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Graz

sharp dressed _ von ihrer Obsession angetrieben, ein besonders schönes Stück Stoff zu finden, wühlt sich die Masse gierig durch das Angebot.

©: G.R.A.M.

Ein beinahe den gesamten Raum umfassendes, überdimensionales Panoramabild einer außer Rand und Band geratenen orientalischen Marktsituation empfängt das Publikum der Kunsthalle Graz. G.R.A.M. präsentiert sich in einer aktuellen Arbeit abseits ihrer bekannten Reenactements und Paparazzi-Fotos.
Eine Befragung visueller Strukturen, Bedeutungsebenen und Medienwirklichkeiten ist aber auch diese Arbeit in einem hohen Maße. Das einfach anmutende Sujet mutiert zum monströsen Bild einer möglichen Realität. Die soziokulturelle Gegenwart in der globalisierten Lebensrealität lässt die Dinge höchst unterschiedlich erscheinen. Kulturelle „Clashes“ werden hier spürbar. Ein Stück Stoff als Anlass zur Verunsicherung. Das Kopftuch: Selbst das Gespräch darüber gerät zur „Kampfzone“.
Der Zauber des Orients mit seinen intensiven Farben, Düften und exotischen Begierden, voller Menschenverachtung, Grausamkeit und irrationalem Fanatismus. So will es das Klischee. Ein Kleidungsstück, das genau dieses Klischee transportiert, ist nicht mehr als ein buntes Stück Stoff – das Kopftuch, auch der Schleier, der Tschador, der Niqab, die Burka, etc. In der islamischen Poesie zum Bestandteil knisternder Erotik stilisiert, ist gerade dieses Kleidungsstück Ausdruck vielfältiger Ideologisierung geworden. Sogar Gesetze sollen die Verwendung dieses einfachen Stückes Stoff reglementieren.
Auch bei Bikini und Minirock wurde einst der Ruf nach dem Gesetz laut - um dem Sittenverfall Einhalt zu gebieten. Noch früher, noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass auch das Symbol des lokalen Patriotismus – der Steireranzug – an seinem Beginn als Ausdruck separatistischen Widerstands von offizieller Seite abgelehnt und am Wiener Hof verboten wurde. Kann also die Angst einer Gesellschaft soweit reichen, dass man sich vor dem äußeren Erscheinungsbild eines Menschen derart fürchtet?

Unabhängig davon, aber im Bewusstsein dessen, entwickelte G.R.A.M. für die Ausstellung Sharp Dressed ein fotografisches Panorama orientalischer Sinnlichkeit. An einem unendlich wirkenden Ladentisch in Istanbul stöbert eine unüberschaubare Menge türkischer Frauen in allen Altersstufen in den bunten Tüchern. Von ihrer Obsession angetrieben, ein besonders schönes Stück zu finden, wühlt sich die Masse gierig durch das Angebot. Man kennt das, etwa vom Schlussverkauf bei H&M.
Was wie eine gigantische visuelle Maschinerie exotischer Vitalität anmutet, die versucht, alles in sich aufzusaugen, kann auch als ideologisch höchst brisante Situation beschrieben werden. G.R.A.M. bezieht keinesfalls Stellung zur aktuellen Hysterie-Diskussion um islamische Bekleidungsvorschriften und deren Kompatibilität mit dem westlichen Abendland. Wohl aber wird in der Fotoinstallation Sharp Dressed – diesem  60 Quadratmeter großen, ob der Farbenvielfalt sehr malerischen Bild einer Istanbuler Alltagsimpression – klar, dass eine in gleichem Maße sinnliche wie klischeehafte Bildkomposition nicht von ihrem aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext zu trennen ist. Ein Stück Stoff – bunt, monochrom, schwarz oder weiß – wird zum Sinnbild einander widersprechender Inhalte.

Ausstellungseröffnung: Dienstag, 20. Juni 2017
18:30 Uhr, Eröffnung durch Mag.phil. Wenzel Mraček

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