26/06/2019

40 Jahre P.K.W. Raaba

Ein Wohnexperiment wird im Frühherbst 2019 40 Jahre alt.

Eine Utopie, die nicht zu utopisch war (Zitat Bewohner)

P.K.W. – Projekt kooperatives Wohnen
Am Silberberg 1-24
8042 Graz-Raaba

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P.K.W. Raaba ist eines der sechs Wohnprojekte im Film Der Stoff, aus dem Träume sind von Lotte Schreiber und Michael Rieper, 2019 – siehe Artikelempfehlung.

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26/06/2019

P.K.W. Raaba. Filmstill aus: 'Der Stoff, aus dem Träume sind', ein Film von Lotte Schreiber und Michael Rieper. Betonmodule. Archivbild aus der Bauzeit, 1978 - 1979.

Architektur: Architekt Fritz Matzinger©: Lotte Schreiber

P.K.W. Raaba. Filmstill aus: 'Der Stoff, aus dem Träume sind', ein Film von Lotte Schreiber und Michael Rieper. Terrassen 2018.

©: Lotte Schreiber

P.K.W. Raaba. Filmstill aus: 'Der Stoff, aus dem Träume sind', ein Film von Lotte Schreiber und Michael Rieper. Ansicht 2018

©: Lotte Schreiber

Eine „Utopie, die nicht zu utopisch“ (1) war

P.K.W. -– Projekt kooperatives Wohnen. Ein Wohnexperiment wird im Frühherbst 2019 40 Jahre alt.

Seit vier Jahrzehnten wohnen nun die Mitglieder des Vereins P.K.W. in ihrer Utopie, die in nur vier Jahren aus den ersten versponnenen Ideen vom kooperativen, kommunikativen Wohnen Realität wurde. Wie hat sich das Ideal einer arbeitsteiligen Großfamilie, die Einkaufen, Kochen, Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaften und gemeinsame Freizeitgestaltung bis zum gemeinsamen Urlaub mit einander teilen wollte, entwickelt? (2) Eine Frage die wir weiterverfolgen wollen.

Die heute so idyllisch eingewachsenen drei Atriumhöfe mit ihren 24 Wohnungen waren 1979 ein gewagter Versuch, das Ideal vom kooperativen Wohnen umzusetzen, das jungen Mittelstandsfamilien, die für ihre Kinder mehr Freiheiten und für sich mehr gelebte Nachbarschaft wünschten, träumten.
Begonnen hat alles 1975 mit fünf Familien und ihren Vorstellungen vom gemeinsamen Wohnen das ein bisschen Studenten-WG und ein bisschen Kommune beinhaltete. Erweitert auf 16 Mitglieder, beschreibt die Gruppe ihre Suche als das „generelle Verlangen nach alternativen Lebensformen, den Willen nach authentischer Selbstbestimmung, den Wunsch den eigenen Lebensraum wieder überschaubar und menschengerecht zu gestalten.“ (3) Aber es fehlten geplante und gebaute Vorbilder, ein Umstand, der fast zum Scheitern des Vorhabens führte.

Die 1970er Jahre, das waren die Aufbruchsjahre nach der Studentenbewegung, sie waren geprägt von der Forderung nach demokratischeren Spielregeln und Mitsprachemöglichkeiten, vom Traum von alternativen Wohnweisen, wie studentischen Wohngemeinschaften, politischen oder künstlerischen Kommunen (4). Für den institutionellen Wohnbau forderten ArchitketInnen und BewohnerInnen mehr Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitgestaltung. Forderungen, die später in das Programm des Modell Steiermark eingingen. Ab 1968 war die Ausgangslage für selbstinitiiertes und gemeinschaftliches Wohnen günstig – die steirischen Förderbestimmungen unterstützten Interessentengemeinschaften und verdichteten Flachbau wie auch die innovativen Mitbestimmungs- und Beteiligungsprojekte von Eilfried Huth (5), dessen Wirken auch für die Gruppe von immenser Bedeutung war.

Um das ständige Umkreisen von Ideen zu beenden, brauchen Baugemeinschaften ein paar fixe Parameter, wie ein Grundstück, auf dem sich die Wünsche visualisieren lassen und eine konzeptuelle Vorlage, besser noch, ein damit erfolgreich umgesetztes Projekt. Die Mitglieder des Vereins P.K.W. fanden ihren Gebäudetypus, der die Umsetzung machbar erscheinen ließ, in Linz.

Die eben fertiggestellten zwei Atriumhöfe Les Paletuviers in Linz Leonding vom Architekten Fritz Matzinger (6) wurden in den Medien rege diskutiert. Das Zentrum jedes, aus acht Wohnungen bestehenden Hofes, war ein, dem Klima angepasster, glasgedeckter Innenhof, der gleichzeitig Eingangshalle, Spiel- und Versammlungsraum war. (7) Matzingers Konzept hatte hohe räumliche und gemeinschaftsorientierte Qualitäten und die Baukosten waren wegen der vorgefertigten Betonzellen und Kunststoffelemente überschaubar. Insgesamt versprach Matzinger ein kostengünstiges Wohnprojekt, das selbst mit den kommunikativen Gemeinschaftseinrichtungen, dem zentralen Innenhof und einem Schwimmbad, im Rahmen der förderbaren Kosten lag.

