14/07/2020

Wolkenschaufler_36

Solange Anlegerwohnungen ein Geschäft versprechen

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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14/07/2020

Sujet Kolumne "Wolkenschaufler"

©: Zita Oberwalder

Solange Anlegerwohnungen ein Geschäft versprechen

Nach einer Umfrage des Baustoffproduzenten Wienerberger sei der Wunsch nach einem eigenen Haus infolge der Coronakrise in der Steiermark und Kärnten um 29 Prozent gestiegen. 59 Prozent der Befragten hätten gerne ein Eigenheim in einer ländlichen Gemeinde, 26 Prozent in einer Kleinstadt und neun Prozent in den Landeshauptstädten. Details sind nicht zu erfahren, merkwürdig immerhin die Interpretation der Umfrage, dass diese Wünsche aufgrund der Pandemie entstünden.
Solche Wünsche und andere, die aus den Erfahrungen im Zuge des Lockdowns erwuchsen, handeln vorrangig aber um die Frage des adäquaten Wohnens, wenn Heimarbeit, Kinderbetreuung etc. dazu führen, dass die individuelle Situation im städtischen Bereich zu neuen Überlegungen gereicht, wie sie der Herausgeber von Architektur Aktuell, Matthias Boeckl, äußert, dass man nämlich „nicht nur Schlafstädte schafft, sondern die Wohnbauten auch multifunktional um verschiedene Arbeitsformen erweitert“ (siehe Link > oe1.orf.at). Wieder ein Wunsch, dem etliche aktuelle Projekte so gar nicht entgegen kommen, wie am Beispiel Graz auch immer wieder in Artikeln auf GAT angeführt.
„Der Bauboom“, heißt es in einer Broschüre der Initiative Unverwechselbares Graz vom April 2019, „erzeugt Leerstand, weil zu viel und am Bedarf vorbei gebaut wird. Dort wo frei finanziert und von gewerblichen Bauträgern wie Investorengesellschaften gebaut wird, stehen mehr Wohnungen frei“. Ergänzt wird, dass es sich bei rund 12 Prozent der neu errichteten Wohnungen um Mikro- oder smarte Wohnungen handelt, die zum „Schlafen und Essen für max. 2 Personen“ reichen, während Freizeitbeschäftigung oder neuerdings Heimarbeit in irgendeiner Weise ausgelagert werden müssen. Was in der Broschüre noch nicht als Beispiel angeführt werden konnte ist etwa die Auslagerung von Hab und Gut in gleich mit errichtete Containeranlagen am Areal der Smart City (Waagner-Biro-Straße), die zur Mikrowohnung gekauft oder gemietet werden können.
Vorbeigebaut am „Bedarf“, müsste wohl in „Wohnbedarf“ korrigiert werden, nachdem der Bau von Anlegerobjekten nach wie vor ein lukratives Geschäftsmodell sein dürfte. An einem Wiener Beispiel vermutete der Architekturkritiker Christian Kühn (Operation Goldesel, 2018) sinngemäß, es handelte sich um Anlagen, in die der Eigentümer wohl nie seinen Fuß setzen werde. Potenzieller Wohnraum wird so als Anlegerraum besetzt, der allenthalben zu wachsenden Leerständen führt. Für 2015 führt Unverwechselbares Graz die Schätzung des Leerstandes nach dem Wohnungsbericht auf 6000 bis 7000 Wohnungen an. Zudem eine Diplomarbeit mit dem Titel Vom Leerstand zur Ressource (Lisa Enzenhofer, Anna Resch, 2012), nach der damals allein im Bezirk Lend rund 105.000 Quadratmeter ungenützte Wohnräume, Industrieanlagen und Freiflächen bestanden.
Die Gemeinderätin Susanne Bauer (SPÖ) vermutet anhand von Melde- und Wohnungszahlen der Statistik Austria, dass in Graz derzeit 7000 bis 10000 Wohnungen leer stehen. Die Energie Steiermark entgegnet, nach Stromverbrauchserhebung handelte es sich nur um 3000 nicht genutzte Wohnungen. Bauer wiederum führt ins Treffen, dass Haushalte in Gösting, die vom E-Werk Franz versorgt werden, nicht berücksichtigt sein können.
Eine Möglichkeit, Eigentümer zum Vermieten zu motivieren, zeigt Unverwechselbares Graz in seiner Broschüre mit dem Titel Bauboom und Leerstand an Initiativen der Stadt Salzburg und des Landes Vorarlberg. (s. Link > unverwechselbaresgraz.at) Dort übernimmt die öffentliche Hand die Vermietung leer stehender Wohnungen. „In Vorarlberg vergeben die jeweiligen Wohn- und Sozialämter die Wohnungen ähnlich wie im geförderten Wohnbau. Auch die Einkommensgrenzen entsprechen jenen im geförderten Wohnbau. Das Land Vorarlberg garantiert fixe Mieteinnahmen, falls der Mieter nicht zahlen sollte. Auch mögliche grobe Schäden an der Wohnung sind von der Garantie umfasst“. Bis 2018 wurden in Vorarlberg 20 und in der Stadt Salzburg auf diese Weise elf Wohnungen vermietet. Das ist zwar nicht sehr viel, eröffnet aber den Wunsch, Graz möge sich solchen Modells annehmen, wenn schon das finanzielle Risiko offenbar überschaubar ist.

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