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Kolumne
Aber Hallo! 81

Hallo Herr Gurt!

Sie warten seit Jahren unser altes Auto und reparieren es fallweise so, dass wir uns freuen, Sie „unseren Mechaniker“ nennen zu dürfen. Nun haben Sie über unseren gemeinsamen Freund ausrichten lassen, dass es Sie interessieren würde, wie ich – als Architektin und Fachjournalistin fürs Bauen – die Verbauung von Acker- und Wiesenflächen mit Photovoltaikanlagen in ihrem Wohnort im Südweststeirischen sehe. Ihr Lebensmittelpunkt ist der sogenannte ländliche Raum, Ihr Haus ist Teil einer kleinen Ansiedlung, umgeben von Feldern und Wiesen in einer weiten Ebene abseits des Ortszentrums.

Ich kann Ihren Ärger verstehen, wenn Sie diese schwarzen Zeilen täglich vor Augen haben werden – dort, wo bis jetzt noch üppiges Grün sie im Jahres-wechsel begleitet. Aber – und jetzt kommt die Komplexität des Themas ins Spiel – aus der Sicht des Unternehmers ist auch zu verstehen, dass diese idealen Verhältnisse dazu anregen, mit den Besitzern dieser landwirtschaft-lichen Flächen um eine Pacht zu verhandeln.

In einem komplexen System gibt es, je nach Betrachtungsstandpunkt und Sichtweise, mehrere Wahrheiten und es ist nicht einfach, ja, oft schier unmöglich, diese argumentativ zu widerlegen. Wer will es einem findigen Geschäftsmann verübeln, dass er auf einen Trend setzt, auf einen Zug der Zeit aufspringt, der noch dazu gerade massiv staatlich gefördert wird? Täglich hören wir, dass wir mehr Strom brauchen und produzieren müssen, wenn wir unsere PKW-Flotten umrüsten, um dazu beizutragen, den Co2-Ausstoß zu reduzieren, um die Pariser Klimaziele vielleicht doch noch erreichen zu können und den ‚Point of no Return‘ noch abzuwenden. Dazu kommt, dass sich gegen die totale Verbauung unserer Flüsse Widerstand regt und auch Windkraft immer öfter auf Widerstand (Gegenwind) durch Anrainer trifft.

Sie sehen allein an diesem Absatz, an dieser Kette von Kausalzusammen-hängen, wie komplex und kompliziert sich meine Antwort auf Ihre Frage darstellt. Beim Verständnis für die Absichten des Investors endet es noch nicht. Wer will dem Bauern verübeln, dass er Pachterträge, die ihm ohne Arbeit zufallen, abwägt gegenüber mühseliger Arbeit in der Landwirtschaft, die nicht mehr die Erträge bringt, die notwendig wären, um wirtschaftlich gut zu überleben? Wer dem Bürger, der Bürgerin verübeln, ihr mit fossilem Brennstoff betriebenes Auto gegen ein E-Auto auszutauschen? Und was geben Sie ihrem Nachbarn zur Antwort, wenn er Ihnen sagt, dass er sich keinesfalls einschrän-ken lässt in seiner persönlichen Lebensführung mit Vollautomatisierung, Festbeleuchtung und hohem Stromverbrauch, weil er sich sein Geld hart verdient?

Im dieswöchigen Leitartikel des Feuilletons der Tageszeitung, in dem ich seit mehr als 20 Jahren schreibe, lese ich, dass es Weltsicht oder besser: Weltsichten dafür gibt, um uns ein vorläufiges Bild zu machen, das Orientierung bietet – ein Welt-Bild. Um sich, wie es dort steht, auf Basis von Paradigmen oder Prämissen „einen Reim zu machen“, also über Festlegungen, die innerhalb einer Gruppe nicht mehr diskutiert und verhandelt werden müssen. Wer es als grundlegend empfindet, über komplexe Zusammenhänge selbst nach-zu-denken, der weiß, wie schwierig es ist, zu einer eigenen Einschätzung zu kommen.

