07/09/2010
07/09/2010

Spielerische Auseinandersetzung mit der "Hütte"

Brainstorming

Vorstellungen der Kinder

Vorstellungen der Kinder

Tante Berthas Hütte entsteht

Tante Berthas Hütte entsteht

Tante Berthas Hütte entsteht

Schülerinnen und Schüler der 3B Klasse, 18 Kinder im Alter von 8-9 Jahren.

Hand anlegen ist nicht immer einfach, macht aber Spaß.

Hand anlegen ist nicht immer einfach, macht aber Spaß.

Handwerker am Werk

Was wird daraus einmal?

Ein fächerübergreifendes Projekt zur Architekturvermittlung für junge Menschen von REVOLVER*ZT architektur im Rahmen von „RaumGestalten“ an der Volksschule Bertha von Suttner im Sommersemester 2010 mit hoffentlich langer Halbwertszeit.

Unschwer lässt sich der Projekttitel als Analogie zu Harriet Beecher Stowes Roman „Onkel Toms Hütte“ lesen. Tante Bertha bezieht sich in diesem Fall auf die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, die Namenspatronin der Volksschule in der Lagergasse im Grazer Bezirk Gries. Verbindendes Element ist nicht nur die Hütte, sondern der soziokulturelle Hintergrund. Sowohl im Roman als auch im Projekt sind die Protagonisten die Schwächsten der jeweiligen Gesellschaft: die Sklaven im 19. Jahrhundert der Vereinigten Staaten von Amerika im Original, die Kinder von Migranten aller Nationen im Europa des 21. Jahrhunderts im Projekt. Und das ganz im Sinne der Namensgeberin, die ihres Zeichens zeitgleich mit dem Original für die Friedensentwicklung als wesentlichen Bestandteil im schulischen Leben eintrat.
Die 195 Kinder der Schule stammen aus 19 verschiedenen Herkunftsländern, u. a. aus Österreich, der Türkei, Bosnien, Serbien, Kroatien, Rumänien, den Philippinen, Somalia, Ghana, Ägypten, Tschetschenien, Russland. Während im benachbarten Kindergarten IKG (Interkultureller Mehrsprachiger Kindergarten) auf Integration im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund Wert gelegt wird (ein Drittel der Kinder hat „nur“ Deutsch als Muttersprache, ein Drittel wächst mit Deutsch und einer anderen Sprache auf, ein Drittel hat Deutsch nicht als Muttersprache) haben an dieser Volksschule 96% der Kinder Deutsch nicht als Erstsprache.
Für diese Kinder ist Deutsch eine Fremdsprache, die sie neben dem herkömmlichen Stoff in der Schule erlernen müssen. Die Chancen, das Bildungsniveau eines Gymnasiums zu erlangen oder gar mit der Matura abzuschließen und in Folge die Universität zu besuchen, stehen denkbar schlecht. Kinder von Migranten gehören zu einer der Hauptgruppen, die von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind.
Integration kann durch den fehlenden Anteil an deutschsprachigen Kindern nicht stattfinden. Trotzdem ist der Lehrkörper mit seinen beschränkten Mitteln sehr bemüht, die Kinder entsprechend ihrer individuellen Talente zu fördern und ihnen die Werte einer multikulturellen Gesellschaft zu vermitteln. Genau an diesem Punkt wollte und hat REVOLVER*ZT architektur unterstützend angesetzt.

