14/12/2004
14/12/2004

Der Hauptplatz von Graz voll von ziegelroten Risspilzen.

Der Hauptplatz, vorweihnachtlich mit Adventhütten. Foto: Feyferlik

Der ziegelrote Risspilz ist tödlich giftig. Bei uns gibt es ihn nicht, oder doch? Ich sah ihn im Traum, den Hauptplatz von Graz voll von ziegelroten Risspilzen, die sich einbilden, Teil der Dachlandschaft der Altstadt zu sein und in Gruppen gedeihen. Sein Gift, das Muskarin, wird zur Berauschung genommen - stehe ich unter seinem Einfluss? Der Grund für sein Gedeihen hier könnte eine mittelalterliche Risspilzkultur der ehemaligen Bebauung auf diesem Teil des Hauptplatzes sein. Genau hier waren bei der Neugestaltung Fundamente und Bruchstücke aufgehenden Mauerwerks freigelegt und wieder zugeschüttet worden (wir berichteten). Die Pilzkultur muss Jahrhunderte lang latent vorhanden gewesen sein und ihre Sporenträger just dann austreiben gelassen haben, als die Altstadt Weltkulturerbe geworden war. Ist dieses zeitlich nur geringfügig versetzte Zusammentreffen Zufall, ist es Absicht, steckt gar Tücke dahinter? Ich schrecke in Schweiß gebadet auf und da sehe ich sie, die ziegelroten Risspilze auf dem Hauptplatz: holzfarbener Strunk unter ziegelrotem Hut. Ich rufe den Amtsarzt an und erkläre. Dieser verweist mich an das Amt des Bürgermeisters, dieses an Herrn K. vom Verein „Kitsch und Kunst“. Herr K. weiß nichts von ziegelroten Risspilzen am Hauptplatz, was mich der Hauptplatz überhaupt angehe? Aber was sind denn das für ziegelrote Objekte auf dem Platz, frage ich. Er wisse nichts davon, dort stünden nur Adventhütten auf gepachteten Plätzen, und was mich das überhaupt angehe. Wenn sie dort nicht gewachsen seien, muss sie doch jemand gestaltet haben, bemerke ich mit der Logik eines Träumenden oder aus dem Traum Erwachenden; ob es so jemanden gäbe? Wenn ich die Hütten meine, so bildeten sie das Adventdorf, das sei eine Anspielung auf die Dachlandschaft der Grazer Altstadt und diese sei immerhin ein Weltkulturerbe, erfahre ich, und was mich das überhaupt angehe, er forsche auch nicht meinen Finanzen nach. Ich: Das sei auch wenig ergiebig, außerdem habe er mir die Finanzierung der Objekte ja von sich aus erklärt. Diese interessiere mich aber nicht weiter, ich wüsste gerne über den kreativen Prozess Bescheid. Einen Prozess, einen Prozess wollen Sie, war die Gegenfrage, sagen Sie mir, was geht Sie das ganze überhaupt an? Sein Gesicht nähert sich mir bedrohlich. Eigentlich nur so viel, wie es eben einen Bürger angehen kann, sage ich und er: das geht Sie überhaupt nichts an.
Habe ich das alles nur geträumt oder träume ich immer noch?
Es ist doch kein Traum, da ist er doch, der Hauptplatz, mit diesen rotbehuteten Objekten, die ich für ziegelrote Risspilze gehalten habe. Schrecklich, wie schnell man alt wird. Oder ist es doch das Muskarin, bin ich infiziert? Ich schlage nach, unter Muskarinvergiftung. Die Symptome sind da: Ist nicht meine Raum-Zeitvorstellung verändert, wachsen die Pilze am Hauptplatz nicht, werden immer größer? Die Pupillen sind verengt, ich verspüre starke, ja tobsüchtige Erregung! Ich muss mich abwenden, trinke ein Glas Wasser und nehme zwei Tabletten Tierkohle. Jetzt wird es wieder besser, mein Herzschlag normalisiert sich. Ich werde wohl den Hauptplatz für die Zeit des Advents meiden müssen.

Verfasser/in:
Bernhard Hafner "Freie Meinung"
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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