doesn’t fit the global)
Gedankenaustausch mit Christine Weiske, Pierre Belanger, Karl Schumacher und Dirk Löhr
Zusammenfassung der Gespräche vom Do, 29.08.13.

Bei den Nachmittags-Gesprächen prallen Welten aufeinander, als müsste selbst hier, innerhalb ähnlicher Disziplinen, noch eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Die Parteien auf dem Podium scheitern vielleicht deshalb daran, globale Ebenen mit lokalen in Zusammenhang zu bringen.
Auf einer lokalen Ebene agieren Karl Schumacher im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie und Dirk Löhr, Professor für Besteuerung und ökologische Wirtschaftssysteme an der Fachhochschule Trier. Beide steuern und begleiten kontinuierlich Planungsprozesse, durch welche Infra- und Siedlungsstrukturen in Deutschland realisiert werden. Trotz sinkender Bevölkerungszahlen, so der Standpunkt, wird in Zukunft mehr Fläche für Mobilität und deren Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden müssen. Gezielte Planung mit institutionellen Strukturen im Hintergrund sollte als Instrument eingesetzt werden, um Lebensräume z.B. über Steuerung im Wohnungsmarkt, für die Zukunft besser zu gestalten.

Christine Weiske, Professorin für Stadtsoziologie an der Universität Chemnitz und Pierre Belanger, Professor der Landschaftsarchitektur an der Harvard University Graduate School of Design, scheinen auf diese Fragen nach der Gestalt der Lebensräume völlig andere Antworten zu haben. Belanger bezweifelt die Richtigkeit und Relevanz einer solchen Frage , wenn man sie ausschließlich auf die Verbesserungen der Lebensumstände in Europa bezieht. Europa sei, global betrachtet, verschwindend klein. Selbst die Auswirkungen der Veränderungen in Europa haben für den größten Teil der Weltbevölkerung einfach keine Bedeutung. Weiske und Belanger plädieren deshalb erst einmal für eine neue Bestandsaufnahme der gegenwärtigen globalen Situation, bevor Prozesse auf lokaler Ebene in Gang gesetzt oder Verbesserungen angestrebt werden können.
Dennoch zeichnet jeder der beiden eine eigene Idee der zukünftigen Konditionen und einer kommenden Gesellschaft. Weiske verdeutlicht, dass zivilgesellschaftliche Strukturen Verantwortungen und damit auch Entscheidungsmacht übernehmen werden. Es ist das eigeninitiative und kooperative Element kleinerer Gemeinschaften, das laut Weiske dezentral bestens funktioniert. Wassergenossenschaften und dezentrale Energieversorgung in Österreich sind Beispiele für diesen Gedanken. Ähnlich, nur globaler gefasst und geografisch motiviert, betrachtet Belanger die Notwendigkeit der Deregulierung und Dezentralisierung von Landschaft, Städten und unseren Systemen. „Love to sprawl“ ('Liebt den Sprawl' oder 'Es lebe der Sprawl') formuliert er. Mit dem Begriff Sprawl kommt das nicht Kontrollierbare in die Diskussion. Wie also sollte eine Masse kontrollieren oder planen, die sich dahin ausbreitet, wo ihr im geografischen und politischem Sinne Raum gegeben wird?

Weiske und Belanger richten mit ihren Positionen die Frage an uns, was passieren würde, wenn die Staaten Macht und Zuständigkeiten verlieren und eine limitless, eine grenzenlose, urbanisierte Landschaft entstünde, in der wir in Zukunft dezentral und in permanenter Bewegung leben würden. Wir sollten uns vorbereiten auf das Unplanbare und Prozesse umsetzen, die auf Grundlage immer aktueller Einschätzungen der gegenwärtigen Situation entstehen. (Live aus Alpach, Fr, 30.08.13, 15:30 Uhr)

Eine Frage der Zeit? Or what is the speed of change?

2015 ist aus heutiger Sicht absehbarer. Vieles von dem, was in diesen zwei Jahren passieren wird, ist in einer durch Planung strukturierten Ordnung schon auf den Weg gebracht. Das Jahr 2030 ist weniger greifbar und lässt größeren Spielraum in der Entwicklung, weist aber auch mehr Lücken auf, die mit dem Risiko des Unerwarteten belegt sind. 2050 scheint zeitlich kaum fassbar.

Zu Beginn der heutigen Gespräche stellte Amina Mohammed, Beraterin der Vereinten Nationen, die Agenda Post-2015 vor, an der seit 2000 in internationalen Gremien gearbeitet wird. Sie machte deutlich, dass es eigentlich keine Zeit mehr zu verlieren gibt für einen Wandel unserer ökonomischen und politischen Systeme. Die Agenda ist ein Versuch, weltweit gültige Ziele gegen Armut und menschenunwürdige Lebensbedingungen zu formulieren und trotz der extremen kulturellen und politischen Unterschiede zwischen den Nationen, eine Basis der Zusammenarbeit zu bilden. Die Agenda soll unter anderem Regierungen in die Verantwortung einbinden, jungen Generationen den Zugang zu Bildung und damit zu internationaler Mobilität zu ermöglichen, ebenso wie sie ökologisches und ökonomisches Umdenken für möglichst viele Nationen verbindlich machen soll.

