Graz

Ausstellung zum 100. Geburtstag des Fotokünstlers Wolf Suschitzky, der bei der Eröffnung anwesend sein wird.

_ Einführung in Leben und Werk: Gerhard M. Dienes, Günter Eisenhut
_ Empfang durch Vizebürgermeisterin Lisa Rücker, Rathaus 20.15 Uhr

Es ist ein seltener Glücksfall, dass der berühmte jüdische Emigrant anlässlich dieser Ausstellung nach Graz kommen kann. Er wird bei der Eröffnung am 22.Juni um 19 Uhr persönlich anwesend sein, ebenso bei einer vorhergehenden Pressekonferenz und bei einem Gespräch für besonders Interessierte im Rahmen der „prenninger gespräche“ am folgenden Montag.
Wolfgang Suschitzky hat gute Erinnerungen an Graz, war ihm doch im Kulturhauptstadtjahr 2003 eine Personale seines filmischen Werks im Rahmen des Filmfestivals „Diagonale“ gewidmet. Die Ausstellung in der Galerie remixx: widmet sich nun dem bedeutenden fotografischen Werk des vor allem für seine Mitarbeit an Klassikern des britischen Kinos berühmten Kameramanns. Seine Photos, die zu unvergesslichen Ikonen der Schwarz-Weiß-Photographie reiften, basieren auf sozialer Sensibilität und Empathie und faszinieren durch ihre ästhetische Attraktion. Sie weisen ihn als ebenso humorvollen wie engagierten Chronisten des 20. Jahrhunderts aus.

