10/07/2009
10/07/2009

Still aus dem Film "Rettet den Grazer Grüngürtel", von Huber Susanne, Kuttner Kerstin Helene, Leitner Miriam. (siehe LINK rechts)

Oder: „Warum wir immer noch zersiedeln, obwohl wir wissen, dass eigentlich alles dagegen spricht!“ Und warum es wichtig ist, darüber zu sprechen: In der Stadt und auf dem Land, in Graz- Reininghaus, im Stadtmuseum, auf der Universität und im Internet.

„Yes, we camp!“ - mit diesem Slogan machten die Obdachlosen von L'Aquila die Mächtigen der Welt zum Auftakt des G8-Gipfels aufmerksam. Aufmerksam auf sich. Übertragen lässt sich dieses Bonmot aber auch auf die globale Situation von Millionen von Menschen, die auf Dauer zu jener Form des Wohnens verurteilt sind, der wir gerne temporär bei geeignetem Wetter und aus Abenteuerlust frönen. Den Rest des Lebens verbringen wir lieber in festen Behausungen, am allerliebsten im Einfamilienhaus! Sogar Georg W. Reinberg gab zu, sich manchmal ein Einfamilienhaus zu wünschen. Diese Form des dauerhaften Wohnens verbraucht aber unverhältnismäßig viele Ressourcen betreffend Herstellung, Infrastruktur und Platzverbrauch. Das Einfamilienhaus kommt der Gesellschaft teuer, es erzeugt enormen Individualverkehr, verbraucht wertvollen Boden, zerstört die Natur und ist gesamt-gesellschaftlich betrachtet bedenklich. Außerdem ist es nicht mehr familienkonform und schon gar nicht zeitgemäß.

Ich fahre immer noch kopfschüttelnd durchs Land und verursache dabei beinahe Unfälle, weil ich bisweilen gar nicht fassen kann, was noch immer und immer wieder gebaut wird. Es lässt sich vielleicht anhand des aktuellen Ereignisses eines Gipfels erklären, auf dem wider besseren Wissens gerade einmal von einem "Minimalkonsens beim Klimaschutz" gesprochen wird, von dem jeder weiß, dass er nicht einmal der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein ist. Trotzdem ist es wichtig und positiv, diese Themen auf vielen Ebenen zu verhandeln. Das zeigt einerseits, dass es von übergeordnetem Interesse ist, außerdem bewirkt Hartnäckigkeit auf Dauer etwas. Was aus Graz-Reininghaus wird, wissen wir nicht, aber wie es besser gehen könnte, das behandeln Symposien, das Wissen darüber bleibt.

Die Arge W:A:B widmete dem Thema der Baugruppen bislang 10 Artikel auf GAT. Anhand von konkreten Modellen, theoretischen Annäherungen, Erfahrungsberichten, mit der Bereitstellung zahlreicher Links und Literaturangaben gibt es beinahe schon eine Handlungsanleitung und -aufforderung!

In der Diskussionsveranstaltung über eigeninitiativen Wohnbau "BAUGRUPPEN – EIN ETABLIERTES MODELL?" im Stadtmuseum Graz am 15. Juni 2009, in der sich namhafte ExpertInnen zum Thema äußerten, stand einmal mehr die Frage im Raum: „Warum kommt denn niemand mit einer Idee?" – eine Frage, die sich mittlerweile aufdrängt. Sowohl Johannes Geiger von der GWS (Gemeinnützige Alpenländische Gesellschaft für Wohnungsbau und Siedlungswesen) Graz als auch Siegfried Kristan, Leiter der Abt. 15 – Wohnbauförderung, Land Steiermark, bekräftigten ihre Bereitschaft, „Experimente" zu unterstützen. Elisabeth Katschnig-Fasch (Ao.Univ.-Prof. Dr.phil. am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der UNI Graz) brachte es mit ihrer Aussage, dass es in erster Linie an einer Kultur des selbstverantwortlichen Miteinanders fehle, auf den Punkt. In einer zunehmend individualisierten und regulierten Gesellschaft scheinen gemeinsames Handeln, das sich Einlassen auf einen Prozess und das Entwickeln von Visionen wenig Platz zu haben. Zu einem anderen Teil scheint es auch daran zu liegen, dass der Wohnungsmarkt noch so weit zufrieden stellend ist, dass der Leidensdruck, selbstständig neue Wege zu suchen, einfach zu gering ist. Auch die Tatsache, dass die Politik die Häuslbauer noch lange nicht im Regen stehen lässt, spielt eine wichtige Rolle.