Laut Amina Mohammed wäre es jetzt dringend an der Zeit, den Diskurs über Urbanisierung in neuer Form wieder aufzunehmen. Wenn in absehbarer Zeit mehr als 70% der Weltbevölkerung in urbanisierten Räumen lebt, dann sind es genau die Problemstellungen der Gesundheit, der Mobilität und der Bildung, die in den Städten in Zukunft im Konkreten gelöst werden müssen. Bleibt zu hoffen, dass eine solche globale Agenda die Lebensbedingungen und lokalen Situationen verbessern wird. „A better world by 2030 is possible“ (Live aus Alpach, Fr, 30.08.13, 22:00 Uhr)

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Das Alltäglichen im öffentlichen Raum versus dem permanent selbstorganisierten Spektakel

Eine erste überraschende Erkenntnis im Gespräch Space Lab City: The Use of Public Space vermittelte Cathy Lang Ho, Kuratorin des Beitrags der USA auf der Architekturbiennale 2012: Unsere Vorstellungen von dem, was öffentlicher Raum ist, gehen weit auseinander und in unseren Städten ist der Anteil der Räume, die öffentlich genutzt werden, nur zu einem geringen Teil mit den üblichen Bildern von angenehmen Parks und belebten Plätzen besetzt. Über 70% des öffentlichen Raumes wird nicht von Menschen genutzt. Stattdessen stellen wir diese Fläche unseren Autos zur Verfügung. Durch Parkplätze, Verkehrsinseln und Straßen.

Bevor wir öffentlichen Raum durch unser alltägliches Leben wieder mit Bedeutung versehen können, wie Tihomir Videman, Assistent am Interdiciplinary Centre for Urban Culture and Public Space der TU Wien, uns auffordert, müssen wir somit das Problem der „bewegten Stadt“ und ihrer Infrastruktur lösen. Wir müssten vorhandene Räume besser vernetzen, nicht indem wir deren Architektur verändern, sondern indem unterschiedliche Bewegungsströme in ihnen selbstverständlicher überlagert werden. In einem entsprechenden Spacelab mitten in Berlin testet Frank Christian Hinrichs im realen Maßstab dieses Szenario. Er ist es auch, der in die Diskussion einbringt, dass „wir nicht so viel Neues brauchen, sondern eben nur Vorhandenes besser nutzen müssen“.

Öffentliche Orte erhalten ihren Wert und ihre Existenz erst in den Momenten, in denen viele Erfahrungen mit ihnen verbunden werden. Zumindest betrachtet Tihomir Videman „Places as complex social products filled with many experiences“. Unsere Erfahrungen oder Erinnerungen produzieren die Räume, deren Wert oder Wirkung. Sollen in Zukunft unsere öffentlichen Räume noch Erinnerungen auslösen und einen Wert für uns haben, brauchen wir Methoden, die zu unseren eigenen Erfahrungen werden können. Cathy Lang Ho bringt hier unkontrollierbarere und eigeninitiative Aktivitäten ins Spiel, bei denen man nicht lange fragt, ob Dinge erlaubt sind. „We can’t leave all of our cities’ development to capiatlism and regulations“ umschreibt sie die Prinzipien informeller Raumaneignung, die sich in allen urbanen Strukturen als Guerilla-gardening, Popup-Events und Permanent Parklets etablieren.

Es macht den Eindruck, als wäre das bereits die richtige Idee, um Menschen wieder zurück in den öffentlichen Raum zu bringen. Doch bewegen wir uns damit nicht in Richtung einer totalen Festivalisierung unseres Alltags und der damit verbundenen Räume? Reclaim the city by permanent Events? Die Chance für den öffentlichen Raum liegt irgendwo dazwischen, zwischen dem Alltäglichen und dem andauernden selbstorganisierten Spektakel. Was es sicher braucht, ist eine gemeinsame Sprache, Kooperation, mehr Vertrauen in die eigene Beteiligung und geteilte Verantwortung. Vielleicht müssen wir uns dennoch endlich von der Utopie verabschieden, dass es einen Raum geben wird, zu dem jeder gleichwertig Zugang hat.