Wolf Suschitzky, 1912 in Wien geboren, wuchs in einer der führenden sozialdemokratischen Familien des roten Wien auf. Er absolviert die Ausbildung zum Photografen an der Höheren Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt. Der Vater, Besitzer des „Anzengruber-Verlages“, gründete bereits 1901 gemeinsam mit seinem Bruder eine sozialistische Buchhandlung in Wien Favoriten. Im Februar 1934 ging er in den Freitod, da er - auch angesichts des Antisemitismus in Deutschland - keine Zukunft mehr sah. Wolf Suschitzky emigrierte 1934 unter dem Eindruck des Austrofaschismus auf einige Monate in die Niederlande, im Jahr darauf nach London.
Dort lebte bereits seine Schwester Edith, die 1933 den englischen Arzt Alexander Tudor Hart geheiratet hatte und die in London eine namhafte Portrait- und Dokumentarfotografin war. Sie hatte ab 1929 am Bauhaus Dessau studiert und eine Fachausbildung für Photographie bei Walter Peterhans abgeschlossen. Die vier Jahre ältere Schwester war wie ihr Mann linkssozialistisch engagiert. Vor ihrer Abreise nach England entstand in Wien zwischen 1928 und 1933 eine bemerkenswerte Folge von sozialkritischen und sozialdokumentarischen Photographien, die zum Teil auch in der avantgardistischen linken Illustrierten „Kuckuck“ veröffentlicht wurden. Einige Originalabzüge dieser seltenen Photographien sind in der Ausstellung zu sehen, erschütternde Dokumente aus dem krisenhaften Wien der Zwischenkriegszeit.
Wolfgang Suschitzky arbeitete in England als Photograph und Kameramann. Da er in London anfangs keine Arbeitserlaubnis erhielt, eröffnete er zunächst ein Studio in Amsterdam und fotografierte jüdische Wohnviertel. 1935 ging er zurück nach London und machte sich dort rasch mit Hilfe seiner Schwester einen Namen als Fotoreporter, unter anderem mit eindringlichen Aufnahmen der Bergarbeitergebiete von Wales, die er zusammen mit ihr dokumentierte. Seine 1937/38 entstandene Photoserie über Londons Charing Cross Road in Soho, damals Zentrum des städtischen Buchhandels, gilt als Klassiker der modernen Schwarz-Weiß-Photographie in England. Suschitzkys Wahl dieses Sujets war bedeutsam, stellte sie doch einen Bezugspunkt zu seiner Jungend in Wien dar und war vielleicht auch als letzte Ehrerweisung für den Vater, den Buchhändler und Verleger, gedacht.
Dieser legendären Serie über die Bibliophilenszene in Soho verdankte er 1937 schließlich ein Engagement als Kameraassistent bei Paul Rotha, einem der Gründerväter des sozialen Dokumentarfilms in England. „Die britische Dokumentarfilmbewegung folgte den Idealen von John Grierson, der an das Dokumentarische als poetische Kunstform glaubte, die den ästhetischen Status des Alltags auf eine höhere Ebene heben sollte. Es war dies eine Bewegung, die leidenschaftlich an den Wert des Lebens, der öffentlichen Bildung und den Schutz von Freiheiten glaubte, für welche die Sozialdemokratie eintrat. Gleichzeitig war sie vom Einfluss der kommerziellen Populärkultur tief beunruhigt. Wie Grierson und Rotha setzt Suschitzky denen, die er fotografiert, gern ein Denkmal; seine Photos sind bewusst schön, einfach strukturiert und mit einem starken fast expressionistischen Element.“ (Duncan Forbes)
Durch seine Mitarbeit an einer in den Zoos von London und Whipsnade gedrehten Filmreihe bot sich ihm die Gelegenheit, den Zoologen und Naturschützer Julian Huxley, den Bruder des Schriftstellers Aldous Huxley, kennen zu lernen. Unter dessen wissenschaftlicher Leitung entstanden eine Reihe von Dokumentarfilmen über Zoos. Die Tierphotographien, die er während der Aufnahmen machte, brachten ihm Aufträge für Fachzeitschriften und später auch für große illustrierte Magazine. Suschitzky war einer der ersten, der veritable Tier-Porträts realisierte, in denen das Individuum mit seinen Besonderheiten sichtbar werden sollte.
Nach Kriegsbeginn bekam er als „feindlicher Ausländer“ ein kurzzeitiges Arbeitsverbot im Filmbereich. Suschitzky nahm eine Stellung als Werbephotograph einer medizinischen Firma an und publizierte eine Reihe von Photohandbüchern vor allem für Tier- und Kinderphotographie, die heute rare Sammlerstücke sind. Ab 1940 publizierte Suschitzky eine Reihe von Photoratgebern, die einfache Techniken der Kinder- und Tierfotografie vermittelten und zum Nachkriegsboom der Amateurphotographie in diesen Bereichen beitrugen.
1942 trat er als "Director of Photography" wieder bei Rotha ein und drehte Kurzfilme für das britische Informationsministerium. Die über hundert Filme, die er für privatwirtschaftliche, öffentliche und Regierungsstellen drehte, machten ihn zu einem der führenden Dokumentarfilmer Großbritanniens. Während seiner ganzen Karriere nahm Suschitzky zu seinen Arbeitseinsätzen und zu seinen ausgedehnten Reisen immer die Photokamera mit. 1944 war er Mitbegründer der ersten britischen Filmkooperative DATA (Documentary Technicians Alliance), die u.a. eine Art monatliche "Wochenschau" für die Bergarbeitergemeinden produzierte. Für Rothas "No Resting Place" stand er 1950 erstmals für einen Spielfilm hinter der Kamera. Neben der Filmarbeit in aller Welt war er weiterhin als Photograph tätig.

Heute blickt Wolf Suschitzky als Kameramann und Spezialist für improvisierte Drehs "on location" auf ein Werk von rund 200 Kino-, Dokumentar- und Fernsehfilmen u.a. für den Sender NBC zurück, die ihn in die ganze Welt führten. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen der Gangster-Klassiker "Get Carter" (1971) mit Michael Caine, der Oscar-prämierte Kurzfilm "The Bespoke Overcoat" (1956) und die für einen Oscar nominierte Kurzdoku "Snow" (1963) sowie die Joyce-Verfilmung "Ulysses" (1967), die ihm den Britischen Academy Award eingebracht hat.
Parallel dazu ist sein über 10.000 Bilder umfassendes photographisches Oeuvre entstanden, das weltweit in renommierten Galerien und Museen vertreten ist. Sein vielseitiges Schaffen umfasst aber auch Aufnahmen prominenter Künstler oder Politiker, Kinderbilder oder Einblicke in die Arbeitswelt und fremde Kulturen.

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16. + 17.11.2023
 
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