Hilfreich kann eine Abwägung von Schaden und Nutzen sein. Doch Achtung! Ist auch kompliziert, denn es fragt sich: Schaden für wen, Nutzen für wen? Hilfreich ist immer, sich zu informieren - möglichst umfassend aus mehreren Quellen. Faktencheck! Noch nie war es so bequem möglich, Hintergründe und Zusammenhänge zu erfahren, einen Überblick zu erhalten. Wie sonst könnte man erfahren, dass aus Sonnenländern importiertes Gemüse meist trotz langer Transportwege eine bessere co2-Bilanz aufweist als heimisches Gemüse aus beheizten Glashäusern.

Wenn man das (oder allgemein: viel) weiß, öffnet sich der eigene Handlungsspielraum. Ich kann aktiv agieren und re-agieren. Die Verhältnisse im Großen können wir, Sie und ich, kaum oder zumindest kurzfristig nicht ändern. Sie werden mit den Anlagen für Photovoltaik leben müssen, solange die Regierenden nicht beschließen, fruchtbarem Ackerboden und Streuobstwiesen Vorrang zu geben gegenüber einer Verbauung der Landschaft mit Solar-anlagen. Solange wir nicht selbst, jeder für sich, Strom und, generell, Energie sparen und uns im Konsum beschränken. Das bedeutet, selbst Verantwortung zu übernehmen für sich und die Umwelt. Verzicht ist ein Zauberwort, das bis heute negativ konnotiert ist, was vielleicht aus der jahrhundertelang die Lebenslust verneinenden katholischen Glaubenslehre kommt.

Doch Achtung! Verzicht aus Vernunft oder weitsichtiger Lebensbejahung/-lust ändert noch nicht Strukturen und Gesetze. Substanzielle Änderungen werden notwendig sein, um unseren Kindern und Enkeln Lebensqualität und Lebensfreude zu erhalten. Dafür müssten wir uns aktiv einbringen, in Vereinen, Organisationen tätig werden, lauthals protestieren gegen Maßnahmen, die unseren Lebensraum zerstören. An der Wahlurne jene wählen, die diesen Strukturwandel fordern und mit unseren Stimmen umsetzen wollen. Die luzide nachvollziehbare Konzepte dafür vorlegen, wie das gelingen könnte.

Um nicht zu allgemein zu werden und Sie mit Theorien, mit Paradigmenwechsel und mit der Komplexität notwendiger Veränderungen zu langweilen, zum Schluss noch ein paar konkrete Anregungen, wie man den Flächenfraß durch Anlagen für Photovoltaik auf fruchtbarem Ackerboden stoppen könnte (vielleicht, ich bin ja keine Expertin für das Thema).
1. Förderung, besser: Entlohnung der klimafreundlichen Erhaltung von Landschaft und Landwirtschaft durch die Landwirte.
2. Geringerer Stromverbrauch müsste belohnt werden durch niedrigere Preise. Preisstaffelung. Derzeit ist es noch umgekehrt.
3. Photovoltaik Anlagen (nur) auf großen Flachdächern, die derzeit brachliegen, besonders fördern und es einfach machen, Pachtverträge für Dächer zu gestalten.
4. Ein landesweites Konzept für „bodenverträgliche“ Solaranlagen erstellen mit einer Kartierung, die wertvollen Ackerboden ausschließt und dafür geeignete Flächen ausweist, etwa an den Randstreifen vielbefahrener Straßen und Autobahnen.

Wie gesagt, Herr Gurt, ich bin keine Expertin für dieses Thema. Ich habe nur darüber nachgedacht. Sie und Ihr Bedürfnis, meine Meinung dazu zu hören, haben mich dazu angeregt. Ich danke Ihnen dafür!

Verfasser / in:

Karin Tschavgova

Datum:

Tue 01/06/2021

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Kommentare

Erneuerbare Energie

Liebe Karin,
das ist wirklich ein wichtiges Thema das unsere Landschaften in den kommenden Jahren und Jahrzehnten prägen wird. Das "Sachprogramm erneuerbare Energie" ist gerade in Arbeit und sollte diesbezüglich einige Dinge klären:
https://www.kommunikation.steiermark.at/cms/beitrag/12790920/29767960/

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