03/05/2022

Aber Hallo! 91

Mein Farbenrausch

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

03/05/2022
©: Karin Tschavgova

Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben.

aus Johann Wolfgang von Goethes „ Osterspaziergang“

Kürzlich musste ich nach Ljubljana und abends zurück, und ich ärgerte mich, dass die Fahrt im Zug kaum unter 7,5 Stunden machbar ist. Vier bis viereinhalb Stunden, 2 bis 3x umsteigen für eine Strecke ist die Regel – dabei ist’s ins schöne Ljubljana nicht weiter als nach Wien. Nun, ich setzte mich ins Auto und fuhr los, ungern, denn ich wusste, dass eine der beiden Fahrspuren durch die mittlerweile auf allen Autobahnen obligatorische LKW-Kolonne blockiert sein wird. Unlustig. So war’s dann auch und ich war froh, in der weitgehend autofreien Innenstadt den Fahrradsitz unterm Hintern und Freiheit auf gut ausgebauten Radwegen zu haben (Radausleihe ist unkompliziert). Blöd nur, dass ich auch wieder zurückmusste. Gedanken an den Abendverkehr und an die Rückreise, die ja generell immer unlustiger ist als die Fahrt in die Ferne, in den Urlaub, ins Unbekannte. Sie kennen das sicher. Doch welche Überraschung!

Meine Fahrt zurück glich einem Rausch - einem Farbenrausch aus unzählbaren Grüntönen im frühabendlichen Sonnenlicht. Aufgehellt durch zart weiß blühende Bäume und Sträucher, wie mit dem Pinsel hingetupft, und noch vielfältiger durch helle, sonnenbestrahlte Landschaften abwechselnd mit solchen, die schon im deutlich satter wirkenden Grün der beschatteten Landstriche lagen. Ehrlich, ich war überwältigt und konnte mich nicht sattsehen, schon bevor der Farbenzauber zwischen Spielfeld und Leibnitz noch einen Zahn zulegte. Da brach die untergehende Sonne zwischen der kerzengerade gezogenen Randlinie einer dunklen Wolkenschicht und dem Hügelsaum der Weinstraße durch und tauchte alles, selbst die Leitplanken der ersten Fahrspur, in ein rotgoldenes Licht. Halleluja! Mir fehlen Worte, um diese Stimmung zu beschreiben. Ich wäre gern andächtig stehen geblieben, doch wie auf der Autobahn? „Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“ der Song von Kraftwerk aus den 1970ern fiel mir ein. Und der Parc André Citroën im 15. Arrondissment in Paris, in dem die Landschaftsgärtner einen Jardin doré angelegt haben, neben einem silbernen, einem roten, einem orangen, einem grünen und einem blauen. Genau in der Reihenfolge. Spaziergang dortselbst empfehlenswert! 

Irgendwie in Graz angekommen, ab von der Autobahn in Graz-Ost. Wie alle, die vom Süden kommend die hässlichste Einfahrt nach Graz durch die Kärntnerstraße, die eine Beleidigung für jeden Kärtner sein muss, um den Preis der längeren Anreise unbedingt meiden wollen. Die Sonne war inzwischen weg, der Zauber auch, aber der nicht nur aufgrund der Dämmerung. Ist Ihnen am St. Peter Gürtel schon einmal die Garten-, äh, Umraum- oder Freiraumgestaltung des neuen Martin Auer (Back-)Ateliers aufgefallen? Eine einzige Wüstenei, sechs Monate im Jahr eine Plastikhaut über geneigtem Hang mit Braun, braun …. Wohin das Auge schaut Ödnis, ein verdorrtes Einerlei aus gefühlt tausend gleichen Pflanzen, die in Reih und Glied stehen müssen. Kürzlich wurde das Verdorrte abgeschnitten, musste Sklavenarbeit sein. Hier hat jemand Plangrafik betrieben, ungestalt und ohne ein Gefühl für ästhetische Wirkung. Grafisch sind die Landschaften der US-amerikanischen Landschaftsdesignerin Martha Schwartz, die in Harvard lehrt, auch (siehe: Martha Schwartz, Grafische Landschaften, Birkhäuser), aber sie sind von kräftiger Farbigkeit und Detailreichtum, in ihrer Art geradezu Pop Art. Ihre Arbeiten werden oft als unökologisch und „wider die Natur“ klassifiziert, aber sie sind voll Fantasie und heiter.

