04/04/2017

Graz wird ab April 2017 Schwarz-Blau regiert.
Was wird sich ändern für die Stadt, das Bauen und Wohnen?

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

04/04/2017
©: Karin Tschavgova

Graz hat eine neue Stadtregierung: Schwarz und Blau teilen die Macht unter sich auf. Ist das ein Aber Hallo wert? Nicht wirklich. Bemerkenswert ist nur, wie offen und unverblümt dabei Machtansprüche gestellt und Macht verteilt wurde. Dass es dabei nie und nimmer um Sachkenntnis geht, die man sich in einem Fachbereich erworben hat, müsste der letzte Naivling spätestens jetzt erkannt haben. Im Gegenteil, flugs muss man der Personifizierung von Anerkennung und Erfolg, in diesem Fall der Stadträtin Elke Kahr, das Wohnungsressort wieder entziehen. Zugleich gibt man indirekt, aber natürlich nicht ausgesprochen, zu, dass einem die Verkehrspolitik am A…. vorbeigeht, dass es weder ein echtes Anliegen noch Kontinuität wert war. Der FPÖ-Mandatar lässt das Verkehrsressort ohne Bedauern wieder fallen. Nein, um Fachkenntnis und Engagement für eine Sache geht es den Herren nicht, was zählt – das machen sie mit ihren jüngsten Ränkespielen um Ressorts transparent –  ist Macht, ist ein Alleinvertretungsanspruch als Volksvertreter.
Wir, alle über die Maßen eingespannt in unseren Alltag und unsere privaten Herausforderungen, zucken nur müde die Schultern. Was soll sich für uns schon groß ändern? Eine Gemeindewohnung brauchen wir nicht, auf Sozialleistungen sind wir Gott sei dank nicht angewiesen und dass ein Bekenntnis zum „Aufsteirern“ dezidiert auf der Agenda der Stadtväter steht, sehen wir nur als weiteren Beweis für die Provinzialisierung einer Stadt, in der die Trachtengeschäfte neuerdings wie Schwammerl aus dem Boden schießen und man stramme Wadln supergeil findet.
Was wird sich ändern durch Schwarz-Blau für die Stadt, was für die Architektur? Die Weichen für die Stadtentwicklung wurden längst gestellt. Man überlässt sie denen, die investieren. Ob an einer Straße mit einer Belastung von 27.000 Fahrzeugen in 24 Stunden Kleinstwohnungen gebaut werden, die einseitig nur zu dieser hin orientiert sind, bestimmt längst der Investor. Alles, was die Stadtplanung dazu beiträgt, ist, dies mit dem Mäntelchen des Grazer Modell zu versehen. Grundsätzliche Standards scheinen ebenso verpönt wie Restriktionen, zeigt das Bauen an allen Ecken doch anschaulich, wie prosperierend diese Stadt ist. Dass solche Ecken wie die Kreuzung Plüddemanngasse/Waltendorfer Hauptstraße weder wohn- noch sozialverträglich sind – wen schert das schon? Wir bauen für die Anleger, und die müssen ja weder dort noch in der vorgenannten Triesterstraße wohnen. Der Gehsteig für das erste Haus bergwärts hinter der Kreuzung wird schon noch kommen, selber schuld die Leute, wenn sie dort einziehen, solang ihre Kinder die Straße sicher weder entlang gehen noch überqueren können. Und das Betreute Wohnen, das jetzt dort direkt an der Kreuzung in eine schäbige, kleine Vorstadtvilla hinein-optimiert werden wird? Das nennt man punktgenaue Landung, die Alten sind eh schwerhörig. Und daneben, im neuesten der Superblöcke (mit Supernamen) der Superimmobilienentwickler, da bauen wir eine Glaswand als Schallschutz zur Straße hin. Vom Balkon aus schaut der Mieter dann noch immer und ganz nahe nur in die Laubengangerschließung vom Vorderhaus, aber was wollen Sie denn, alles kann man nun wirklich nicht haben, in DER Lage.
Stadtentwicklung passiert hier anlassbezogen, ob mit Schwarz-Blau oder andersfärbig. Behaupte einer, dass das nicht stimmt! Ja schon, aber: Damit sie mehr als passiert – an allen Ecken und Enden, nicht nur in den zwei smarten Vorzeigequartieren – bräuchte es einmal ein Grundsatzbekenntnis, WIE und wie sozialverträglich man die Stadt entwickelt haben will. Oder nennen wir es eine Haltung, die den Weg und die Ziele zu einer Qualität des Wohnens klar definiert. Es bräuchte ein Bekenntnis aller Kräfte zu einem für alle lebenswerten Graz. Und strengere Bauregeln, die Grundsätze guten Wohnens wie ausreichend Licht, Sonne, Lärmschutz und einen lebenswerten Umraum einfordern, für jedes Wohnhaus, jede Wohnung.
Doch ich gestehe, selbst bei einem solchen Bekenntnis wäre ich skeptisch gegenüber der lauteren Absicht. Wie soll man den Worten jener Glauben schenken können, die die „vorübergehende Fällung von 839 Bäumen“ propagieren. Die Sprache ist ein Hund, stellt sie doch oft mehr bloß, als den Herren lieb sein kann. Und zeigt, welche Krümmungen, Verrenkungen und Kopf(niedrig)stände manch einer macht, um Macht zu sprechen und durchzusetzen. Mit so einer Haltung käme selbst bei der Bündelung aller politischen Kräfte nichts Gescheites raus.
Die Hoffnung bleibt, dass diese Entwicklung vorübergehend ist. Andernfalls, sagt der Altachtundsechziger an meiner Seite, bleibt noch immer die Revolte. Der Gute, denke ich, ungläubig schmunzelnd. Wer sollte sie anzetteln? Diejenigen, die auf die Miete einer miesen Anlegerwohnung angewiesen sind oder etwa wir, die wir uns gerade so schön satt gefressen haben?  

