_Rubrik:
Die fetten Jahre scheinen vorbei, zumindest was die Bevölkerungsentwicklung in Graz betrifft. Gab es von 2015 auf 2016 noch einen Zuwachs von mehr als 6000 Personen (6.141), so sank die zuwandernde Bevölkerung mit Stichtag 1. Jänner 2021 auf ein mageres Plus von 203 Personen. Heuer verzeichnen die Statistiken der Landeshauptstadt ein Plus von etwas weniger als 1.500 Neu-Grazer*innen. 2022 zählt Graz 333.049 Bewohner*innen, 37.345 von ihnen haben hier, sicher aus unterschiedlichen Gründen, nur ihren Nebenwohnsitz.
Auf die Bautätigkeit von neuem Wohnraum wirkt sich das noch gar nicht aus. Wie auch, geht es doch – offen beworben – gar nicht mehr um die Erfüllung von Wohnbedarf, sondern fast ausschließlich um das Anlageobjekt Wohnung.
Die Initiative „Unverwechselbares Graz“, eine Gruppe von Aktivbürgern ohne parteipolitische Agenda, macht sich seit Jahren für den Erhalt von landschaftlichen und baulichen Besonderheiten und Quartiers-Charakteristika stark, die Graz (auch) ausmachen. Sie geißelt die ungezügelte Bebauung oder besser: die Verbauung letzter Grün- und Freiflächen, Villengärten und handtuchgroßer Grundstücke der Vorstadt, wo Einfamilienhäuser standen, die jetzt Wohnanlagen mit mehr als zehn Wohnungen Platz machen müssen. Von den von der Initiative penibel aufgezeichneten, derzeit „in der Pipeline“ befindlichen 260 Wohnprojekten sind laut Eigenaussage „gut 190 Projekte mit 4.600 Wohnungen“ solche, wo großflächig versiegelt wird, was bis vor kurzem noch Grün- und Freifläche war.
Nach ihren Recherchen befinden sich in Summe mehr als 16.000 Wohnungen im Stadium der Planung, Baueinreichung oder in Bau, die in den nächsten 2 - 3 Jahren auf den Markt kommen werden. Nicht zu fassen! „Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2 Personen (laut Statistik Steiermark) sind das dann mindestens 225.000 Wohnungen für etwa 170.000 Haushalte.“
Wer glaubt, dass der riesige Leerstand, der vorauszusehen ist, nur jenen schadet, die ihn als Risiko der Kapitalanlage in Kauf nehmen, irrt. Wir alle zahlen die Aufschließungs- und Infrastrukturkosten mit, wir alle müssen mit diesen Wohnanlagen leben, die Grund und Boden munter weiter versiegeln, für die alter Baumbestand vernichtet wird und die zu sozialen Brennpunkten werden können, wenn Leerstand und häufiger Mieterwechsel überhandnehmen.
„Im Zuge der Revision der Grazer Raumordnung muss es zu einem Paradigmenwechsel in der Stadtplanung kommen“ fordert die Initiative daher zu Recht. Klimaanpassung (der Planung), Klimaschutz und ein Stopp der Bodenversiegelung zum alleinigen Zweck der Kapitalanlage, die Überarbeitung von Standards und Minimalgrößen für Freiräume und Grünflächen (auf jedem Baugrund) sind zentrale Forderungen der Zeit. Die Korrelation von Baudichten zu Freiflächen wäre ein weiteres Muss, eine saftige Leerstandabgabe von Vorteil.
Jetzt müsste rasch gehandelt werden, um weiteren Schaden für Graz und Grazer*innen abzuwenden. Deswegen: Her mit einer neuen „Planwirtschaft“ für Graz, die sich an den Bedürfnissen und an hoher Lebensqualität (für die Graz einst berühmt war) für eine Mehrheit von Bürgern und Bürgerinnen orientiert. „Städtische“ Lenkung ist gefragt, die Beteiligung von externen Experten, von Aktivgruppen wie „Unverwechselbares Graz“ wäre zeitgemäß (anders als in der historischen Planwirtschaft). Klar, jeder Bauträger hofft, noch am Kuchen mitnaschen und fett werden zu können. Dabei wird geflunkert, was das Zeug hält. Graz wird immer noch als die österreichische Stadt mit dem stärksten Wachstum präsentiert, selbst wenn die Zahlen das schon längst nicht mehr bestätigen. Und bis Anleger realisieren, dass in Graz das Geschäftsmodell „Anlageobjekt Wohnung“ nicht mehr Gewinn bringend ist, weil die Wachstumskurve der Bevölkerung seit 2017 kontinuierlich nach unten geht, weil das immense Wohnungsangebot nicht mehr mit der Anzahl der Haushalte korreliert, könnte die Stadt, die so viel Eigenlob aufbringt für ihre Schönheit und Lebensqualität, bald nur mehr unverwechselbar sein in ihrer zügellosen und mediokren Bautätigkeit.
Datum:
Artikelempfehlungen der Redaktion
- _Redaktion GAT,Bericht
- _Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich,Dossier
Infobox
Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.