Nicht gerade fröhlich macht einen der ungepflegte Zustand der Mittelstreifen und begrünten Randzonen in der neu gestalteten Osteinfahrt nach Graz. Ich erinnere mich, wie diese mit großem Stolz eröffnet wurde. Wie lange ist das her? Schaut man sich heute die Rabatte in der St. Peter Hauptstraße und der Plüddemanngasse an, so wähnt man sich an einem aufgegebenen Ort. Lost places. Hier wurde viel Geld ausgegeben für die Neugestaltung mit Rad- und Busspur und die Begrünung, nur scheint man vergessen zu haben, dass diese auch gepflegt werden muss. Wer ist dafür zuständig? Ist es wieder einmal ein Beispiel dafür, dass bis jetzt in Graz alles stückweise abgehandelt wurde, fein säuberlich getrennt nach Ämtern und partieller Zuständigkeit? Stadtentwicklung und Stadtgestaltung sind als Aufgaben der Verwaltung eine Querschnittsmaterie, die Kommunikation und Zusammenschau braucht. Jedes Tun bedingt wiederum ein weiteres, ganz so wie bei Weiss & Fischlis Aktion „Im Lauf der Dinge“. 

Was in Graz nicht gelingt, war selbst im Istanbul des April 2011 ein uns Staunen machendes Erlebnis. Was für eine Begrüßung! Auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt abertausende von Tulpen, die in schier endlosen Beeten den farbenfrohen Mittelstreifen bildeten. Nun, es müsste nicht soo bunt sein wie die heurige Frühjahrsgestaltung der Stadtgärtner am Eisernen Tor. Die Farborgie dort tut meinen Augen weh, ist für mich aufdringlich bunt, so als hätte man aus dem Katalog von jeder Farbe etwas bestellen wollen. Geht’s nicht besser, Freunde? Auch da fallen mir Beispiele ein, so berauschend schön, dass wir lange davorstanden und das Bedürfnis hatten, sie für ewig auf Foto zu bannen. Frühling in Paris, Jardin de Luxembourg. Heute noch verschicke ich die Farbenpracht als Grußkarten zum Frühlingsanfang. 

Martha Schwartz schreibt vom „menschlichen Artefakt Landschaft“, den sie mit intensiver Farbigkeit ausstattet. Künstlich wirkt vieles, kunstvoll ist es nur selten. Per Definition ist der Artefakt immer etwas handwerklich Geformtes.

Irgendeine unsichtbare Hand muss wohl auch meine traumgleiche Fahrt von Ljubljana nach Graz in der Abendsonne gestaltet, Landschaften und Gebautes in Farben und Bilder getaucht haben, die ich nie vergessen werde. Eine Landschaft ganz ohne Zutun des Menschen, gleichermaßen kraftvoll wie ephemer. Und vielleicht deshalb so unbeschreiblich schön. 

Peter Laukhardt

ohne die Gaben der Natur! Dabei sind wir ja schon so bescheiden. Hier ein Bäumchen, da ein Strauch, und die hässlichsten Architektur-Nekropolen werden erträglich. Danke für den poetischen Ausflug! Eine Frage noch: bin ich der Einzige, der sich ärgert, dass die Fahrbahnteiler in der Plüddemanngasse manchmal rechts von der Fahrtrichtung angelegt wurden? Besonders bei Regen, wenn man die weißen Streifen schlecht sieht, eine schlechte Idee.

Di. 03/05/2022 18:38 Permalink
Tschavgova

Antwort auf von Armin Haghirian

Als passionierte Zugbenützerin und Klimaticketbesitzerin weiß ich das, lieber Armin Haghirian. In Summe sind Fahrt hin und zurück dennoch 7 Stunden + Fahrt bis zur Haustüre mit Öffis mindestens 8 Stunden für eine Strecke von 200 km - im Vergleich zum PKW-Fahrt mit 2 x 2 Stunden, also halb so lang für 1 Besprechung. Ich versuche diese Verbindungen aus der Sicht von Geschäftsleuten zu sehen und da schneidet der Bummelzug durch Tunnel und die Berge halt ziemlich schlecht ab im Vergleich zum Auto, leider. Und: noch! vielleicht erleben wir noch, dass die Strecke ausgebaut wird und dann auch eine gute Alternative ist nach Triest oder Grado oder an die Küste oder auf die Insel Cres ...... Europäische Zukunftsmusik!

Mo. 23/05/2022 12:42 Permalink
Armin Haghirian

Antwort auf von Tschavgova

Liebe Karin Tschavgova !
Entschuldige bitte, du hast völlig Recht ! Aus Sicht von uns Geschäftsleuten ist das natürlich viel, viel sinnvoller! Privat kann ja man eh auf Klimaticketbesitzer machen.
Und wenn eines Tages die Strecke gut genug für uns ausgebaut ist, wer weiß?

Di. 24/05/2022 12:13 Permalink
Karin Tschavgova-Wondra

Antwort auf von Armin Haghirian

Ich weiß nicht, was die Ironie dabei soll. Warum? Eine Analyse sollte immer mehrere Aspekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, oder nicht?

Di. 24/05/2022 23:04 Permalink
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