Wie es auch anders sein kann, zeigt das Beispiel Tübingen, wo es seit den 1980er-Jahren kaum Baulandentwicklung im Freiland gibt, stattdessen zahlreiche Baugemeinschaften, die sich dort als Motor städtischer Quartiere etablieren konnten, frei nach dem Motto: „Bauen wir uns das eigene Stück Stadt statt des Eigenheimes." Roland Wied, Architekt und Projektsteuerer - er selbst war bereits an der Realisierung von 150 Wohneinheiten beteiligt - gab Einblick in den Prozess der Aufwertung eines ganzen Tübinger Stadtteiles. Das klang schon fast wie ein Märchen, verglichen mit den 14 aktuellen Baugruppenprojekten in Österreich, mit all ihren Schwierigkeiten und Hindernissen. Aber es gibt sie!

Es bleibt zu hoffen, dass weitere Module des Projektes W:A:B – als nächstes ist eine Ausstellung über Baugruppen geplant – ihre Umsetzung finden, um Bewusstsein für alternative Möglichkeiten gemeinsamen Wohnens und Handelns zu schaffen.

Wie sich Studierende dem Thema nähern, zeigt ein Film, der im Rahmen von „Entwerfen spezialisierter Themen SS 09" am Institut für Stadt- und Baugeschichte (Simone Hain, Univ.-Prof. Dr. Phil., Franziska Schruth, Dipl.-Ing., Marion Starzacher, Dipl.-Ing.) der TU Graz gedreht wurde. Er setzt sich mit "Privaten Gründen" im Grazer Grüngürtel auseinander. Prädikat: absolut sehenswert!

Verfasser/in: Ute Angeringer-Mmadu, Kommentar
S.R.

Interessanterweise fordern immer jene den Weg hin zum Wohnsilo die entweder selbst mit so einer Wohnsituation zufrieden sind oder aber weitab im grünsten Grünen zu Hause sind. Dass hier die Zwangskeule gegenüger den Häuslbauern aufgefahren wird, zeugt nur von der Ignoranz, die Raumordnung/Stadtplanung Wohn- und Lebensbedürfnissen entgegenbringt. Es wird nicht nach den Ursachen gesucht, sondern auf Wirkung gedrängt.
Finanzielle, soziale, gesundheitliche und sonstige Aspekte die Leute dazu bewegen sich in Richtung Einfamilienhaus und ins Grüne zu bewegen bleiben vollkommen unangedacht, denn "man" macht sich ja nur Sorgen um die Raumplanung, d.h. in der Praxis möglichst viele spektakuläre Projekte in den urbanen Raum zu knallen um sich damit ins Rampenlicht zu stellen - leben müssen dann ohnehin die anderen damit, auch wenn es nicht mehr lebenswert ist.
Auch die Causa Reininghaus ist hierbei völlig unausgegoren und es schwant zumindest mir schlimmes, denn Verantwortliche, die schon seit geraumer Zeit die Stadtplanung an die Wand karren, sind nach wie eifrig vor am Werken.
Vom Spagat zwischen Erhalten, Verändern bis hin zum Neugestalten ist man in Graz jedenfalls noch Lichtjahre entfernt, denn man fährt hier vorzugsweise mit der Stadtplanungskeule durch bestehende Stadtstrukturen, zerstört Wohn- und Lebensraum und ist dann total erstaunt, warum es denn noch immer Leute ins Grüne zieht.
Architekten und Stadtplaner machen sich mitsamt den Verantwortlichen lediglich Gedanken um das jeweilige Projekt. Inzwischen geht es in Graz nur mehr darum, dass diverse Betonklötze, Waschbrettblöcke und derzeit aktuell schiefe glasverbrämte Plattenbauten eine "gute" Ansicht bieten, auch wenn es den meisten Betrachtern beim Anblick den Magen umdreht. Wann bequemt man sich eigentlich endlich dazu in Zusammenhängen zu denken, Fragen und Problemstellungen vernetzt zu behandeln, Stadtplanung als Planung für die "Stadt" und ihre Weiterentwicklung, ihr Weiterbestehen und nicht für irgendwelche Projektkörndln im Stadtschotterhaufen als Momentaufnahme zu betrachten?
Stadtplanung ist in Graz zum Instrument der Heuschrecken verkommen und hat mit dem eigentlichen Zweck kaum mehr etwas zu tun! Vor einer Heuschreckeninvasion haben Menschen schon seit Generationen die Flucht angetreten und sei es nur in Richtung Einfamilienhaus.

