11/01/2022

Kolumne
Wolkenschaufler_54

Künftige Kunst

.

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

11/01/2022
©: Zita Oberwalder

Ein Edmond de Belamy hat nie gelebt. Zumindest nicht der, dessen „Porträt“ 2018 mittels lernendem Algorithmus und Computer angelegt worden war. Das französische Künstlerkollektiv Obvious gab einem generative adversarial network (GAN) 15.000 Fotos von Porträts zur Ansicht, um daraus Muster zu erkennen.
Wie ein GAN prinzipiell funktioniert beschreibt der Autor Stefan Buijsman in seinem 2021 auf Deutsch erschienen Band Ada und die Algorithmen. Wahre Geschichten aus der Welt der künstlichen Intelligenz. Ein „Generator“, ein „neuronales Netzwerk“, das man sich als Parallelschaltung von unzähligen Und-, Oder- und Nicht-Gattern vorstellen muss, generiert irgendwelche Strukturen, die man Bilder nennen kann. Aus den Vorlagen – hier sind es Porträtfotos – werden über weitere neuronale Netze im Vergleich von Pixel zu Pixel Muster erkannt, die mit den generierten Bildern abgeglichen werden und die von einer weiteren Maschine, dem „Discriminator“, nach Zustimmung oder Ablehnung, als porträtkonform akzeptiert werden.
Pixel für Pixel wurde damit das Konterfei des von einem Computer erfundenen Edmond de Belamy generiert, eines von mehreren, die nach dem Konzept von Obvious die fiktive Familie Belamy darstellt. Nach Obvious‘ Intention, sollen die Werke an jene des französischen Rokoko-Malers François Boucher erinnern, wenngleich Farbe und Struktur noch einigermaßen vergleichbar sind, während die Darstellung der Gesichtszüge doch deutlich unbeholfen wirkt. Wenn Alan Turing seine frühen Überlegungen zu lernenden Programmen einst mit dem Lernen von Kindern verdeutlichte, müsste man boshafter Weise dem Belamy-Algorithmus den Status einer „Kindmaschine“ attestieren. Aber das tut hier wenig zur Sache.

Auf der Website von Obvious wie auch im Buch von Buijsman erfährt man, das Porträt von Edmond de Belamy (Inkjet auf Leinwand) sei 2018 von einem anonymen Käufer bei Christie’s New-York um 432.500 US-Dollar ersteigert worden. Erwartet hatte man dagegen nur 10.000 Dollar. Obvious führen dieses und weitere generierte Bilder auf ihrer Website unter der Rubrik „Artworks“. Und einmal mehr stehe ich vor der Frage, ob etwas, das von einem Programm, von einer Maschine generiert wird, Kunstwerk sein kann beziehungsweise – nachdem in den Verhandlungen um Kunst die Konvention besteht, Kunst sei, was autorisiert, also mit AutorInnen in Verbindung steht – ob die Maschine, das Programm als AutorIn begriffen werden könnte (?). Oder anders: Sind Obvious nun die KünstlerInnen, die solches Porträt mithilfe eines Algorithmus angelegt haben? Wäre dieser vielleicht eine Art neues Medium, dem Pinsel vergleichbar? Oder sind die ProgrammiererInnen Künstlerinnen, weil sie die Voraussetzung für das Porträt Belamys entwickelt haben? Abgesehen davon, dass mittels GANs auch Stimmen (re)konstruiert werden können, Gesichts- und Spracherkennung möglich ist oder Text erzeugt werden kann. Gibt es damit Urheber des fiktiven Porträts wie es Urheber, sagen wir, eines Romans gibt?

Es besteht freilich (noch?) kein Anlass zur Judizierung. Aber als potentiell interessanten Fall hat ein österreichisches Anwaltsbüro Fragen um die Urheberschaft respektive Urheberrecht nach österreichischer Gesetzeslage am Beispiel des aus dem Rechner stammenden und als Kunstwerk begriffenen Belamy-Bildes behandelt. Weil ein Computerprogramm als Werk der Literatur gilt, sofern es sich um eine „eigentümliche geistige Schöpfung“ handelt, sei der Rechtsanspruch etwelcher Programmierer unstrittig. Herrschende Ansicht aber sei es, dass ausschließlich menschliche Schöpfungen durch das Urheberrechts-Gesetz geschützt werden „sollen“. Dient der Computer, das Programm, „dem Menschen lediglich als Werkzeug“, so unterliegt das Werk dem urheberrechtlichen Schutz. Anders, wenn ein Algorithmus (im Sinn einer KI) das Ergebnis eines Prozesses bestimmt. Hier liege „laut herrschender Lehre“ kein urheberrechtlicher Schutz vor. Als Schöpfer werde somit „grundsätzlich […] der Algorithmus betrachtet“, der nicht rechtsfähig sein und damit nicht als Urheber gelten kann. Nach österreichischem Recht liege bei diesem Gemälde also kein urheberrechtlicher Schutz vor.

Um hier nicht auch noch den erweiterten Kunstbegriff zu bemühen, mit dem wir als Kunsthistoriker so einigermaßen zurande kommen, stehen wir aber offenbar vor einem sich abzeichnenden Dilemma. Wenn keine Kunstschaffenden existieren, die ihr Werk – auch im Sinn des erweiterten Kunstbegriffs – als Kunst ausweisen, was ist das dann, das von Anwendern eines lernenden Algorithmus produziert wird und das von Verkäufern und wahrscheinlich auch von Käufern als Kunstwerk bezeichnet wird? Kann Kunst sein, was aus einer Maschine kommt, die kalkuliert anstatt zu denken, die kein Bewusstsein von ihrer eigenen Existenz hat? Abseits dieser Kunst-Problematik könnte man natürlich die Ambition des anonymen Belamy-Käufers als pure Hochrisikoanlage in ein Investitionsobjekt begreifen. Es müsste in der Folge an ihm liegen, andere vom Kapitalcharakter dieses Tintenstrahldrucks zu überzeugen.

Die Anwälte jedenfalls denken an eine Entwicklung, nach der in dieser Form computergenerierte Werke für Investoren erst attraktiv sein können, wenn ihnen auch urheberrechtlicher Schutz attestiert wird. 2017 hat demnach das Europäische Parlament „die Ausarbeitung von Kriterien für einen urheberrechtlichen Schutz von computer- oder robotergenerierten Werken gefordert“. Und tatsächlich besteht seit 1988 im Copyright, Designs and Patent Act von Großbritannien bereits folgende Regelung: „Im Falle eines literarischen, dramatischen, musikalischen oder künstlerischen Werkes, das computergeneriert ist, ist Urheber die Person, von der die für die Schaffung des Werkes erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden.“

Käme es also zu solchen Rechtslagen, Haarspalterei und Spitzfindigkeit beigegeben, müssten wir vielleicht bald die Produkte der Roboterin Ai-Da als Kunstwerke bezeichnen?

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+