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Graz

Jeremy Deller, Putin's Happy, 2019; Filmstill, Courtesy der Künstler

Jasmina Cibic, Jeremy Deller, Ian Hamilton Finlay

Im Rahmen des umfangreichen Projektes Grand Hotel Abyss kollaboriert der steirische herbst  2019 und das Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien anhand von drei künstlerischen Positionen, deren Arbeiten mit der Idee spielen, die Etablierung des Künstlerhauses auch mit der international ausgerichteten Kulturpolitik der in der Nachkriegszeit in der Steiermark positionierten britischen Alliierten in Zusammenhang zu sehen.

Die Videoinstallation von Jasmina Cibic ist eine allegorisch-poetische Studie politischer Schenkungen im Bereich der Architektur, wie auch das Künstlerhaus eine sein könnte. Mit seiner neuen Videoarbeit nimmt Jeremy Deller Stellung zum aktuellen politischen Chaos in Großbritannien, wo der Rechtspopulismus sich heute genauso ausbreitet wie in Österreich. Eine Auswahl von Objekten und Drucken des schottischen Künstlers und Dichters Ian Hamilton Finlay kommentiert die Militarisierung der Kunst zwischen Moderne und Klassik – und reagiert somit auch auf die konservativ-modernistische Architektur des Gebäudes.
Der Titel des steirischen herbst '19 lautet Grand Hotel Abyss (Grand Hotel Abgrund) – eine schlagende Metapher, die der Philosoph Georg Lukács prägte. Lukács beschrieb die europäische Szene der Intellektuellen und Kulturschaffenden als „ein schönes, mit allem Komfort ausgestattetes modernes Hotel am Rande des Abgrunds, des Nichts, der Sinnlosigkeit. Und der tägliche Anblick des Abgrunds, zwischen behaglich genossenen Mahlzeiten oder Kunstproduktionen, kann die Freude an diesem raffinierten Komfort nur erhöhen.“
Lukács Bild entspricht der Selbstdarstellung von Graz und dem umliegenden österreichischen Bundesland Steiermark als Genussregion, als kulinarische und ästhetische Wohlfühlzone. Graz und die Steiermark gehören zu den zahlreichen Blasen aus gehobener Gastronomie, Wellness und Bio-Komfort, die in Zeiten zunehmender Ungleichheit entstehen – Orte, die maßgeschneidert sind für Geschäftsreisende und KulturtouristInnen, wo das Lob traditioneller Erzeugnisse beängstigende, kryptonationalistische Untertöne haben könnte und der Abgrund der radikalen gesellschaftlichen Exklusion, der Wirtschaftskrise und des entfesselten militärischen Konflikts lauert, in Zeitlupengeschwindigkeit näherkommt.
Grand Hotel Abyss nimmt diese Situation als Ausgangspunkt für eine umfassendere Betrachtung des Hedonismus in Zeiten der nahenden Apokalypse.

Das Festival blickt zurück auf seine Vorgeschichte in den turbulenten Tagen des beginnenden Kalten Krieges, als britische Offiziere, darunter auch der junge John le Carré, das Hotel Wiesler – das damals einzige wirkliche Grand Hotel der Stadt – übernahmen und ihr Hauptquartier im Palais Attems aufschlugen, dem heutigen Büro des steirischen herbst.

Die naheliegende Vermutung der Bau des Künstlerhauses sei unter wohlwollender Unterstützung der britischen Alliierten entstanden, wirft ein neues Licht auf die Entstehungsgeschichte der Institution und deren über Jahrzehnte wechselvoll geplanten und schließlich 1952 unter Schirmherrschaft des Landes Steiermark und mit Unterstützung der Stadt Graz, des Bundes und der lokalen Künstlerschaft realisierten spätmodernen Baues. Die britische Alliierten legten ihren für die Konstitutierung der 2. Republik so wichtigen Schwerpunkt neben allgemeinen administrativen Tätigkeiten auf den Wiederaufbau des Rechtsstaates, der Re-Demokratisierung und Ent-Nazifizierung, wobei eine kosmopolitisch ausgerichtete Kulturpolitik eine nicht zu unterschätzende begleitende Rolle spielte, die der regionalen Bevölkerung und den KünstlerInnen den zu Zeiten des Austro-Faschismus und Nationalsozialismus untersagten Zugang zur Moderne ermöglichte und einen internationalen Austausch anregte.

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