Graz
©: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik - GKP

Über Galizien und das Lager Thalerhof
_ Vortrag und Lesung von Gerhard M. Dienes und Peter Uray
_ Gespräch mit Martin Pollack und Roman Dubasevych
_ Musik von Vitaliy Patsyurkovskyy, Akkordeon

Und wieder der lange Arm der Geschichte: Ukraine, das Land am Ostrand Europas, drängt nicht erst seit kurzem in unsere Aktualität. Im Ersten Weltkrieg waren Menschen aus dieser Region gewaltsam hierher verbracht worden: Als ihre Heimat nach Kriegsausbruch 1914 zum Frontgebiet geworden war, bestand die in Bedrängnis geratene k. u. k. Armeeführung auf den Massenabschub der Zivilbevölkerung aus Galizien. Nicht sie zu schützen, war das Bestreben, sondern möglichst viele Menschen der „Russophilie“ zu überführen und sie somit internieren zu können. Die meisten von ihnen kamen in das Lager Thalerhof südlich von Graz. Viele starben hier. Erst 1917 wurde das Lager mit der Begründung der Unrechtsmäßigkeit aufgelöst.
Wer waren sie, diese internierten „Ruthenen“? Von wo kamen sie?
Und was war dieses Galizien, das einen großen Teil des heutigen Südpolens sowie Gebiete in der heutigen Ukraine umfasste und 1772 dem Habsburgerreich angegliedert worden war?

Ein fernes, unbekanntes Land, von dem die meisten Menschen keine rechten Vorstellungen hatten und kaum etwas wussten. „Ist das heute anders?“, fragt sich Martin Pollack. „Sind ähnliche Verdrängungsmechanismen und Vorurteile nicht auch heute zu beobachten, wenn es etwa um unser Verhältnis zur Ukraine geht?
Ähnlich wie viele Menschen vor hundert Jahren Galizien als fern und fremd empfanden, als eine Region, mit der sie nichts verband, sehen viele im Westen in diesen Tagen die Ukraine. Ein fernes, unbekanntes Land, von dem wir nicht viel wissen und vielleicht auch nichts wissen wollen.“
Das muss und müsste nicht so sein: Literatur und Dokumentationsarchive sind schier unerschöpflich. – Dieser Abend verschafft Zugang zu neuesten und historischen Quellen sowie zu literarischen Zeugnissen.
 
Gerhard M. Dienes
Geb. 1953 in Graz. Studium der Geschichte, Historische Grundwissenschaften und Kunstgeschichte in Graz. Ab 1980 Ausstellungskurator im Stadtmuseum Graz und von 1990 bis 2004 dessen Leiter. Seit 2005 im Universalmuseum Joanneum (Auslandskulturprojekte). 1985 bis 1994 Lehrbeauftragter an der Grazer Karl-Franzens-Universität, Präsidiumsmitglied der Osterreichischen Urania fur Steiermark. Dienes lebt in Graz und hat ca. 150 Publikationen zur Stadt-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, zur Industrie- und Verkehrsgeschichte, zum Thema Vorstädte und Vororte, zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte sowie zur Geschichte Sudosteuropas und des Alpen-Adria-Raumes veröffentlicht.
 
Peter Uray
Geb. 1939 in Schärding. Ab 1953 Schauspielausbildung am Brucknerkonservatorium in Linz. Ab 1960 Nachrichtensprecher des ORF. Als Theaterschauspieler war er unter anderem in Baden, Klagenfurt, Linz, Salzburg und Graz zu sehen. 1983-2001 Theaterschauspieler am Wiener Volkstheater. Uray wirkte bei den Bregenzer Festspielen einige Male und bei Felix Dvoraks Festspielen in Berndorf und Mödling mit. Von 1980 bis 1995 Lehrauftrag an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Ständiges Mitwirken bei Hörspielen, den Wiener Festwochen, den Bregenzer Festspielen und beim Salzburger Straßentheater.
 
Martin Pollack
Geb. 1944 in Bad Hall. Studium der Slawistik und osteuropäischen Geschichte an den Universitäten Wien und Warschau. Während des Studiums bereits literarische Übersetzungen und journalistische Tätigkeiten. Zehn Jahre geschäftsführender Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Wiener Tagebuch. 1987 bis 1998 Redakteur des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL. Seit 1998 freier Autor, Publizist und literarischer Ubersetzer. Lebt in Bocksdorf im Sudburgenland und in Wien. 2011 wurde Pollack für den Roman „Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien“ (2010) mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet.
 
Roman Dubasevych
Geb. 1977 in L’viv (Ukraine). Studierte deutsche Sprache und Literatur in L’viv (Lemberg), Freiburg/Breisgau und Graz. 2000-2002 freiberufliche Tätigkeit als Dolmetscher, Übersetzer und Reiseführer in der Ukraine. 2002-2005 Masterstudium „Ost-West-Studien“ an der Universität Regensburg, mit Schwerpunkt Literaturtheorie und Politische Philosophie; 2003-2006 Mitarbeiter des Europaeums der Universität Regensburg. 2007-2013 Promotion am Graduiertenkolleg „Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe“ in Wien über den habsburgischen Mythos in der Westukraine. 2009-2012 Assistent auf dem Lehrstuhl für Ost- und Westslawische Philologie an der Universität Greifswald. Momentan als postdoc an der Universität Wien.
 
Vitaly Patsyurkovskyy
Geb. 1968 in L’viv (Lemberg). Studium: Akkordeon und Dirigieren in L’viv, 1993 Diplom. Patsyurkovskyy ist Gewinner des Internationalen Akkordeon-Wettbewerbs “Grand-Prix 2000″ in Genf. Er gibt sowohl in seiner osteuropäischen Heimat, als auch in Mittel- und Südeuropa Konzerte. Er unterrichtet an der Fachschule für Kunst und Kultur in L’viv. Patsyurkovskyys Konzertrepertoire umfasst in Bearbeitung für Akkordeon Werke von Johann Sebastian Bach, Domenico Scarlatti, Antonio Vivaldi, Wolfgang Amadeus Mozart, Fritz Kreisler, Astor Piazzolla oder Johann Strauss.

Veranstaltungsort
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+