Reply to comment

Brutales Erwachen aus dem Dornröschenschlaf

Vor genau zwanzige Jahren: Prof. Max Mayr und ich konnten den damaligen Finanzstadtrat Mag. Nagl davon überzeugen, für das neue Kunsthaus das Areal beim Eiserne Haus zu wählen – als Ersatz für den nach Volksbefragung zum Glück verhinderten Standort im Schloßberg. Wir versprachen uns dadurch zunächst eine Aufwertung des herabgekommene Rotlicht-Viertels. Der damalige Parkplatz von Kastner & Öhler – ein Schandfleck der Stadt – war 1973 durch Abbruch eines Hauses aus dem 16. Jh. entstanden, den das Kaufhaus gegen das Denkmalamt und gegen die flammenden Proteste von „Rettet die Grazer Altstadt“ durchgesetzt hatte – gerade noch rechtzeitig vor Inkrafttreten des Grazer Altstadt-Gesetzes 1974. Alte Fotos zeigen noch den schönen, von Konsolen getragenen Erker an der damals noch verkehrsumspülten Kreuzung Kosakengasse –Mariahilferstraße. Grundlage für diese Entscheidung war die Studie des leider schon 2016 verstorbenen Stadtrates a. D. und Architekten Klaus Gartler gewesen, der diesen Standort ebenfalls favorisiert hatte. Der zweite Beweggrund für die Wahl des Platzes war die damit zu verbindende Rettung und Sanierung des „Eisernen Hauses“, der 1848 von Withalm errichteten ersten Gußeisenkonstruktion eines Kaufhauses in Festland-Europa.
Der erwartete Erfolg für das Lendviertel trat ein – so hat nach Bekanntwerden der neuen Pläne das bereits geschlossene Hotel Mariahilf seine Pforten sofort wieder geöffnet. Mich und andere der noch lebenden Mitstreiter der damaligen Bürgerinitiative gegen das KH im Schloßberg macht das heute noch stolz, weil es zeigte, dass man Bürger in Fragen der Stadtentwicklung durchaus mitreden lassen könnte.
Weniger erfolgreich war hier der Altstadtschutz (ich selbst war Altstadt-Sachverständiger der ASVK von 2000 bis 2005), denn viele der Altbauten um den Lendplatz wurden einfach abgerissen – und der Prozess ist leider noch längst nicht zu Ende: die klaffende Lücke an der Einmündung der Fellingergasse lässt ahnen, was dort noch kommt. Auch zwei historischen Gülthöfen in der Josefigasse wird wohl bald der Garaus gemacht werden. Heute erinnert sich auch niemand mehr an das legendäre Gasthaus "Zum weißen Rössl". Wer sich aber fragt, woher denn das „Flair“ des Platzes herstammt, braucht nur die Fassaden zu vergleichen. Hier noch wechselvolle Bausubstanz vergangener Jahrhunderte, das Marktgetriebe um die Pestsäule – dort ein zufälliges Nebeneinander gestaltloser Bauten; künstlich aufgesetzte Blenden aus massengefertigtem Kunststoff oder bunte Würfel werden den Geschmacksverlust sicher nicht ausgleichen. Zwei restaurierte Bauten an der Nordwestseite des Platzes zeigen: es hätte auch anders gehen können!
Keineswegs überzeugen können mich die nun in das ehemalige „grüne“, bis vor einigen Jahren noch von Gärtnereibetrieben (!) definierte Land-Lend ausgreifenden riesigen Betonklötze, die vereinzelte denkmalgeschützte Altbauten regelrecht erdrücken; ein kleine Schmiede mit ihrer Esse in der Lücke zu erhalten, war wohl wirtschaftlich nicht darzustellen. Zu sehr leide ich auch an der geschmacklichen Verwahrlosung um die verwaist dastehende Pestsäule Ecke Am Damm – Wiener Straße. Hier hat eine international erfolgreichen Unternehmung die alten Vorstadt-Strukturen durch teilweise containerartige Bürobauten brutal verdrängt. Hallo, Stadtplanung: hätte das nicht besser in die Waagner-Biró-Straße gepasst? Ich frage mich daher manchmal: hätte man das Kunsthaus doch lieber im Berg verstecken sollen?

Reply

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.

CAPTCHA

This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Kommentar antworten