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Graz

Michael Hirschbich­ler, Jammerthal

Die an der Küste Utopias anflutenden Wellen haben ihren Ursprung nicht in den lichten oder dunklen Weiten der Phantasie. In den Schaumkronen der Brandung treiben der Müll, die Hoffnungsfetzen und die Bruchstücke unserer Weltordnung zusammen mit den Fliehenden und Verzweifelten, die in kaum seetauglichen Booten die gefährliche Überfahrt wagen. Die entscheidende Eigenschaft der Utopie besteht darin, dass sie nie hier ist, sondern immer dort, und dass die auf sie gerichteten Bewegungen schwerlich ankommen. Während die imaginierten Orte der Sehnsucht unerreichbar bleiben, da sie sich jenseits der Topographie der Wirklichkeit befinden, sind die Vektoren auf diejenigen Regionen der Geographie gerichtet, die als Utopias Ebenbilder gelten.
Die verheissungsvollen Länder von Sicherheit, Freiheit und Wohlstand heben sich gegenüber den Gegenden des Leids ab wie das barocke Paradies vor dem Jammertal, als erlösungsgeladene Vorstellung eines besseren Anderswo. Auch dieses Anderswo existiert stets als Insel, die sich entzieht – jenseits gefährlicher Meere oder als eifrig befestigte Enklaven. Nicht selten scheiden Stacheldrahtzäune die Paradiese von den Jammertälern. In einer subtilen Mischung von Rationalität und Sadismus verkörpern sie zugleich effiziente und stilisierte Instrumente einer alten menschlichen Praxis: der Kunst der Teilung, ohne die sich weder Paradiese noch utopische Inseln vom Rest der Welt trennen liessen. Es scheinen diese kühnen architektonischen Grenzlinien zu sein, an denen das Leben sich abarbeitet und entlang derer unsere Gegenwart sich verdichtet.

Michael Hirschbich­ler
geboren 1983, arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Architek­tur. Seine spekulativ-kritische kün­st­lerische Auseinan­der­set­zung in ver­schiede­nen Medien steht in engem Zusam­men­hang mit seinem Denken und Schreiben. Das zen­trale Thema seines Werkes stellen exis­ten­tielle Aspekte des menschlichen Lebens, wie es sich in geord­neten und geplanten Struk­turen abspielt, dar.
Michael Hirschbich­ler studierte Architek­tur an der ETH Zürich und Philoso­phie an der Hum­boldt Uni­ver­sität zu Berlin. Er erhielt zahlre­iche Stipen­dien und Ausze­ich­nun­gen, u.a. der Stu­di­en­s­tiftung des deutschen Volkes, der Erich-Degen-Stiftung und der Sutor-Stiftung. Er war Final­ist des Arte Laguna Preises 2012, der Swiss Art Awards 2012, des Lis­bon Tri­en­nale Début Awards 2013 und wurde mit dem Rompreis 2015 der deutschen Akademie Villa Mas­simo aus­geze­ich­net. Seine Werke wer­den in zahlre­ichen Einzel– und Grup­pe­nausstel­lun­gen inter­na­tional gezeigt und publiziert.

Eröffnung: 02.12.2015, 19:00 Uhr
mit einem kurzen Vortrag Michael Hirschbichlers über seine Arbeit.

Veranstaltungsort
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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