06/10/2015

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

06/10/2015
©: Karin Tschavgova

Mäkelpriorität für ein absolutes „No-go“.

Was gäbe es nicht alles ernsthaft zu thematisieren und zu kritisieren an der gegenwärtigen Lage der Nation – so viel, dass man fast die Lust am Bemäkeln verlieren könnte. Was, Sie kennen den Ausdruck mäkeln nicht? Na dann, man ersetze ihn durch nörgeln, einen ähnlich schönen Begriff mit lautmalerischem Ursprung. „Pardon“, sagt der nie zu sehende Auf-die-Schulter-Tipper „um das Schöne geht’s in deiner Oktoberglosse doch mitnichten. Bleib beim Thema, Honey, hier ist kein Platz für Abschweifungen.“ (richtig gelesen, nicht Ausschweifungen)

Also gut, werden wir ernst, wie es die folgende Begebenheit nahelegt: An einem Spätsommertag am Torposten zur Einfahrt in das Gelände des Landeskrankenhauses, das neuerdings ein Universitätsklinikum ist. Ich, wartend, dass der Portier sein Fenster aufmacht und ich ihn um eine kurze Einfahrgenehmigung fragen kann, um einen älteren Angehörigen mit Bandscheibenvorfall vom Klinikaufenthalt abzuholen. Keine Reaktion. Ich warte, hinter mir stauen PKW in Sekundenschnelle bis zur Hilmteichstraße. Ich rufe. Mein Gegenüber reagiert mit einer schroffen Handbewegung, soll heißen: Fahrn’s weiter. Ich mit gerunzelter Stirn: „Kein Einfahrtsschein notwendig?“ Der Herr Portier, sichtlich übelgelaunt über seine Degradierung, klärt mich auf. Ab sofort darf jeder und jede, egal ob Patient oder Besucher, in das Krankenhausareal einfahren, holt sich ein Ticket am Schranken und bezahlt, sollte er sich länger als 30 Minuten im Gelände aufhalten, bei der Ausfahrt. Motorisierte Kurzbesuche sind frei. Ich schlucke und fahre los (nach vor, zurück geht gar nicht) zumal die Blechlawine hinter mir durch Hochdrehen des Motors im Stand ihren Unmut über die Verzögerung kundtut.

Auf dem Areal der 1914 als Gesundheitseinrichtung mit Modellcharakter gebauten Krankenanstalt das übliche geschäftige Treiben. Im Hin und Her zwischen den Pavillons weiße Kittel, Fußgänger, Rettungsautos, Zulieferer, Baufahrzeuge und Bauarbeiter (vom „Torbau der Chirurgie", die derzeit mindestens aufs Doppelte erweitert wird). Ein Shared Space, der schon lange, bevor das Areal im Sommer 2015 für das p.t. Publikum geöffnet wurde, an seine Grenzen der Aufnahmefähigkeit gekommen war. Und jetzt das.
Als regelmäßig gruppiertes Pavillonsystem zwischen großzügigen begrünten Höfen und einer 25 Meter breiten, beidseitig mit Ahornbäumen bepflanzten Hauptstraße wurde das Grazer Landeskrankenhaus am Anfang des 20. Jahrhunderts in erster Linie aus hygienischen und medizinischen Gründen errichtet. Und doch wusste man sicher schon damals um den beinahe heilklimatischen Charakter des Geländes in sonnenbestrahlter und windgeschützter Lage, acht bis zehn Meter über dem Straßenniveau. Und das städtebauliche Konzept erwies sich als so robust und veränderbar, dass es Jahrzehnte lang die schrittweise Erweiterung der einzelnen Abteilungen verkraftete, ohne seine architektonische Geschlossenheit einzubüßen.

Dicht, dichter, am dichtesten – was mit den letzten Ausbauschritten passierte und gerade noch weiter passiert, bringt das Fass zum Überlaufen. Eine sich auf dem bewaldeten Hang breitmachende Blutbank, die sich aufdringlich in Szene setzt, der neue Riesenblock der Chirurgie – eine Faust aufs Auge derjenigen, die vom Schloßberg gegen Osten schauen – und zu(schlechter)letzt die Einladung zu ungezügelter Durchfahrt und Parkmöglichkeit in neuen Blauen Zonen! entlang des Straßennetzes……
Während in historischen Innenstädten immer noch Fußgängerzonen ausgeweitet werden, um Lebensqualität zu schaffen, werden in einer Heilstätte die Tore für den privaten Verkehr geöffnet. Was, fragt man sich, haben sich die dabei gedacht, die dafür sorgen sollen, dass Menschen gesunden. Leiden jene, die diese Fehlentscheidung zu verantworten haben, an kollektiver Hirnerweichung? Oder ist schon alles wurscht? Gilt vielleicht das Motto: nur die Harten kommen durch?

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