11/05/2009
11/05/2009

Abb. 1: Leitturm im Arenbergpark, Wien. Foto: Ute Bauer

Abb. 2: Kontrast zwischen den rohen Sichtbetonwänden im Inneren und der Alltäglichkeit von Stufen und Geländern im Stiegenhausschacht. Foto: Helmut Karl Lackner

Im März hatte eine Gruppe von WissenschaftlerInnen – TeilnehmerInnen des internationalen Workshops „The Material of Memory“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – die seltene Gelegenheit, einen der Wiener Flaktürme, den Leitturm im Arenbergpark, zu besichtigen. Selten deshalb, weil die Gemeinde Wien nur ungern BesucherInnen den Zutritt zu den Flaktürmen erlaubt. Die Architektin Ute Bauer, die sich seit Jahren mit den Wiener Flaktürmen beschäftigt und dazu 2003 ein Buch publizierte, hat die Gruppe geführt.
Die sechs Wiener Flaktürme stehen jeweils paarweise – ein Leit- und ein Gefechtsturm – in Parkanlagen: im Esterhazypark/Stiftskaserne, im Augarten und im Arenbergpark. Im Herbst 1942 wurde mit dem Bau der Türme, die nicht nur militärischen Zwecken, sondern auch als Luftschutzräume dienten, begonnen.
Während die Hamburger Flaktürme nach dem Krieg abgegraben und die Berliner abgetragen oder gesprengt wurden, sind jene in Wien belassen worden. Seither prägen sie markant und von vielen Orten aus sichtbar das Stadtbild, und keiner weiß so recht, wie mit ihnen umzugehen sei. Schon in der Nachkriegszeit gab es die Idee, einen der Türme zu ummanteln und zu einem Hotel umzufunktionieren. Immer wieder wird bis heute die Idee diskutiert, die Plattformen als Panoramaterrassen zu nutzen. Ein Flakturm ist als „Haus des Meeres“ in Funktion, ein anderer als museale Außenstelle des MAK.
In ihrer Führung wies Ute Bauer auf zwei Dinge besonders hin: dass an der Errichtung der Wiener Flaktürme hauptsächlich zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beteiligt wurden, und dass die beeindruckende Größe und Präsenz der Türme im Stadtraum mehr Propagandagesten des Dritten Reichs waren, als dass diese aus einer besseren Verteidigungsfunktion erklärt werden könnten. Denn die zahlreichen niedrigen Flakanlagen an der Peripherie von Wien hätten dieselbe Schutzfunktion erfüllt. Ute Bauer räumt somit mit dem Mythos der Flaktürme als Schutzbauten der Bevölkerung auf. Auch einen anderen Mythos, nämlich jenen, dass die Flaktürme aus Sicherheitsgründen nicht zu sprengen oder sonstwie zu entfernen seien, widerlegt sie mit dem Hinweis auf Hamburg und Berlin, wo diese Bauten längst verschwunden sind.
Bei dem Gang durch den Flakturm lassen sich die Inschriften aus der Entstehungszeit ablesen: einerseits die Anordnungen in weißer Schrift, zügig zu gehen oder die Hinweise für spezielle Räume für Frauen und Kinder, andererseits die Kritzeleien und Graffitis der am Bau beteiligten ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Frappierend ist der Kontrast zwischen den rohen Sichtbetonwänden im Inneren und der Alltäglichkeit von Stufen und Geländern im Stiegenhausschacht, die aus einem Standard-Zinshaus der 1930er-Jahre stammen könnten.
Gemeinsam mit Stephan Matyus hat sich Ute Bauer ganz einem Projekt verschrieben, welches das Ziel verfolgt, „das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung der sechs Wiener Flaktürme als historische Ereignisorte und authentische Erinnerungsorte in Wien anhand des Beispiels Leitturm im Arenbergpark zu schärfen und die Qualitäten dieses speziellen Flakturms als Mahnmal des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges zu dokumentieren.“ Dazu soll die Bau- und Nutzungsgeschichte des Flakturmes – über die Kriegszeit hinaus – so exakt wie möglich rekonstruiert werden. In mühevollster Kleinarbeit werden die im Gebäude aufgefundenen Quellen gesichert und als materielle Spuren des Kriegsalltags dokumentiert und ausgewertet. Darüber hinaus sollen die in den Bau- und Nutzungsprozesse in unterschiedlicher Weise eingebundenen Personengruppen untersucht werden (Auftraggeber, Architekt, Baufirmen, zivile Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Soldaten, Luftwaffenhelfer, Schutzsuchende).
Mit der Fokussierung auf die Architektur des Terrors und der Suche nach Authentizität steht das engagierte Projekt im Kontext mit aktuellen internationalen Projekten (zur Bunkerarchitektur, Konzentrationslagern etc.), während das Ziel, die Wiederaneignung eines „verlorenen Ortes“ und das Erzählen von bisher nicht Erzähltem an den gegenwärtigen Erinnerungsdiskurs anschließt.

Zum Weiterlesen:
Ute Bauer
Die Wiener Flaktürme im Spiegel österreichischer Erinnerungskultur
Phoibos Verlag
2003
115 Seiten
ISBN: 3-90123242-7
EUR 29.00

Link:
http://www.if-ag.org

Verfasser/in:
Antje Senarclens de Grancy, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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