"...aber das alles können wir", so meint es jemand aus dem Publikum „...eh erst wirklich machen, wenn wir die Autos aus der Stadt weggeschafft haben“. Wie das konkret gehen kann, bleibt in diesem Gespräch noch offen. (Live aus Alpach, Fr, 30.08.13, 23:30 Uhr)

Kooperation – Potenzial der Baukultur

Das Forum Alpach entstand aus der Idee heraus, durch Gespräche zwischen verschiedenen Disziplinen in der Welt die Chance auf bessere Entwicklungen zu nutzen. Es ging darum, die Welt etwas weniger schlecht werden zu lassen und ein Botschafter für Frieden und Dialog zu sein. Impulse, so könnte es auch heute sein, entstehen durch die Begegnungen in Alpbach. Welchen Impuls die Baukulturgespräche vermitteln können wird sich zeigen. Ihr Wert liegt sicher im Dialog, da ermöglicht wurde, dass lokale Bürgermeister auf kanadische Harvard Professoren treffen oder die britische Soziologin Anne Power mit dem Wiener Tourismusdirektor an einem Tisch sitzt. Mit dem Thema der Stadt gab es ein global relevantes Feld, das von vielen Seiten her betreten werden konnte.

Was bleibt sind Gedanken, die formuliert wurden mit dem Ziel einzelne Positionen zu verbinden. Wenn Anne Power über unserer Städte spricht und erklärt, welchen Weg die industrialisierten Städte bis heute gegangen sind - „first we had the industrial growth explosively, than the industrial collapse occurred in the second half of the 20th century, and finally there happens with the resource restrain that smaller enterprises start to develop“ - dann lässt sich das auf dem Forum Alpach mit den durch Cathy Lang Ho so vehement verteidigten Guerilla Aktionen einzelner Stadtbewohner zusammen lesen.

In vielen Diskursen tauchte eine klare Botschaft auf: Dass Grenzen überschreitende und dezentral organisierte Kooperationen, also nicht mehr nur Partizipation allein, die nachhaltigste Methode für die nächsten 20 Jahre sein wird. Dabei ist es gleich, ob der Tansanische Präsident diese Gedanken auf dem hochkarätig besetzten Abschlusspodium formuliert oder ein junger Student auf dem Science Slam die Abkürzung DIT (Do It Together) statt DIY (Do It Yourself) prägt.

In Architektur und Design rüttelt die schleichende Irrelevanz der eigenen Disziplin auf. Landschaftsarchitekten, wie Pierre Belanger, aber auch der Bürgermeister von Leoben, Matthias Konrad, drängen aus diesem Grund auf Zusammenarbeit. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob das auf lokaler oder globaler Ebene geschieht. Leider wurde aber ein Link zwischen den Ebenen nicht geschafft, da zurzeit noch die gemeinsame Sprache fehlt.

In den Baukulturgesprächen wurde vermittelt, dass sich die Gedankenwelt der Architekten schnellstens verändern müsse, sollte man nicht Gesicht und Einfluss verlieren wollen. Aber ob man das jetzt im Kleinen umsetzen wird? Warum wurde nicht gebaut, nicht die Alpbacher Bevölkerung eingebunden? Warum wird trotz Guerilla Empfehlungen keine Aktion vor Ort umgesetzt, die in kurzer Zeit Entscheider unterschiedlichster Disziplinen erreichen würde? Es gäbe die Chance auf ein bisschen mehr Absurdität und Brüche, um weiter den Diskurs anzukurbeln und zu bereichern. Könnte man direkt auf dem Forum Alpach selbst die Teams von morgen aufbauen?

Hier läge das Potenzial der Baukultur, ihr eigentlicher Charakter, da sie durch das Bauen im Team entsteht! Was es braucht, ist das Herausholen der Gespräche aus dem begrenzten Raum des Kongresszentrums. Baukultur ist greifbar. Für ein nächstes Jahr könnten weiterhin die Gespräche auf hohem Niveau geführt und wirkungsvoller Enthusiasmus thematisiert werden, aber auch ein Schritt in die aktive Bau-Kultur gewagt werden.

Zum Abschluss des Forums spielen Mitglieder der Wiener Philharmoniker Mozart: ein Quartett, ein Team, gelungene Kooperation, viel Arbeit und lange Nachhallzeit - ein klares Rollemodell für die Zukunft!?
(Live aus Alpach, Sa, 31.08.13, 22:15 Uhr)

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Zitierte Gedanken aus den Gesprächen:
„True Freedom lies in the ability to continue developing ourselves“ (Peraphan Jittrapirom)
„Die Metabolismen des Geldes bleiben in der Wirtschaft abstrakt, in der Architektur und in unseren Städte aber, materialisieren sie sich, werden sichtbar und bleiben“ (Caspar Einem)
„It’s time to change - to stop thinking as engineers about our cities“ (Pierre Belanger)
„A better world by 2030 is possible“ (Amina J. Mohammed)
„Can we make Europe more livable? I can’t imagine. But we can increase the amount of options, by decentralise and reducing planning.“ (Pierre Belanger)
„What is the speed of change?“ (Amina J. Mohammed)
„Get to know, why places could fail to function in vitality“ (Cathy Lang Ho)
„There wont be places for everybody, even if they are called public space“ (Tihomir Viderman)
„If you give to the people the right technique, you wont be able to plan or control anymore – so give it to them“ (Frank Christian Hinrichs)
„Festivalisation is not the solution fort he public sphere“ (Angelika Fitz)

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+