02/09/2014

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne "Aber Hallo!" Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

02/09/2014
©: Karin Tschavgova

Gebt mir Sichtschutz!

Gar viel ist derzeit die Rede vom öffentlichen Raum – allerortens werden Einschränkungen in der freien Nutzung öffentlichen Raums konstatiert und hinterfragt (die freie, uneingeschränkte Nutzung öffentlicher Räume für alle Gruppen der Gesellschaft ist – historisch betrachtet – eine relativ junge, fragile Errungenschaft). Fachleute machen die Thematik zu ihrem Thema und aus den Medien schallt es mir schon morgens entgegen: Um den Erhalt von öffentlichem Raum wird gekämpft, unterschiedliche Sichtweisen auf die Stadt und den öffentlichen Raum werden behandelt und sogar verhandelt.
Wenn der öffentliche Raum schon mit Kunst im öffentlichen Raum verhandelt wird – in der doch ziemlich harmlosen Installation von Resanita im Forum Stadtpark in Graz Ende Juni 2014 (zitiert aus der Ankündigung der anlässlich der Eröffnung angesetzten Diskussionsrunde) – so gerät mir der Terminus zur unangebrachten Phrase Theorie produzierender Köpfe, die ich schon nicht mehr hören kann. Verhandelt werden muss der öffentliche Raum in Istanbuls Gezi-Park oder in Frankreich, wenn Roma-Lager brutal geräumt werden.
Hierorts ist zu hoffen, dass der Diskurs um den öffentlichen Raum am Köcheln bleibt und differenziert, aber laut geführt wird. Behandeln unterschiedlicher Sichtweisen auf den kollektiven Raum (der Ausdruck hat mehr Sympathiewert, finden Sie nicht?) und die oft nicht kompatiblen Interessen an ihm – ja, aber bitte nicht verhandeln.
   
Nun aber konkreter: Für mich zählen auch Sichtachsen zum öffentlichen kollektiven Raum der Stadt. Ich nehme mir das Recht auf Lufthoheit heraus, ja, ich schließe meine visuelle Benützung des Luftraums in den Diskurs um den Erhalt des öffentlichen Raums mit ein. Wie oft habe ich mich schon geärgert über die massive Verbauung eines Restgrundstücks am südlichen Ende der Schumanngasse im Grazer Bezirk St.Leonhard. Was dort unter brutal Gewinn maximierender Ausnutzung an das Randgebäude eines Wohnblocks gebaut wurde, nimmt mir nun, wenn ich die Gasse entlang radle, den Ausblick auf den Mattheypark. Keine Baumriesen mehr, eingerahmt von zwei Gründerzeitbauten, nur eine Breitseite des Zubaus, der noch dazu respektlos am Altbau klebt.

Letztens, im Stadtpark, der nächste Schock: Die Aussicht auf den Schloßberg mit Uhrturm ist weg! Dort, wo im Maßnahmenkatalog des Parkpflegewerks 2012 (einem Handbuch der Pflege des Stadtparks für die nächsten 15 bis 20 Jahre) noch von zu erhaltenden oder freizustellenden Sichtachsen die Rede ist, verstellt die von unten noch mächtiger wirkende Kubatur des ersten Gebäudes am Pfauengartenareal jetzt die Sicht. Dieses steht dummerweise noch auf einem neuen Garagensockel über der vorhandenen Garage. Perdu die vormals freie Sicht auf die Ostflanke des Schloßbergs - nicht nur für mich, sondern auch für Tausende von Stadtbewohnern, die bei Schönwetter den Stadtpark als ihren erweiterten Wohn- und Lebensraum benützen. Jetzt ohne Schloßbergausblick. Zu verhandeln sind die hier über öffentlichem Interesse stehenden Partikularinteressen nicht mehr – sie sind in Beton gegossen. Aber sich ärgern und darüber diskutieren soll, ja muss man, damit solche Bebauungsanträge künftig differenzierter betrachtet und abgewogen werden, bevor man sie genehmigt. Auf die Erhaltung von Sichtachsen!

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