Ziel des Projektes war einerseits die Vermittlung von „abstrakten“ Zusammenhängen bei der Architekturproduktion auf mehreren Ebenen (Entwurf/Ausarbeitung/Produktion), andererseits war es wichtig, bei den Kindern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass aktives Gestalten im eigenen, halb öffentlichen und öffentlichen Raum möglich ist und Spaß macht.
Neben der Architekturvermittlung war es auch ein primäres Ziel, den Kindern durch die partizipatorische Gestaltung ein Gefühl für ihre Fähigkeiten zu geben und ihre Teamfähigkeit zu schulen, um so ihren Selbstwert zu fördern. Eine wesentliche Erfahrung für die Schülerinnen und Schüler sollte auch darin liegen, wie wichtig der individuelle Beitrag eines jeden Menschen für die Gesellschaft ist. Durch den Bau der HÜTTE sollte nicht zuletzt der Traum der Kinder nach einem eigenen gebauten „Baumhaus“ erfüllt werden.
Schließlich soll das Projekt dazu anregen, ähnliche Projekte in den künftigen Unterricht einfließen zu lassen, denn Kinder erlernen aufgrund des fächerübergreifenden, projektbezogenen Unterrichts leichter und praxisorientierter. Gleichzeitig kann durch die Planung und Durchführung eines derartigen „Bauvorhabens“ die mathematische, handwerkliche und räumliche Vorstellungskraft der Kinder unterstützt werden.

TANTE BERTHAS HÜTTE ist nicht nur der kleinstmögliche, einfache Raum im Sinne der Erfüllung eines Schutzbedürfnisses oder der Aufbewahrung, sondern als multifunktionsfähiger Raum konzipiert. Durch Aufklappen, Hochklappen, Umklappen, Auffalten, Umlegen, Ausräumen, lässt sich der Raum entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen verändern.
Angedachte Bespielungen und Funktionen sind u. a. Freiluftklassenraum, Stauraum, eine Bar fürs Schulfest, einzelne bespiel- und „bekritzelbare“ Oberflächen, Theaterbühne, Kasperltheaterraum, Beschattung, Baumhaus etc.

Umsetzung des Projekts in drei Phasen:

1. Phase – Workshops kollektive Wunschvorstellung – März 2010
Die Kinder kommen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern und Kulturkreisen, deshalb wurde am Anfang der jeweilige Kulturbegriff der „Hütte“ – die unterschiedliche Bedeutung, Funktion und Formgebung – spielerisch durch ein eigens entworfenes Memory-Spiel untersucht. Die Kinder sollten dabei einen Bezug und ein Bewusstsein zu ihrer kulturellen Heimat herstellen. Gemeinsam wurden aus dem Erfahrenen in Folge der Bedarf, die Möglichkeiten, die Bespielbarkeit, die Formgebung und Raumbildung erarbeitet.

2. Phase – Workshops Planung – April/Mai 2010
In der 2. Phase wurden alle Ideen und Wünsche zusammengeführt und fokussiert, sodass eine kollektive Wunschvorstellung entstand, die dann in eine konkrete Projektplanung mündete. Neben dem Brainstorming und der Anfertigung von Wunschbildern wurde auch der Frage nachgegangen, mit welchen Baustoffen TANTE BERTHAS HÜTTE gebaut werden sollte.
Gemeinsam mit der Lehrerschaft wurde mehrfach die konkrete Mitarbeit anderer Klassen, die Bespielbarkeit und die Positionierung von TANTE BERTHAS HÜTTE diskutiert.

3. Projektphase – Ausführung – 1. Juni bis 7. Juli 2010
Mit den Kindern der Klasse 3B sollte TANTE BERTHAS HÜTTE schließlich gebaut werden. Auf Wunsch erhielten alle Kinder der Schule die Möglichkeit, sich aktiv am Bau zu beteiligen.
Am 1. Juni begannen die Bauarbeiten mit der Herstellung der Fundamente. Wetterbedingt kam es zu Verzögerungen. Mithilfe von Andrè, dem Multitalent des Stadtschulamtes, begannen am 15. Juni die eigentlichen Aufbauarbeiten von TANTE BERTHAS HÜTTE. Zur Wahrung der Sicherheit befanden sich nie mehr als 4 bis 5 Kinder direkt auf dem Baustellengelände, welches durch einen Baustellenzaun gesichert war. Bis auf einige wenige kritische Bauphasen wie die Errichtung der Tragkonstruktion (Stützen-, Balken- und Pfettenaufbau) konnten sich die Kinder mannigfach durch Abmessen, Sägen, Bohren, Anschrauben, Schleifen, Streichen etc. einbringen Zwischenzeitlich wurde mit dem Bau der Sitz- bzw. Regalwürfel sowie mit dem Ausschneiden der Hände für die Hüttenfassade – entsprechend dem Schullogo – begonnen. Beides wurde in den folgenden Wochen von den Kindern bemalt.

