29/03/2019

Friedrich Achleitner
(1930 – 2019)

Nachruf von Karin Tschavgova

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29/03/2019
©: Paul Zsolnay Verlag / Lukas Beck

Bis zuletzt war Friedrich Achleitner eine öffentliche Person oder das, was man in Österreich gern eine Institution oder eine Instanz nennt, auch wenn Fritz, wie seine Freunde ihn nannten, sich schon vor geraumer Zeit von seiner Tätigkeit als Architekturpublizist und noch länger aus seiner Funktion als Architekturkritiker zurückgezogen hatte. Äußerungen zu aktuellen Themen der Architektur oder zur Stadtentwicklung wurden selten. Zuletzt war Achleitner 2016 prominenter Mitunterzeichner eines offenen Briefs und Aufrufs zum Stopp des Widmungsverfahrens für das Heumarktprojekt.

Kein Zweifel, als Instanz hatten Achleitners Worte Gewicht. Sie waren von einer Klarheit und Präzision in der Aussage, dass sie selbst Bundespräsident van der Bellen dazu animierten, Friedrich Achleitner in seinem Nachruf als „streitbaren Kritiker“ zu bezeichnen. Das ist in einem Land wie Österreich, in dem die bedingungslos offene, kritische Haltung als Diskussionsbeitrag nur allzu gern als Streitlust falsch gedeutet und abgewertet wird, nicht allzu erstaunlich. Trotzdem ist diese Zuschreibung meiner Meinung nach ein Missverständnis und falsch. Es ist gerade gegenteilig.

Architekturkritiken schrieb Achleitner ab 1961 knapp ein Jahr lang in der Rubrik Bausünden in der Abend-Zeitung unter dem Pseudonym „christon“, da man ihm damals ein solches nahegelegt hatte. Man beachte die Zeit und diesen Rat im grauen Nachkriegs-Wien! Ohne Pseudonym setzte er seine Kritik ab 1962 in der Tageszeitung Die Presse fort, nachdem sich Msgr. Otto Mauer dort beim Herausgeber Otto Schulmeister für eine regelmäßige Architekturkritik starkgemacht hatte und dafür Achleitner vorschlug. Aus der Rubrik Neues Bauen, kritisch betrachtet wurde eine allgemeine Architekturkritik, über die Achleitner einmal schrieb: “Ihr anfänglich forscher Ton stand in einem umgekehrten Verhältnis zur Selbstsicherheit des Autors, …“. Zehn Jahre lang blieb Achleitner der wöchentlichen Architekturkritik in der Tageszeitung treu. 1972 beendete er diese kräfteraubende Tätigkeit, weil, wie er immer wieder betonte, der Beginn der Dokumentation österreichischer Architektur im 20. Jahrhundert einen Perspektivenwechsel mit sich brachte. Der kritische Blick, der auch Mittelmäßiges, Schlechtes, Missstände und Unzulänglichkeiten hervorhob, wurde zum Blick des Betrachters, der genau schaut, was in diese Anthologie von Architektur eines Jahrhunderts der Maschinen und der Geschwindigkeit passt, was er aufnehmen will und im Umfang eines Architekturführers kann.

1980 erschien der erste Band seiner ursprünglich auf vier Bände ausgelegten Sammlung über Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Das Mammutvorhaben, für das Achleitner ursprünglich drei Jahre veranschlagte, beendete der Band III über Wien im Jahr 2010. Niederösterreich blieb unbereist und ungeschrieben – Achleitner war 80 und wollte nicht mehr daran arbeiten.

Alle Essays, Texte und Lobreden, die er zwischen dieser großen Arbeit aus unterschiedlichsten Anlässen geschrieben hat, sind punktgenaue Reflexionen, die zeigen, wie sehr Achleitner an Sicherheit und Urteilskraft gewonnen hat in den Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit Architektur und Architekten. Das zeigt sich besonders in der Essaysammlung Region, ein Konstrukt? Regionalismus, eine Pleite? aus 1997, die mit Gemütlichkeit, Graz, Heimatstil, Landschaft, Mitteleuropa, Nationalromantik, Ortsbild, Schweiz, Tourismus, Vorarlberg und Wien untertitelt ist. Man sieht: sein Blick war weit wie die Themen, die ihn interessierten. Sein Wissen war enzyklopädisch, wurde aber wie seine Analysen immer einfach und verständlich in Texte gepackt. Seine Einschätzungen und Urteile sind nie unbegründet, aber dennoch als seine persönliche Meinung zu erkennen. Verallgemeinerungen sind seine Sache nicht: „Ich neige dazu, ich möchte vorschlagen, so vermute ich einmal, …“ sind wieder und wieder zu findende Bekenntnisse, selbst die Behauptung kommt mit einem „ich möchte behaupten“ daher und erlaubt damit sanft und subtil Relativierung und Widerspruch. Dazu passend: im quadratroman, einem radikalen Experiment im Duktus der wiener gruppe, der er angehörte, widmet er sich dem Quadrat, das sich in jeder Position durch geschriebene oder gezeichnete Interventionen wandelt. Da heißt es auf Seite 17 in einem Quadrat am oberen Seitenrand lapidar: nehmen wir an das quadrat sei gegeben

Das war mir immer sympathisch an Achleitners Texten. Das Besondere, Einmalige, das Leselust Machende ist auch die Leichtigkeit, in der sie lesbar sind, auch der Humor und die feine Ironie, die sie fallweise fast unmerkbar durchdringen. Ein Beispiel? Im Essay über den Begriff der Grazer Schule mit dem Titel Gibt es eine „Grazer Schule“? (1993) schreibt Achleitner von der Schubkraft der Grazer Emotionalität, die die Tagträume der Architekten visuelle Wirklichkeit werden ließen.
Und er beendet die Analyse über die Existenz oder Nichtexistenz einer Grazer Schule mit folgendem Absatz: „Ich möchte vorschlagen, als eine Art rückwärtsgewandte Utopie, als Methapher eines uneingelösten und vielleicht uneinlösbaren Traums das Steinhaus von Günter Domenig zum Gral der Grazer Schule zu küren. Ich meine das gar nicht so ironisch, wie es klingt. Vielleicht sollte auch, im Lande Robert Musils, die Weisheit an einem Ort begraben sein, daß ein sich aussetzendes und ausschöpfendes Denken jeweils nur in einem Medium möglich ist und daß es der Übersetzung, der Verbalisierung (weil Verfälschung und Abschwächung) vielleicht wirklich nicht bedarf.“

Ja, lieber Fritz, du warst ein Dichter, einer mit einer sympathischen Neigung zum Understatement, und du hast uns gezeigt, dass ein offenes, schöpferisches Denken nicht nur in einem Medium möglich ist, sondern ein ganzes Leben in all seiner Vielfalt und all seinen Facetten ausfüllen kann – über alle Grenzen hinaus.

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