01/09/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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01/09/2020
©: Karin Tschavgova

Traforare li e là! Im Ernst?

Ende August 2020 wurde bekannt, dass in der Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz: UVP, bei der Errichtung eines Autotunnels von der Josef-Huber-Gasse zur Alten Poststraße ins neue Quartier Reininghaus weder Nachteile („knapp“ heißt es in der UVP) noch negative Auswirkungen auf die Anrainer gesehen werden. Zwar wird mehrmals festgehalten, dass Lärmmessungen schon jetzt Tag und Nacht eine permanente Überschreitung der Lärmgrenzen ergeben, aber die Zunahme des Verkehrs und des Lärms soll durch den berühmten Flüsterasphalt „aufgefangen“ werden. Generell scheint bei den Verfassern die Ansicht vorzuherrschen, dass die Verkehrssituation in der engen Straßenschlucht für die Bewohner schon jetzt so unerträglich ist, dass die zusätzlichen Lärm- und Schadstoff-Emmissionen gar keine Rolle mehr spielen werden. Eh schon alles verhaut, oder?
Die Politik, blind auf dem Auge, das offen in die Zukunft schauen sollte, sieht die Unterführung offensichtlich als einzig richtige Maßnahme, um längere Wege, die sonst im motorisierten Individualverkehr zurückgelegt werden, zu vermeiden. Dass man diesen durch gezielte erschwerende Maßnahmen generell einschränken kann oder - Konjunktiv! - könnte, wissen oder glauben die Herren im Rathaus offensichtlich nicht. Sie haben weder Jane Jabobs noch Jan Gehl gelesen und wenn doch, dann halten sie diese Experten für zukunftsfitte, menschengerechte Städte für romantische, aber weltfremde Idealisten und nehmen niemanden ernst, der auf die notwendige Verkehrswende für eine lebenswertere Stadt pocht – wie die bewundernswert eloquenten Initiatoren der Grazer Initiative MoVe iT. Dass selbst naiv ist, wer glaubt, dass eine bequemere direkte Anbindung an die Innenstadt nicht das Verkehrsaufkommen erhöht und man die negativen Auswirkungen durch eine verbesserte Radanbindung kompensieren kann, sehen die auf einem Auge Blinden natürlich nicht.
Die nächsten Monate werden spannend. Sie werden zeigen, wieviel Experteneinspruch und Bürgerwille zählt in unserer Stadt.
Drei oder vier Szenarien tun sich als Möglichkeitsraum auf:
   1. Bürgerinitiative und Bürgerwille werden ernstgenommen, die Stadtpolitik verzichtet aus Einsicht auf die geplante Unterführung und lässt stattdessen schlüssige, wirklich zukunftsfitte Alternativen für den ÖV und den Radverkehr ausarbeiten, etwa durch jene Initiative von Experten in MoVe iT, die bis jetzt ehrenamtlich für eine gute Zukunft der Stadt arbeitet.
   2. Der Einspruch von Ute Pöllinger, der Umweltanwältin, die im Sommer 2020 zu ihrer 4. Funktionsperiode angelobt wurde, gegen die vorliegende UVP, wird ernstgenommen und aufgrund ihrer Begründung zur Gesundheitsgefährdung nicht weiter festgehalten an den Plänen.
   3. Der Einspruch von Ute Pöllinger wird, wie vieles dieser klugen Expertin in der Vergangenheit, mit fadenscheinigen Argumenten wie: der Tunnel verschlechtert eh nicht noch mehr die Lage der Anrainer, wenn man „Flüsterasphalt“ aufbringt und Lärmschutzfenster einbaut, abgetan und abgeschmettert.
   4. Die Stadtregierung ignoriert all das und sie setzt ihren Weg fort, bestärkt durch eine amtliche UVP, so schwammig formuliert, dass sie das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist. Man lese nach, was etwa nach dem Thema „Verbesserung der nächtlichen Ruhe“ durch Lärmschutzfenster zum „Leben in Außenräumen“ auf Balkonen, Terrassen und in Höfen geschrieben wird. Motto: Huch, das gibt es ja auch noch alles! Und Gehwege?

Im Falle von Szenario 4 im Anschluss noch ein kleiner Rat: Stadtpolitiker, setzt Musik ein zur Beruhigung des Bürgerzorns wie es einst, 1880, die neapolitanische Seilbahngesellschaft machte, die die Proteste gegen die Errichtung einer Standseilbahn auf den Ätna kalmieren wollte. Damals galt das Erreichen des Vulkankraters per Seilbahn als unsportlich und unpassend für die Besichtigung der einzigartigen Naturschönheit. Ein langsameres, mühsam sich Annähern galt als richtig. Das Musikstück, das beauftragt wurde, ist als Funiculì, funiculà zum berühmten Canzone Populare geworden. Wie wär’s mit „Trafore li, trafore là“ übersetzt als „Durchstechen dort und da“?

Sollte jedoch die Vernunft siegen und die Forderung nach Verkehrsberuhigung, besser: Verkehrsreduktion, in den inneren Stadtbezirken endlich ernst genommen werden und Szenario 1 Wirklichkeit werden, so empfehle ich zur einmaligen Beschallung der Stadt, alternierend zu den Sirenenhörnern an einem Samstag mittags im Monat, John Lennon’s Power to the People in der Länge von 3:15. Anschließend vielleicht himmlische Ruhe in der Josef-Huber-Gasse und anderswo, wer weiß. Wir träumen weiter.

Laukhardt

Wir haben alles versucht - vergeblich. Aber nur scheinbar! Ich, als Optimist, sehe aber einen Silberstreifen am Horizont. 2025: Die Unterführung ist gebaut, es staut sich zurück bis in die privaten Sammelgaragen in Reininghaus. Die Stadt reagiert prompt: Sperre der Strecke für den Individualverkehr, dafür fährt eine der SW-Buslinien durch den Tunnel. Nein, kein Benziner, ein E-Bus! Er hat freie Fahrt, niemand will sich mehr in einen Pkw setzen. Mehraufwand: eine Oberleitung. Dafür kann sich die Stadt die enormen, nicht finanzierbaren Kosten des Straßenbahnprojekts sparen. Wie ich höre, wird ja in der Holding bereits seit längerem darüber gerätselt, warum in Salzburg der O-Bus jetzt nicht nur zum Stadtrand fährt, sondern weiter zur Talstation der Untersberg-Seilbahn in Grödig und zurück. Und zwar ohne Oberleitung. Das neue Gerät kann nämlich locker diese 10 km mit dem während der Fahrt aus der Oberleitung gespeisten Akku weiterfahren. Fake news sagt die Holding? Fährt doch einmal nach Salzburg, aber bitte mit dem Zug, nicht mit dem Flieger.

Mi. 02/09/2020 5:37 Permalink
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