Vor dem Schulfest wurde mit den Kindern noch die Bar gebaut, der Boden und die Fensterläden wurden geölt und letztere auch noch eingesetzt. Die Montage der Eternitfassade und die Befestigung der farbigen Hände an der Fassade erfolgten schließlich in der letzten Schulwoche.

Einweihungsfeier – Schulfest, 30. Juni 2010
Die erste Bewährungsprobe für TANTE BERTHAS HÜTTE fand beim alljährlichen Schulfest statt. Hier diente die Hütte nicht nur als Regenunterstand während des sommerlichen Gewitters, sondern in erster Linie als Getränkebar.

Das Projekt TANTE BERTHAS HÜTTE stellt für die gesamte Schule eine Möglichkeit dar, sich in der Öffentlichkeit positiv zu positionieren. Zudem konnte durch den Bau von TANTE BERTHAS HÜTTE der Eingangsbereich der Schule neu gestaltet werden.
Im kommenden Schuljahr wird rund um TANTE BERTHAS HÜTTE der Grünraum neu bepflanzt und gestaltet. Geplant ist auch die Bemalung der Bar und der Eingangstür.
Straßenseitig soll an der Hütte noch ein Schriftzug der Schule angebracht werden.
_ Konzept und Projektleitung: REVOLVER*ZT architektur, Architekt DI Alexander Cziharz, DI Petra Kickenweitz, Cand. Arch. Michael Lahnsteiner
_ Klasse: 3B Klasse, 18 Kinder im Alter von 8-9 Jahren. Im Zuge des Projektfortschrittes hat sich die gesamte Schule an Tante Berthas Hütte beteiligt.
_ Klassenlehrer
Dipl. Päd. Rudolf Zdrahal
_ Kooperation:
Projektreihe RaumGestalten
Stadtschulamt Graz
Elternverein der VS Bertha von Suttner
ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus
Verein Raum macht Schule Steiermark
Fa. Eternit
Malervereinigung Graz
Fa. Ban
Das Low Budget Projekt wurde durch die ehrenamtliche Mitarbeit zahlreicher Freunde ermöglicht. Zusätzlich hat Materialsponsoring und die freundliche Unterstützung durch das Stadtschulamt, den Elternverein und durch den Verein Raum macht Schule Steiermark zu
einem ausgeglichenen Budgetabschluss verholfen.
_ Weitere Beteiligte:
_ Karl-Heinz Hödl vom Stadtschulamt, Unterstützung bei der Errichtung der Fundamente und der Montage der Eternitfassade.
_ Andre Tschepitsch, Mitarbeiter der Tischlerei des Stadtschulamtes
_ Susanne Raiser, Obfrau des Elternvereins für die zusätzliche finanzielle Unterstützung, wodurch auch der Bau des Möbeliars der Hütte ermöglicht wurde.
_Anna Lampl, Gestaltung des wunderbaren Windspieles mit ihrer Klasse.
_ Erich Silldorff und Norbert Laasch, die gemeinsam mit der 1. Klasse die Sitz- und Regalwürfel bauten und bemalten.
_ Christian Vötsch, Projektleiter der Baustelle Kastner & Öhler, Führung durch die interessante Baustelle und Verköstigung der 3B Klasse.
_ Bernhard Jantscher, Unterstützung durch die Firma Eternit.
_ Maria Fanta für die Spende der Fensterläden.
_ Julia Thir, Lisa Leitner, Carlos Pires und seine Jungs Fabio und Tobias, tatkräftige, handwerkliche Unterstützung.
_ Stefan Brandtner, handwerklicher Beistand
_ ARGE Jugend gegen Gewalt und
Rassismus, Sponsering
_ Direktorin Christa Friedl-Graber
_ Michael Lahnsteiner, Rudolf Zdrahal
_ alle Kinder der VS Bertha von Suttner, die fleißig mit angepackt haben.

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu, kinderGAT
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16. + 17.11.2023
 
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