08/01/2019

Wolkenschaufler_18

Been there, done that!

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

08/01/2019

Claude Monet, Seerosen, 1917–1919, Öl/Lw, 100 x 300 cm (Foto Mraček)

Tunnel am Ende des Lichts, Kunsthalle Graz 2012 (Foto Mraček)

Damals eine Ruine, Kunsthalle Graz 2012 (Foto Mraček)

Es ist jetzt schon einige Jahre her. Wir hatten gerade die Kunsthalle Graz so einigermaßen fertig gebaut und zeigten eine Hommage auf den 2004 verstorbenen Künstler W.W. Anger. Da kam ein junges Paar aus Frankreich zur Tür herein und zeigte sich überraschend interessiert an der Ausstellung. Auf Französisch konnte ich schon damals nicht reden – das hat sich bis heute nicht gebessert – also kamen wir auf Englisch in ein kurzes Gespräch. Immerhin erwies sich my funny english einmal mehr der Situation so gerade angemessen, während das der Franzosen umso lustiger ausfiel. Auf die Frage, wie wir an solchen Raum gekommen seien, erzählte ich, dass die ehemalige Bäckerei in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße zum Zeitpunkt unserer Übernahme einer veritablen Ruine gleichkam: „It was a ruin“, versuchte ich den Franzosen zu erklären, die wir über mehrere Jahre und mit der Hilfe etlicher Freunde zu einem Ausstellungsraum ausgebaut hatten. Darauf folgte mehrmals die Frage, was es denn mit dem „Heroin“ auf sich habe. Ich fürchte, ein phonetisches Missverständnis trügt seither die Erinnerung der beiden Franzosen.
Ich dagegen war damals verblüfft, als ich vor Verabschiedung noch gefragt wurde, ob es hier in Graz noch weitere Orte gäbe, an denen man Ausstellungen von Kunst sehen könne. Ja, freilich, war meine knappe Antwort – das Kunsthaus vielleicht … und es folgte eine ebenso knappe Wegbeschreibung.

Sollte man in Graz eventuell ein Wegweise(r)system zu Kultureinrichtungen installieren? „Weg“ im Sinn von „Pfad“ und nicht im Sinn von „fort“. Graz ist zwar nur die zweitgrößte Stadt Österreichs. Graz war aber schon Kulturhauptstadt Europas und Graz soll 2020 „Kulturhauptstadt“ (Bgm. Nagl in der Kulturzeitung 80, 16.01.2018) sein. Zwar wirft Herr Beckmesser hier ein, Hauptstadt wovon? Wäre nicht dennoch der Entwurf eines Wegweise(r)system ein dafür vielleicht geeignetes Projekt? Geschenkt!

In den Straßen von Wien gibt es entsprechende Wegweiser und man findet leicht zu Bruegel und Monet. Das haben wir in den Tagen vor Weihnachten erfahren, als wir beabsichtigten, die Ausstellungen im Kunsthistorischen Museum und in der Albertina zu besuchen. Freilich wusste ich, zu Bruegel wollen alle, deshalb wäre es besser gewesen, Zeitkarten für die Ausstellung reserviert zu haben – vor Weihnachten zumal. Und was wollte man mir, zu Pieter Bruegel d. Ä. geprüft und daraufhin diplomiert, schon verwehren?
Alles!
Abgekupfert einer Sentenz, die Wolfgang Bauer einst vor einer Lesung ins Mikrofon gesprochen hatte, ist die übliche Zugangsweise des Wolkenschauflers: Es wird schon irgendwie gehen. Nachgerade ging genau nichts. Auf dem Gehsteig zum Kunsthistorischen Museum bewegten sich Massen von Bustouristen; Fremdenführer standen mit Touristengruppen vor Werbetransparenten mit Ausschnitten aus Bruegel-Bildern und referierten über den Älteren. Zwischen Natur- und Kunsthistorischem der obligate Weihnachtsmarkt, durch den sich Massen von Menschen aus Bussen schoben. Darunter ein paar Mozarte, die uns Konzertkarten andrehen wollten, hartnäckig.Die Museumskassen waren vor das Gebäude verlegt, leicht zu finden, weil sich schier endlose Schlangen Interessierter anstellten. In der Umgebung der Kassenhäuschen mehrere handgeschriebene Zettel: Bruegel sold out! Eine Dame, die aufgegeben hatte, sagte uns im Vorbeigehen: „Bruegel ist auf die nächsten drei Tage ausverkauft, keine Chance!“
Haben wir uns das nicht schon immer gewünscht? Dass nämlich die Kunst nicht mehr nur einen kleinen Teil der Gesellschaften interessieren möge, sondern möglichst alle? Wäre er in solche Situation geraten, hätte sich Joseph Beuys eventuell korrigiert? 