In Raaba wurde aber Matzingers Konzept nicht 1:1 umgesetzt. Die Mitglieder des Vereins setzten sich mit ihrem Projekt intensiv auseinander und passten es mit Hilfe des Freundes, Architekten und Landschaftsplaners Janos Kopandy ihren Vorstellungen an. Seine Handschrift trägt auch der gemeinsame Garten, den er nach ökologischen Kriterien zu einem Kleinkinderspielplatz, Ballspielplatz, Gemüsegarten, Sitzgruppen und Wiesen formte, in dem er nur Grundstrukturen vorgab und die „Natur einschaltete“. Er übernahm aber auch die Prozessbegleitung und eine Mittlerrolle zwischen der Gruppe und dem Architekten, ein Angebot, auf das heute kaum noch eine Baugemeinschaft verzichtet, um nicht im täglichen Klein-Klein ihr Ziel aus den Augen zu verlieren.
1979 waren endlich, mit sehr viel Eigenleistungen, die drei Atriumhöfe fertiggestellt und im Laufe der Zeit entwickelten sich auch drei unterschiedliche Hofgemeinschaften, die das Anfangskonzept der Großfamilie jeweils für sich interpretierten.

Seither sind 40 Jahre vergangen. Nicht nur die BewohnerInnen sind älter geworden, auch ihre Lebensumstände haben sich verändert. Die Kinder sind längst ausgezogen, aber ein paar sind mit der eigenen Familie wieder zurückgekommen. Trennungen, neue Partnerschaften und auch der Tod haben die Gemeinschaft gefordert. Einige Wohnungen wurden verkauft oder auch geteilt und jüngere BewohnerInnen kamen nach, eben die ganz normalen Veränderungen in einer Wohnanlage. Oder vielleicht auch nicht, das führt uns zu den eingangs gestellten Fragen zurück.
Wie hat sich das Leben im P.K.W. entwickelt, sind die Wohnweise und der Gebäudetypus resilienter als der sogenannte Standard (Idealtypus des 20. Jahrhunderts). Oder haben sich die Wohnweisen einander angenähert und sind die Unterschiede gar nicht mehr so groß?

Studierende des Masterstudiums Architektur untersuchen im Sommersemester 2019 mit ihrer Betreuerin DI Marlis Nograsek die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen im Projekt P.K.W. in Raaba und vergleichbaren Projekten. Eine Auswertung wird mit dem Soziologen Rainer Rosegger erfolgen. Vielleicht ergeben sich daraus auch Antworten auf die Frage wieso es so wenige Nachahmer gibt?

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LP5 RAABA – Projektdaten Architekt Matzinger
Am Silberberg 1-24, 8042 Graz-Raaba

Projektbeschreibung
Die Anlage besteht aus drei Wohnhöfen mit 24 Eigentumswohnungen zwischen 110-150 m2  Wohnfläche, aus gestapelten und aneinandergereihten Betonfertigzellen, mit abtrennbaren Ober-bzw. Untergeschoß, dazugehörigem Garten, Terrassen und Tiefgaragenplatz (20 Stellplätze), 9 Einzelgaragen.

Gemeinschaftsräume
Drei Atriumhöfe mit Schiebedächern und Wintergärten, Erdkeller, Waschküche, Tiefkühlraum, Schutzkeller

Daten

Bewohnerverein: P.K.W. – Projekt Kooperatives Wohnen
Bauträger: GWS
Energieplanung: Forschungsauftrag der TU Graz ARGE Sonnenenergie
Bauzeit: April 1978 - September 1979
Grundstücksgröße: 12.145 m2
ausgebaute Wohnfläche: 3.316,18 m2
Freifläche: 9.400 m2
GFZ= 0,59

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Anmerkungen
(1) Ausspruch eines Bewohners des „projekt kooperatives wohnen“
(2) Messner, Wolfgang u. Elgrid: Anders wohnen – ein Experiment oder: Von Lust und Frust, kooperativ zu leben. In: 10 Jahre PKW Raaba. Eigenverlag 1989,6f
(3) Pritz, Peter: Die Grasswurzeln kommen. In: kooperatives wohnen graz-raaba,  Verein P.K.W. Eigenverlag , 1979, 51f
(4) Anm.: Otto Mühl und Friedrichshof. https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Muehl
(5) Eilfried Huth, Mitbeteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren ab 1973. https://www.gat.st/suche?keys=Eilfried+huth
(6) Matzinger, Fritz. https://www.gat.st/suche?keys=Fritz+Matzinger
(7) Anm.: die Typologie einer hallenartigen Erschließung steht in der europäischen Architekturgeschichte für Projekte mit hohem sozialem Anspruch: z.B. 1856, Le Familistère in Guise, 1915 Amerikanerhaus in Zürich

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