Wolfgang Timmer

die allgegenwärtige, prototypisch-einfallslose Wohnsiedlung mit ihrem Laubengang, EG-Klofensterfassade direkt neben dem Gehsteig und großzügigen Parkplätzen, die in Graz an jeder inzwischen verstopften Einfallstraße aus dem Boden sprießt. Diese Siedlungsbauten, die sich schon in den zersiedelten Grazer Umlandgemeinden nicht in die Dörfer, Äcker und Flure einfügen können - sondern oft zwischen Logistikhallen, Einfamilienhausteppiche und kreisverkehrserschlossene Fachmarktzentren zwängen - sind erst recht in einer dichteren Umgebung fehl am Platz. Städtisches Wohnen bedeutet halt auch schon auf programmatischer Ebene eine Funktionsdurchmischung, Moderation und Einbindung vieler Interessen bei Wohnungsgrößen und Verkehrsanbindung, ein Einpassen und Aufwerten des Umfelds, gestaffelte Übergänge vom privaten zum öffentlichen Außenbereich, nutzungsoffene Zonen, gemeinschaftliche Grünräume etc, alles Dinge, die sich vermeintlich nicht verwerten lassen, aber den Gesamtwert erhöhen.
Und meine Theorie is es auch net, dass es eine Gesättigtheit is, eher ein „Gefallen-Wollen“ oder Ängste, um im Durchsetzungskampf in der Masse von Planern möglichst gefällig den Geldgebern die Dienstleistungen zu geben. In der Masse von Planern, in der es zu wenig Solidarität gibt, wird die Haltung nicht überraschend schon vor der Auftragserteilung aufgegeben.

Fr. 07/04/2017 12:41 Permalink
5 nach 12

Antwort auf von Wolfgang Timmer

Sie haben mit Ihren beiden Beiträgen so recht. Statt Städteplanung gibt es Eierspeise,( alles ist überall) und eine Kanalgitterachitektur auf Stelzen. Alles hergerichtet für Immobilienentwickler, sprich Abzocker. Sollte Moritz Ritter von Franck, Joseph Wastler und Martin Ritter von Kink, die Gründerväter der Gartenstadt Graz,noch einmal durch Graz wandern können, würden sie sich mit Grauen von hier abwenden.