Fr. 10/07/2009 3:04 Permalink
Johannes Fiedler

Der Kommentar von Ute Angeringer-Mmadu am 10.7.2009 enthält einige wichtige Aussagen, die uns „urbanen Intellektuellen“ helfen könnten, jene undifferenzierte Larmoyanz zu überwinden, in die jede Fachveranstaltung und jedes Expert/innengespräch zum Thema Stadt letztlich abgleitet.
Zum Typus Einfamilienhaus: „Außerdem ist es nicht mehr familienkonform…“
Das ist eine funktionalistische Aussage. Natürlich wären die Wege der Kinder zur Schule, die Betreuung der Alten, das soziale Leben Jugendlicher in einer verdichteten Bebauungsform effizienter organisierbar, aber es geht beim Einfamilienhaus nicht um die effizienteste Form einer Funktionserfüllung, sondern um Lebensbilder, um gebaute Wunschvorstellungen. Auch wenn ein großer Teil der Familien irgendwann zerbricht, bzw. vom Standardmodell abweicht, so bleibt dennoch das Standardmodell das Ideal, und mit ihm das Einfamilienhaus - als Bild der selbstbestimmten, sozial integrierten Lebensgestaltung, als Bild des „Zuhause“. Erst wenn wir diese Tatsache akzeptieren, können wir praktikable - und nachhaltigere - Alternativen erarbeiten.
„Katschnig-Fasch: “…es in erster Linie an einer Kultur des selbstverantwortlichen Miteinanders fehle.“
Damit hat sie tatsächlich den Punkt getroffen. Denn: wir haben in Österreich auf der einen Seite eine relativ gut ausgereifte Kultur des Miteinanders auf der Basis obrigkeitsstaatlicher Regelung, auch im Wohnen (Stichworte: Wohnanlage, Hausmeister), und auf der anderen Seite eine bunte, geradezu anarchische Szene der selbstverantwortlichen Organisation (Stichworte: Häuselbauer, Pfusch). Was wir leider im Wohnbau gar nicht haben, ist das freiwillige Zusammenwirken von städtischen Menschen, die selbst etwas herstellen. Unsere Zivilgesellschaft wird nur dann aktiv, wenn es darum geht, Unterstützung durch den als allmächtig wahrgenommenen Staat einzufordern. (In diesem Sinn sollten sich übrigens alle an Baugruppen Interessierten kritisch mit dem Thema „Förderung“ auseinandersetzen.)
…dass der Wohnungsmarkt noch so weit zufrieden stellend ist, dass der Leidensdruck, selbstständig neue Wege zu suchen, fehlt.“
Tatsächlich ist die Nachfrage nach neuen Formen urbanen Wohnens im wesentlichen eine Nachfrage nach einer anderen Qualität, einem neuen Produkt. Normale, gut gedämmte und belichtete Wohnungen mit ausreichend Garagenplätzen sind am Markt reichlich vorhanden, und das Preisniveau ist nicht zuletzt dank öffentlicher Förderung vergleichsweise moderat. Der Grund, warum sich in Deutschland eine rege Baugruppenszene entwickelt hat, liegt hauptsächlich darin, dass nach der Wende die institutionelle, staatlich geförderte Wohnbauproduktion zum Stillstand gekommen ist und die urbane Mittelklasse selbst aktiv werden musste.
Wied: „Bauen wir uns das eigene Stück Stadt statt des Eigenheimes."
In diesem Satz stecken mehrere elementare Aussagen: Erstens, dass es Menschen gibt, für die das Einfamilienhaus nicht in Frage kommt - etwa weil sie nicht im Familienverband leben, weil sie urbane Lebensvorstellungen haben, weil sie nicht täglich mit dem Auto fahren möchten. Zweitens, dass in der Stadt, wie wir sie haben, die Alternative zum Eigenheim nicht zu finden ist. Es gibt nur - plakativ ausgedrückt - öde Geschoßbauten profitorientierter Bauträger, spießige Genossenschaftsanlagen, miefige Altbestände in der Hand gieriger Spekulanten. Es fehlen die selbst gestaltbaren Außenräume, die Möglichkeit der evolutiven Herstellung, es fehlt die soziale Kohärenz, die allein das Suburbane verspricht. Drittens, dass man sich folglich diese Stadt, die eine Alternative zum Einfamilienhaus enthält, selbst machen muss. Dass nicht erwartet werden kann, dass gewinnorientierte oder gemeinnützige Bauträger diese Alternative bereitstellen. Die Gewinnorientierten tun es nicht, solange es in anderen Segmenten mehr zu lukrieren gibt, und die Gemeinnützigen tun es nicht, weil es nicht ihrem Selbstverständnis entspricht, das allerorts auf dem bauwirtschaftlichen Funktionalismus beruht. Und beide Sektoren tun es nicht, weil jene kleinteilige und vielfältige Produktionsform, die eine urbane Alternative zum Einfamilienhaus erfordert, wirtschaftlich uninteressant ist.
Natürlich ist mit diesen Erkenntnissen noch kein Problem gelöst, aber man hat, wenn man sich bei diesen Fragen einig ist, doch eine bessere Ausgangsbasis, etwa die, dass man vor allem an der Akzeptanz des Systems Stadt arbeiten muss. Stichworte: kleinteilige Produktionsform, Qualität des öffentlichen Raums, angemessene Dichte,…
Johannes Fiedler, fiedler@arch-urb.at

Sa. 11/07/2009 3:17 Permalink
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