Wir fügten uns und nahmen Plan B in Angriff, den Weg durch den Burggarten zur Albertina inmitten hunderter Menschen. Wie erwartet auch dort eine Schlange von Besuchern, die auf Einlass warteten. Freilich, Claude Monets Bilder zählen zur wertvollsten Kunst, die man sich nur vorstellen kann, und wenn schon einmal so viele davon an einem Ort zu sehen sind … Das hatten wir uns auch zu Bruegel gedacht. Luftfeuchtigkeit und Temperatur in den Ausstellungsräumen wollen im konservatorisch zulässigen Rahmen gehalten werden. Zu viele Besucher verändern das Raumklima. Also fünf Personen hinein, wenn fünf heraus kommen. Drin, so vermuteten wir Experten, würden sich die Massen in sieben (!) gleichzeitig laufenden Ausstellungen verteilen. 

Aber nichts dergleichen. In gegenläufigen Schlangen zur Kasse, zu den Garderoben und wieder in Richtung Ausstellung. Bis wir in die Räume der Monets gelangten, waren etwa zwei Stunden vergangen. Die Ausstellung selbst war – nicht zuletzt aufgrund des Verlusts jeglicher Motivation – in etwa eineinhalb Stunden begangen. Und ich sage und schreibe: inmitten von Menschenmassen. In der Hauptsache ging es nicht mehr darum, einen nur einigermaßen freien Blick auf die Bilder zu erwischen. Wie seinerzeit an einem Schilift galt es auszuweichen, Platz zu machen, die Gelegenheit für wenige Schritte wahrzunehmen, die uns näher an die Kunstwerke brachten. Was, wenn hier Grund für Panik bestünde? 
Der Minimalabstand zu den Werken wurde durch einen Teppich vermittelt, der bis auf vierzig Zentimeter an die Wand reichte. Selbstredend schwindelte man sich immer wieder auf dem Streifen Parkett an den Besuchern vorbei, berührte, unbescholten, dabei beinahe Monets Originale. Und immer wieder Platz geben für Menschen, die schnell ein Bild mit dem Smartphone schießen und wieder in der Menge verschwinden, nach der Methode been there, done that!
Die Raumtemperatur dürfte etwa 24 Grad betragen haben. Wenige Bilder waren durch Schutzglas gesichert, und, nicht erfunden, wurden die Bilder auch entsprechend von Rezipienten behustet.

Was hätte ich Schröder nicht gerne vorgetragen …! Bei allem Verständnis für gelenkte Besucherströme hätte ich empfohlen – nein, nicht die letzte Halbe am Vortag besser ausgelassen zu haben –, vielmehr während der Ausstellung Monets anstatt sechs weiterer nur drei zu machen? Damit mehr Raum für den absehbaren Zustrom interessierten Publikums zu schaffen? Wird die Möglichkeit zur Ansicht einer Ausstellung gnadenlos an die Quote abgegeben? Schröder aber war für einen Wolkenschaufler nicht zu sprechen.

Wie angenehm ist es dagegen in Graz, der historischen und künftigen Kulturhauptstadt. Wenn nicht zu Ausstellungseröffnungen bleibt hier der Eindruck, so gut wie jede Ausstellung sei alleine für die geneigte Besucherin, den geneigten Besucher eingerichtet. Hier wird Kunst noch für spezifische und überschaubare Klientel gezeigt. Kunst ist, entsprechend wolkenschauflerischer Definition, dort, wo nur wenige hingehen. In Graz bleibt die Kunst den Wissenden und den Gewitzten vorbehalten. Hier ist Zeit und Raum, Wissen und Verständnis um die Kunst zu erfahren (mehr oder weniger immerhin).

Es dräut aber das Wiener Schicksal. Aus mir angetrauter Quelle erfahre ich, dass sich vor wenigen Tagen, und unangemeldet, eine 50 Personen umfassende Reisegruppe aus Japan in einem Grazer Museum einfand. Gar nicht funny, vielmehr in versiertem Englisch erzählte der Reiseleiter im Foyer, weil man in Wien in keine der avisierten Ausstellungen gelangen konnte, sei man nun auf dem Weg nach Salzburg. Graz sei spontan als Zwischenstation gewählt worden und man möchte hier „Historisches“ wahrnehmen. Ich vermute, Historisches sollte die Speicher der Smartphones füllen. 

Touristiker aber könnten aus der Lage vielleicht Gewinn schlagen. Geschenkt mein Vorschlag für einen international brauchbaren Slogan:

Vienna is already full.
Come on,
why not visit Graz?

Bruegel übrigens ist bis zum Ende der Ausstellung ausverkauft.

Tschavgova

lieber Wenzel,
Wes Anderson's eigenwillige Zusammenstellung kurioser Objekte, Bilder und Skulpturen im Kunsthistorischen hätte ich dir empfohlen, wenn ich nicht gerade jetzt erst aus der Ausstellung gekommen wäre. Kurz mit sanftem Ellbogen beim Eingang den Weg gebahnt in den 1.Stock und schon hat sich's gelohnt, die wenig beachtete Alternative zum Blockbuster gewählt zu haben. Als nicht Promovierte begnüge ich mich mit dem Bruegel-Raum im Kunsthistorischen, wo man das ganze Jahr über .... oder mit den Bruegels, die ich auf Reisen sehen kann. Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures kann man noch bis April anschauen, seine Filme zeigt das Votivkino in loser Folge bis 17.02.

Di. 08/01/2019 5:59 Permalink
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