Di. 11/04/2017 10:07 Permalink
Wolfgang Timmer

Danke für den Artikel, für mich ein herausragender Aufruf in der guten Reihe der „Aber Hallos“.
Selbst für LiebhaberInnen von schrägen Darbietungen war die Unverfrorenheit bei der Vorstellung des Regierungsprogramms für Graz 2020 erstaunlich.
Anfangs ist das Bemühen noch groß, über den schrittweisen Verlust von kultureller „Eleganz“ hinwegzusehen, aber es fällt net leicht, des deplatzierte Verunglimpfen vorheriger Regierungspartner zu ignorieren, das wohl mehr über die Fähigkeit der Zusammenarbeit aussagt, als über die Leistung der vorherigen Partner.
Oder den Worten zu glauben, dass ein Rotationsprinzip oder „Change Management“ der Ressortumverteilung zugrunde liegt, wenn danach zB. beim Ressort der Stadtentwicklung über eine Kompetenzumschichtung offensichtlich nicht nachgedacht wurde. Bei den Grazer Wachstumsraten und der Attraktivität des Ressorts spart man sich einfach eine Evaluierung über die Performance des Ressorts.
Vielleicht hat der Bürgermeister aber den Widerspruch selbst gespürt, als er im darauf folgenden Satz die unter seiner Ägide gebaute Vielzahl von Wohnungen lobt. Nur bedeutet die Menge leider nicht, dass eine Qualität vorhanden wäre und die Misere eines Großteils der in Graz tatsächlich gebauten Wohnungsbauten bestreitet ja hoffentlich niemand. Die Chance aus dem Wachstum einer Stadt mit großem architektonischem Erbe, behutsam eine zeitgemäße, nachhaltige städtebauliche Entwicklung und Qualität auszubilden, scheint in Graz seit den letzten zwei Jahrzehnten längerfristig vertan. Masse ist hier nicht Qualität, halt nur Geschäft. Dann verwunderts net, dass Graz zwar die Stadt mit der höchsten Architektendichte Europas ist, aber sogar diese Zahl von der Anzahl der Bauträgern übertroffen wird.
Neben der politischen Kultur, hat auch die Planungskultur momentan keinen guten Stand. Und die schwierigste Disziplin, das Städtebauhandwerk - welches gemeinschaftliche Interessen vertritt, die eben über die Belange des Einzelnen in unserer so individualisierten Gesellschaft hinausgehen – ist bei den meisten Projekten nicht erkennbar.

Fr. 07/04/2017 12:38 Permalink
Laukhardt

In einem Gespräch mit einem kompetenten Beobachter des Grazer Baugeschehens mussten wir feststellen, dass derzeit so gut wie alles schief läuft. Es beginnt bei untauglichen Gesetzen wie der Stmk. Bauordnung, die als einzige in Österreich Laubengänge und offene Parkplätze nicht in die Baudichte rechnet. Und in der der §§ 43 (Bedeutung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbilds) zu "totem Recht" geworden ist. Dann folgen: fehlendes oder mangels Verordnungscharakter wirkungsloses Räumliches Leitbild, investorenorientierte Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne. Fehlende Vorschriften zur Einschränkung der Bodenversiegelung führen regelmäßig zu großflächiger Grünraum-Vernichtung, der die Stadt nur Alibi-Handlungen (Vorbehaltsflächen) entgegenstellt. Nicht zu vergessen: fehlende Evaluierung der Altstadt-Schutzzonen, Schwächung des Denkmalschutzes, keine Beachtung der Welterbe-Bestimmungen (ein Beispiel: Girardihaus). Bei den Bauverfahren selbst werden städtebauliche Gutachten der Stadtplanung vorgelegt, bei denen einem die Haare zu Berge stehen. Sogar besondere Schutzpläne für Villenviertel (Schubertstraße) finden keine Beachtung. Schließlich ist die Baubehörde nicht in der Lage - oder nicht willens, ihrer Verpflichtung zur Beurteilung der Sachlage nachzukommen; wie auch, wenn hier in erster Linie juristisch gewertet wird? Wenn dann Nachbarn mit Einwendungen kommen, wird das in der Regel als nicht zulässig zurückgewiesen. Berufungen gehen letztlich überwiegend auch ins Leere. All das zeichnet nicht das Bild einer demokratischen Baugesinnung!

Mi. 05/04/2017 10:50 Permalink
Gertraud Prügger

Mir haben Sie aus der Seele gesprochen, liebe Frau DI Tschavgova. Es gibt nichts mehr zu ergänzen. Ich hoffe nur, dass die vernünftigen Grazer nicht den Mut verlieren und selbst kreativ bleiben.
Alles Gute wünscht Gertraud Prügger

Di. 04/04/2017 8:14 Permalink
5 nach 12

Ihr Artikel, Frau Tschavgova, trifft den Nagel auf den Kopf. Man hätte das nicht besser formulieren können, scharfsinnig und 100ig zutreffend. Ich kann Ihnen gratulieren. Den Verantwortlichen für das Grazer Desaster gehört die rote Karte, denn es ist untragbar, dass man in einem Teil von Österreich, derartige Baugesetze hat und dass man sich über RLB , 4.0 STEK etc hinwegsetzt. Ein einmaliger Vorgang, der seitens der Volksanwaltschaft einmal geprüft gehört. Wo sind wir gelandet im alten Rumänien oder der UdSSR? Nachbarrechte, Demokratie, Einhaltung der Gesetze und Verordnungen, alles willkürlich. Nein Danke zu diesen Zuständen. Der Tag wird kommen, wo man den gierigen Leuten sagen wird können, "Reich ist nicht der, der viel hat, sonder wenig braucht -ich ergänze noch - und verbraucht", frei nach Peter Rosegger. Mit lieben Grüssen "5 nach 12"

Mi. 05/04/2017 6:42 Permalink
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